SZ-Serie (XXXVII): Robert Jungk:Der Zukunftsforscher

Im Detail den Teufel zu finden, ist eine Kunst, die den großen Journalisten ausmachen kann.

Von martin Urban

Am 9. Januar 1942 erschien in der Schweizer Wochenzeitung Die Weltwoche ein Artikel unter dem Pseudonym F. L. Der Autor hatte deutsche Medizinzeitschriften besonders genau gelesen. Das Ausland erfuhr auf diese Weise Präzises über den Gesundheitszustand der Zivilbevölkerung im dritten Kriegsjahr.

Doch nicht nur das: Scheinbar nebenbei erwähnte F. L., dass Piloten der deutschen Luftwaffe das Aufputschmittel Pervitin einnähmen. Vermutlich war diese Nachricht damals für die Wehrmacht nicht weniger peinlich als für das Pentagon kürzlich die Meldung, US-Kampfflieger seien für ihre Einsätze im Irak-Krieg gedopt worden. Jedenfalls nahm F. L. an, dass Informationen aus Berlin seinerzeit zu seiner Enttarnung und anschließenden zeitweiligen Internierung 1943 in St. Gallen führten. F. L. stand für Robert Jungk.

Der 1913 in Berlin geborene Jungk entstammte einer jüdischen Künstlerfamilie. Auch der Name Jungk ist ein Pseudonym, das schon der Vater David Baum - ein aus Mähren stammender Schauspieler, Regisseur und Filmautor - angenommen hatte.

Die Mutter Sara, geborene Bravo (Künstlername Elli Brandes) war Schauspielerin. Man war befreundet mit Egon Erwin Kisch, der gleich nebenan wohnte. Der junge Robert Jungk wunderte sich über das Chaos auf Kischs Schreibtisch. Später sah es bei ihm ganz genauso aus. 1943, er war 30 Jahre alt und Journalist, machte er wichtige Erfahrungen mit dem NS-Regime. Ein paar Jahre später folgten noch sehr spezielle Erfahrungen mit der Weltwoche.

Robert Jungk war einen Tag nach dem Reichstagsbrand Ende Februar 1933 verhaftet worden, weil er in der Universität Naziplakate abgerissen hatte. Mit Hilfe eines Neffen von Reichsbankpräsident Hjalmar Schacht kam der Student der Philosophie und Psychologie frei. Als Mitglied einer Skigruppe, geschützt durch einen Sammelpass, konnte er über Tirol nach Paris flüchten.

Ausbürgerung 1934

Die Nazis bürgerten Jungk 1934 aus. Dieser setzte zunächst sein Studium an der Sorbonne fort und war nebenbei journalistisch tätig, unter anderem als Dokumentarfilmer. 1936 kehrte er illegal nach Deutschland zurück und arbeitete im Untergrund für eine Presseagentur sowie eine Widerstandsgruppe.

1937 floh Jungk mit seinen Eltern nach Prag und gab den antinationalsozialistischen Pressedienst Mondial Press heraus. 1939 flüchtete er nach Zürich. Dort studierte er zwar weiter - die Promotion zum Dr. phil. war aber erst nach Kriegsende 1945 möglich. Vor allem arbeitete er aber für die Weltwoche, ab 1944 für den Observer in London.

1948 ging Robert Jungk als Korrespondent nach Amerika und fand dort das Thema seines Lebens: Die Bedrohung der Welt durch den so genannten Fortschritt mit den Mitteln von Wissenschaft und Technik, welche über anonyme "Apparate" verfügen. "Ich war in Los Alamos bei einer der ersten Atomexplosionen dabei, für mich vielleicht das Schlüsselerlebnis", sagte er 1992 im Rückblick.

1952 erschien sein Buch mit dem Titel, der sprichwörtlich wurde: Die Zukunft hat schon begonnen. Die Unterscheidung zwischen "friedlicher" und "militärischer" Nutzung der Atomenergie hat Robert Jungk immer als letztlich irrelevant abgelehnt. Deshalb trennte sich die Weltwoche von ihm (1959). Unter dem Eindruck der Atomreaktor-Katastrophe von Tschernobyl (1986) bedauerte die Schweizer Zeitschrift dann öffentlich dieses Verdikt. "A bissel spät", wie Jungk fand. "Aber immerhin, es hat mir gutgetan."

