Tag der deutschen Sprache:"I'm bad" heißt "Ich bin toll"

Wie verändert sich Sprache? Und welche Rolle spielen die Medien dabei? Fragen zu Jugendsprache und Anglizismen beantwortet der Direktor des Instituts für Deutsche Sprache, Ludwig Eichinger.

Christopher Stolzenberg

Am Samstag ist der Tag der deutschen Sprache, mit dem der Verein für deutsche Sprache seit 2001 das Bewusstsein für die eigene Sprache erhalten möchte. Ludwig Eichinger ist Direktor des Instituts für Deutsche Sprache und Professor an der Universität Mannheim. Er beschäftigt sich seit über dreißig Jahren mit der Entwicklung der deutschen Sprache.

Tag der deutschen Sprache: "Die Medien vervielfältigen die Medien oft eine Sprache von nur wenigen", sagt Ludwig Eichinger.

"Die Medien vervielfältigen die Medien oft eine Sprache von nur wenigen", sagt Ludwig Eichinger.

(Foto: Foto: privat)

sueddeutsche.de: Herr Eichinger, ist "Pulloverschwein" eine Beleidigung?

Ludwig Eichinger: Vermutlich nicht. Ich weiß es nicht. Vielleicht ein schmutziger Mensch im Pullover?

sueddeutsche.de: Ich verrate es Ihnen: So nennen einige Jugendliche heute ein Schaf. "Pulloverschwein" hat sich laut Studien aus der Sprachforschung bisher nur unter Teenagern verbreitet. Welche Faktoren entscheiden darüber, ob sich ein Wort auch allgemein durchsetzt?

Eichinger: Das Beispiel beschränkt sich ja auf eine bestimmte Gruppe in der Gesellschaft. In der Jugendsprache dienen Wortbildungen häufig der Identifikation mit einer Gruppe. Wenn sie von der Allgemeinheit übernommen werden, sind sie nicht mehr so interessant und werden durch etwas anderes abgelöst. Um alltagssprachlich wirksam zu sein, ist "Pulloverschwein" aber zu metaphorisch und zu unernst, als dass es in der normalen Sprache auf Dauer bestehen könnte.

sueddeutsche.de: Woran liegt es, dass sich das Wort "geil" in fast allen gesellschaftlichen Schichten durchgesetzt hat?

Eichinger: Jugendsprache braucht ja immer Steigerungswörter. Als ich klein war, war "wahnsinnig" sehr beliebt. Die Kritiker sagten damals: "Die Jugend hat nicht einmal vor den Geisteskranken Respekt!" Heute ist beinahe alles "wahnsinnig schön" und ist keineswegs provokant gemeint. "Geil" ist eines der letzten Wörter dieser Art.

sueddeutsche.de: "Geil" hatte ja ursprünglich eine andere Bedeutung.

Eichinger: Richtig. Offenbar pflegen die sprachlichen Jugendkulturen eine Außenseite, die schockierend wirken soll. Dazu passt auch die in den letzten Jahrzehnten aufgekommene ambivalente Verwendung von ursprünglich negativen Wörtern wie "ätzend". Seit langem schon hat die amerikanischen Inner-City-Sprachgewohnheiten übernommen. Erinnern Sie sich an Michael Jackson, der "I'm bad" gesungen hat, was aber soviel bedeutet wie: "Ich bin toll".

sueddeutsche.de: Finden Sie es schade, dass alte Wörter verloren gehen?

Eichinger: Nicht prinzipiell. Es gibt Zeiten, in denen die Menschen bestimmte Wörter wählen, um zu signalisieren, dass sie modern sind, dass sie einigermaßen in ihrer Welt leben. Logischerweise verschwinden aber Wörter, wenn ihr Ursprung oder ihre Funktion nicht mehr wichtig ist. In einem meiner Projekte befragen wir Bauern in Oberbayern nach den Teilen eines Erntewagens. Wörter wie "Anze", eine regionale Benennung für die Deichsel, sind praktisch tot. Das wird man aber wohl nicht Verlust nennen können.

"I'm bad" heißt "Ich bin toll"

sueddeutsche.de: Was sind die wichtigsten sozialen Änderungen, die einen Sprachwandel bewirkt haben?

Tag der deutschen Sprache: "Die meisten Jugendlichen sind in der Lage, andere Varianten der Sprache zu produzieren."

"Die meisten Jugendlichen sind in der Lage, andere Varianten der Sprache zu produzieren."

(Foto: Foto: photodisc)

Eichinger: Pauschal gesagt: die höhere gesellschaftliche Mobilität, das Aufbrechen regionaler Traditionen, vermehrter Kontakt mit den Sprechweisen anderer gesellschaftlicher Gruppen, mit anderen Sprachen und mit der internationalen Kommunikation, vor allem über das Internet.

sueddeutsche.de: Die Jugendsprache ist also eine Weiterentwicklung und nicht etwa das Abgleiten in ein niederes sprachliches Niveau?

