SZ-Serie: Große Journalisten:Ein Deuter der Zeit

Sebastian Haffner: Zeitweilig Kolumnist des Stern, glänzte mit historisch-politischen Essays / Serie, Teil IV

JOHANNES WILLMS

"Publizist" gehört wie "Dozent" zu jenen schwammigen Berufsbezeichnungen, die sich jeder zulegen kann, der ungestraft einen Anspruch machen will. Das erklärt, dass durch hartnäckig missbräuchliche Verwendung der Publizist in Verruf geraten ist.

Haffner
(Foto: SZ vom 30.12.02)

Sebastian Haffner jedenfalls, ein Publizist von höchsten Graden, war viel zu sehr dem Understatement zugeneigt, um diese Berufsbezeichnung für sich in Anspruch zu nehmen.

So viel Bescheidenheit konnte sich Haffner umso eher leisten, als sie in seinem Fall keineswegs geheuchelt, sondern Charaktermerkmal war. Zudem genügte allein sein Name, der gleichermaßen ein nom de plume wie de guerre war, um seine Bedeutung jedermann gegenüber kenntlich zu machen.

Als Sohn eines aus Pommern stammenden Schulrektors wurde er unter dem Namen Raimund Pretzel am 27. Dezember 1907 in Berlin geboren. Seiner Herkunft wie seinem Geburtsort schuldete er eine weitere charakterliche Prägung, die er gerne öffentlich ausstellte, indem er sich als "Preuße" qualifizierte.

In Westdeutschland, wo dieser durch die wahrhaft kindische Entscheidung der Alliierten zum Anathema gestempelte Staat für lange Zeit folgsam gering geschätzt wurde, war solches Bekenntnis eine Provokation.

Um eine solche war es Sebastian Haffner - das Pseudonym legte er sich Zeit seiner Emigration in London 1938 zu, um durch seine journalistische Tätigkeit die in Deutschland verbliebene Familie nicht zu gefährden - aber keineswegs gegangen, sondern lediglich darum, aus seiner Haltung keinen Hehl zu machen. Damals in England wurde er vom Geheimdienst MI5 bespitzelt, dessen Dossier jetzt veröffentlicht wurde.

Dieser Wille zur Haltung war der dritte hervorstechende Charakterzug Haffners. Es war diese Haltung, die ihn dazu bestimmte, den ursprünglichen Berufswunsch, Richter zu werden und für den er sich qualifiziert hatte, nach 1933 unter dem Naziregime nicht zu verwirklichen.

Stattdessen wandte er sich dem Kulturjournalismus zu und schied aus der Sicherheit des Staatsdienstes aus. Diese Haltung gab 1938 den Ausschlag für die Entscheidung, mit seiner jüdischen Verlobten nach London zu emigrieren.

Schließlich verschaffte eben diese Haltung dem publizistischen Schaffen Haffners jene brillante Eigenart, die es unverwechselbar und faszinierend macht, obwohl seine Prosa eher schmuck- und glanzlos ist, sie dafür aber den reinen Gedanken, der sie durchherrscht, umso nachdrücklicher zur Geltung bringt.

Sebastian Haffner, der von 1954 bis 1961 als Deutschlandkorrespondent der Londoner Sonntagszeitung The Observer arbeitete, war dem deutschen Publikum damals allenfalls als häufiger Gast in Werner Höfers Frühschoppen bekannt, auch wenn er mit seinen prononciert konservativen Meinungsbeiträgen keineswegs über die Leisten dieser Runde schlug.

Das änderte sich schlagartig mit der "Spiegel-Affäre" von 1962, die bei Haffner zwar weder einen Sinnes- noch einen Gesinnungswandel auslöste, sondern ihn allenfalls dazu veranlasste, sich wieder seiner Haltung zu besinnen.

Von außen betrachtet nahm sich dies wie ein Frontwechsel aus: Haffner, so mochte es scheinen, wandelte sich vom enragierten Konservativen zu einem irgendwie linksrepublikanischem Wertkonservativen, der mit seiner häufig großes Aufsehen erregenden Kolumne in der Illustrierten Stern, die seit 1963 erschien, rasch zu publizistischem Ruhm gelangte.

In seinen Kolumnen für den Stern wie auch für das weit links positionierte Magazin Konkret brillierte Haffner mit damals höchst eigenwilligen Vorschlägen zur Deutschlandpolitik, deren Verkrampfung von ihm lebhaft empfunden wurde. Statt des Festhaltens an politisch fiktiven Rechtspositionen plädierte er für Zugeständnisse an die DDR, deren Anerkennung er zu einem Zeitpunkt empfahl, zu dem ein solcher Vorschlag noch als Hochverrat galt.

In ihrer Summe formierten sich Haffners deutschlandpolitischen Anschauungen zur Vorwegnahme jener sozialliberalen Politik des Kabinetts Brandt/Scheel, die dem "Wandel durch Annäherung" huldigte und die einen entscheidenden Beitrag zur Vorbereitung der Wiedervereinigung leistete.

Sebastian Haffner war jedoch klug genug, seine publizistischen Erfolge als Kolumnist des Stern überleben zu wollen. Wie recht er damit hatte, zeigt der Umstand, dass erst mit seiner Abkehr von diesem Blatt 1975 sein Spätwerk einsetzte, das ihn als Verfasser historisch-politischer Essays zur deutschen und preußischen Geschichte mit einem Mal zu einer der dominierenden Gestalten im geistigen Leben der Bundesrepublik machte.

Seine 1978 veröffentlichten Anmerkungen zu Hitler gelten bis heute fraglos als ein Meisterwerk der Historiographie. Mit diesem Buch, das ein Wunder an Anschaulichkeit bei gleichzeitiger äußerster Verknappung ist, gab Haffner seine Löwenpranke zu erkennen, von der man seit dem Erscheinen seiner Churchill-Biographie (1967) eine erste Ahnung haben konnte.

Seinen nächsten großen Triumph als erfolgreicher Autor historiographischer Essays konnte Haffner ein Jahr später mit dem üppig illustrierten Prachtband Preußen ohne Legende feiern, das einen entscheidenden Beitrag für die Revision des Preußenbildes leistete.

Haffner, der am 2. Januar 1999 wie der von ihm verehrte Winston Churchill im Alter von 91 Jahren starb, war eine seltene Persönlichkeit, die, obwohl sie in der großen Öffentlichkeit stehend ihre Wirkung entfaltete, dennoch ganz hinter hinter der publizistischen Aussage und dem essayistischen Werk zurücktrat.

Wer das Glück hatte, Haffner zu begegnen, war nicht nur von seinem präzisen Geist oder seiner makellosen Formulierungskunst beeindruckt, sondern vielleicht noch mehr von seiner Bescheidenheit, seiner altmodischen Höflichkeit wie seiner ausgeprägten Fähigkeit, zuhören zu können. In seinen großen Augen, deren an einen Basilisken gemahnende Intensität des Blicks durch die hohe Stirn, die sich effektvoll darüber wölbte, noch verstärkt wurde, glomm das Feuer stets wacher, stets sympathischer Neugier.

Barbara Klemm hat ihn in seinen späteren Jahren einmal in seiner Berliner Wohnung fotografiert. Wie stets sorgfältig gekleidet sitzt Haffner auf einer Chaiselongue, den unvergesslichen Blick auf den Betrachter gerichtet. Das war seine Haltung.

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