1956 erschien Heller als tausend Sonnen. Das Schicksal der Atomforscher, wieder ein Bestseller. Das Buch handelt von der Verstrickung der Atomwissenschaftler und basiert auf Gesprächen mit den Kernphysikern in aller Welt.

Carl Friedrich von Weizsäcker, mitbeteiligt am deutschen Atomprojekt während des Zweiten Weltkriegs, nannte Jungk 1988 "naiv", weil er in seinem Buch den deutschen Atomphysikern um Werner Heisenberg eine entschiedenere Absicht unterstellte, die Atombombe nicht zu bauen, als sie sie tatsächlich hatten.

Offensichtlich hatte Jungk, der ein Widerstandskämpfer war mit Kontakten etwa zu Harro Schulze-Boysen, dem Chef der "Roten Kapelle", den deutschen Physikern mehr Charakter zugetraut - eine anima candida, eine reine Seele, nannte ihn Weizsäcker spöttisch. "Ich war nie Wissenschaftsjournalist. Ich war immer politischer Journalist, der aber Wissenschaft und Technik als wichtigen Faktor der Politik begriff", resümierte Robert Jungk als 79-Jähriger. Seine Beobachtungen als Journalist motivierten ihn zunehmend, selbst Farbe zu bekennen. Uns so wurde er zum Kämpfer gegen ein System, dass einen Überwachungsstaat, den "Atomstaat" verlangte.

Aus der Konfrontation mit den Opfern der Atombombenexplosion über Hiroshima entstand 1959 erneut ein Bestseller, Strahlen aus der Asche. Erst die Konfrontation mit den Überlebenden der Bombe machte Jungk klar, dass auch er ein Überlebender war. Daraus entwickelte sich für ihn die Frage: "Was haben wir, die Überlebenden des Zweiten Weltkriegs, bisher getan, um unsere Rettung zu rechtfertigen?" Seine Antwort: "Seither weiß ich, dass wir, die Generation derer, die noch einmal davongekommen sind, unsere ganze Kraft darauf verwenden müssen, dass unsere Kinder nicht nur so zufällig überleben wie wir."

Nicht unbeteiligter Chronist wollte Robert Jungk sein - sondern gegen Fehlentwicklungen, wie er sie sah, ankämpfen, notfalls nicht nur anschreiben. Und so wurde er zum "Zukunftsforscher", der beizeiten zu erkennen versuchte, welche möglichen Folgen sich aus Wissenschaft und Technik ergeben könnten.

Honorarprofessor für Zukunftsforschung

1970 wurde er Honorarprofessor für "Zukunftsforschung" an der Technischen Universität Berlin und entwickelte "Gegenzukünfte". Rigoros trennte er sich überall dort, wo er einen bösen Einfluss der Industrie spürte, damals vorzugsweise der Energiewirtschaft: Im gleichen Jahr trat er aus der von ihm selbst gegründeten Gesellschaft für Zukunftsfragen aus. 1987 kündigte er die Zusammenarbeit mit der Zeitschrift Bild der Wissenschaft, 1990 dann mit Natur, als Dirk Maxeiner zum neuen Chefredakteur bestellt wurde.

Sein zuweilen phlegmatisches Temperament hinderte Robert Jungk daran, zu einem Fanatiker zu werden, so fanatisch ihn seine Gegner auch bekämpften - als "antinuklearen Wanderprediger" zum Beispiel die schweizerische Atomindustrie. Wütend war er wohl, aber nie verbittert.Im Gegenteil, zeitlebens blieb Robert Jungk - "wenn er schon nicht Messias sein kann", so Ehefrau Ruth - ein das Leben liebender, sanfter und heiterer Mensch. Salzburg war seine letzte Heimat. 1991 kandidierte er für die Grünen zur Wahl des österreichischen Bundespräsidenten mit einem Achtungserfolg.

In Salzburg ist Robert Jungk 1994 gestorben.

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