Eichinger: Richtig. Nur wenn ein Jugendlicher nicht mehr in der Lage ist, ohne einen verkürzenden und groben Jugendslang zu funktionieren, kann man davon ausgehen, dass er einer sozial schwachen Gruppe angehört. Die meisten Jugendlichen sind aber in der Lage, andere Varianten der Sprache zu produzieren.

sueddeutsche.de: Englische Wörter sind im Deutschen häufiger geworden. Ist das ein Fluch oder ein Segen für die Entwicklung der Sprache?

Eichinger: Der Wortschatz entwickelt sich auf zwei Wegen. Im Deutschen gibt es ja den Trick, zwei Wörter zusammenzusetzen und sich erst hinterher auszudenken, was das neue Wort wohl heißt. So wie bei dem Wort "Tierethik". Zum anderen entlehnen wir Worte aus Sprachen, die man für kulturell und zivilisatorisch dominant hält. Und das ist im Moment das Englische. Entlehnungen sind unvermeidbar und wurden schon immer integriert, um die deutsche Sprache zu bereichern.

sueddeutsche.de: Ein Beispiel?

Eichinger: Nehmen wir das englische Wort "kids". Es erlaubt uns, eine bestimmte Nuance zu beschreiben, nämlich über Halbwüchsige in ihrer modischen Lebenswelt mit einem passenden Wort zu reden. Das Wort "Kinder" ist ja dadurch nicht verloren gegangen.

sueddeutsche.de: Und wenn man das Englische auf Deutsch übersetzte?

Eichinger: Das gelingt gewiss nur dort, wo die entstehenden Begriffe nicht wörtlich verstanden werden. Nehmen wir das Beispiel "Pore", das ein Fremdwort war. Man hat versucht, es im 17. Jahrhundert mit "Schweißloch" zu übersetzen. Mal ehrlich, so genau möchten wir es doch gar nicht wissen. Und auch heute gilt, dass metaphorische Wortgebilde wie im Amerikanischen im Deutschen nicht so gängig sind. Daher sagen wir lieber Laptop als "Klapprechner", was viel zu fachlich und zu wenig alltäglich klänge.

"I'm bad" heißt "Ich bin toll"

sueddeutsche.de: Kurz und praktisch ist ja auch das Wort "Jamaika", das durch die Medien geprägt wurde. Kaum einer denkt heute nur noch an das Land in der Karibik, sondern auch an eine politische Koaliton. Wie groß ist der Einfluss der Medien tatsächlich auf die Entwicklung einer Sprache?

Eichinger: Erheblich, wenn man bedenkt, wie häufig wir sie nutzen. Diese Aussage stimmt schon seit dem Aufkommen der Tageszeitungen im 19. Jahrhundert. Medien versorgen uns mit überregionaler, gelockerter Sprache, die nahe am Standard ist. Warum uns ihr sprachlicher Einfluss heute stärker auffällt, liegt daran, dass die Medien mit Radio und Fernsehen zu sprechen begonnen haben. Vieles, das für Sprachverfall gehalten wird, ist in Wirklichkeit nur Ausdruck der gesprochenen Sprache. Beim Schreiben sind wir dagegen viel kontrollierter und strenger mit uns selbst.

sueddeutsche.de: Würden Sie sagen, dass die Medien die Sprache der Bevölkerung beeinflussen? Oder ist es umgekehrt?

Eichinger: Die Medien neigen zu pointierten, passenden Formulierungen, so dass man durchaus sagen kann, dass die Medien Wörter wie "Hartz IV" oder "Busenwitwe" erschaffen. Bei vielen Ausdrücken frage ich mich sogar, ob sie nicht von der Werbung erfunden wurden, von der Bevölkerung dauerhaft angenommen werden und wieder in die Medien zurückkehren. So etwa der Ausspruch "Man gönnt sich ja sonst nichts". Aber es gelingt nicht in jedem Fall. Eine deutsche Wochenzeitung hat mal versucht, den Begriff "Waterkant-Gate" einzuführen. Aber niemand außer dem Magazin wollte das Konstrukt benutzen.

sueddeutsche.de: Welche Sendungen prägen die Zuschauer am meisten?

Eichinger: Durch die Vervielfältigung der Medien sind immer mehr Stile in die Öffentlichkeit geraten, die zur Nachahmung reizen. Über Talk-Shows ist erstmals das Reden über die eigene Sexualität in die Öffentlichkeit gekommen. Dann gibt es beliebte Moderatoren wie Günter Jauch oder Harald Schmidt, die ein betont lockeres, und doch geordnetes Hochdeutsch sprechen. Musiksender dagegen verwenden jugendsprachliche Elemente. Doch muss man immer bedenken, dass jeder Moderator auch nur aus einer Teilgruppe der Gesellschaft kommt. So gesehen, vervielfältigen die Medien oft eine Sprache von wenigen.

sueddeutsche.de: Gibt es ein bestimmtes Wort, das Ihnen so gut gefällt, dass Sie sich wünschen, es würde wieder mehr benutzt?

Eichinger: Nein, das wäre doch gegenüber zu vielen anderen Wörtern ungerecht.

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