SZ-Serie: Aufmacher (XIX):Eine halbe Ohnmacht

SZ-Serie über große Journalisten (XIX): Der "Spiegel"-Mythos des Rudolf Augstein

MICHAEL JÜRGS

In Zeiten wie diesen werden sie vermisst. Kommentare von Rudolf Augstein gegen den Wahnsinn des Krieges und seiner Folgen für Befreier und Befreite. Donnerwetter gegen einen sich offen auf Gott berufenden US-Präsidenten bar jeder Einsicht in dessen eigentliche Botschaft: Friede den Menschen. Viele schreiben in diesen Zeiten gegen George W. Bush, und einige schreiben besser als der Spiegel- Gründer schrieb. Manche traf Augstein ins Herz, das kalte, andere zwischen die Augen, die schmalen. Doch war er nie betroffen. Er pflegte zu treffen.

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(Foto: / SZ v. 14.04.2003)

Der Mann, dessen Tugend der Zynismus war, an dem er sich festhielt, um weder zu moralisieren noch zu langweilen, war der wichtigste deutsche Journalist der Nachkriegszeit.

Seine Geschichte, beginnend mit der ersten Ausgabe des Spiegel vom 4. Janauar 1947, ist die Biografie eines Mannes, der aus der Ohnmacht der vierten Gewalt ein mächtiges Sturmgeschütz der Demokratie formte, und die ist spätestens nach seinem Tod am 7. November 2002 zur Legende geworden. Sie muss hier nicht wiederholt werden. Passender zu Augstein lieber ein Zitat von Augstein: "Ich war eine halbe Ohnmacht."

Viele fühlten sich aufgerufen, dem im Alter von 79 Jahren Gestorbenen in die Ewigkeit nachzurufen, doch wenige waren berufen. Da er sich per Einstweiliger Verfügung nicht mehr wehren konnte, las man statt dieser Gegendarstellung am Ende viele Selbstdarsteller.

Was Augstein tatsächlich bei seinen Freunden schätze, gab er einst im F.A.Z.-Magazin-Fragebogen zu Protokoll: "Dass es wenige sind." Da der Kopfmensch so wunderbar tief aus dem Bauch heraus lachen konnte, hätte er sich grollend amüsiert über die Attribute, mit denen er posthum bekränzt worden ist, danach die Wortgirlanden weggepustet und sich vom Grabschmuck der Schmocks befreit: Querdenker, scharfer Hund, unbeugsamer Demokrat, Melancholiker, Ironiker, brillanter Analytiker, groß im Irrtum, gnadenlos im Urteil, Nationalliberaler, deutscher Patriot, Weltbürger usw.usw.

Für die Generation, die nach ihm geboren wurde, in Brechtscher Diktion auch die Nachgeborenen genannt, weil das bedeutender klingt als Generation plusminus 1945, war er nach der so genannten Spiegel-Affäre 1962, die eigentlich eine Strauß-Affäre war, ein Held. Die Rolle lehnte er als ihm wesensfremd ab. Wir lehnten uns dennoch an. F.A.Z.-Herausgeber Frank Schirrmacher: "Ohne ihn wären wir andere geworden." Augstein und sein Magazin, dem zu entfliehen ihm zeitlebens nie gelang, machten aus der verknöcherten Demokratur eine offene Demokratie. Utopia hieß die Endstation unserer Sehnsucht. Die teilte er, doch glaubte der unheilbare Denker selbstverständlich nicht daran: "Irdisches Glück ist nicht wünschbar."

Er verachtete, selbst mächtig, doch nie selbstgerecht, die Arroganz der Macht, egal in welchem Gewand - ob katholisch oder sozialdemokratisch, christsozial oder gewerkschaftlich - sie einherschritt. Den Herrschenden in Staat, Kirche und Wirtschaft hielt er seinen Spiegel vor und machte sie bei Bedarf lächerlich. Gab es Erfolgsformeln für den journalistischen Verleger, der in Hannover als wachsamer Träumer begann? Vielleicht die: Erstens "wollten wir nur das schreiben, was wir, hätten wir das Blatt nicht, anderswo lesen wollten"; zweitens "vor keiner Autorität, nicht einmal vor einer befreundeten" kuschen; und drittens bedeute zu informieren letztendlich zu verändern, nur so könne man die "besiegten Deutschen für die menschliche Kultur zurückgewinnen". An diese frühen Regeln hielt er sich, nach ihnen wurde in seiner Mannschaft gespielt. So einfach kann beschrieben werden, was Journalisten von Marktschreiern unterscheidet.

Er kannte keine Gnade, auch nicht für sich selbst. Der Aufklärer neigte nicht zur Verklärung. Der Menschendurchschauer Rudolf Augstein wäre gern Schriftsteller geworden. So hat Marcel Reich-Ranicki, auch kein großer Schreiber im wörtlichen Sinne, in seinem sentimentalen Nachruf die Neigung des Verlegers zu Dichtern und Denkern interpretiert. Einer von jenen, ein Lebensfreund, blieb ihm unsentimental treu sogar im Abschied. Martin Walser schrieb: "Man wird doch auch noch schreien dürfen. Wenn so einer stirbt. So ein toller Kerl. Sense."

Dass Augstein wurde, wie er war und was er war, ist für die Republik aber wesentlicher gewesen als jedes selbst verfasste Drama, jedes Gedicht, jeder Roman. Seine Gegner in wachsender Zahl waren ihm anfangs eine Lust. Adenauer. Strauß. Päpste. Als die Zeiten begannen, in denen sich Zwerge in den Radkappen ihrer Staatslimousinen kämmten und für Riesen hielten, wurde ihm mangels gegnerischer Klasse der Kampf zur Last. Er beschäftigte sich mit Preußens Friedrich und die Deutschen und Jesus Menschensohn und Wagner und Bismarck, war lesend und suchend und analysierend aber vor allem fasziniert von der ihm unerklärlichen Banalität des Bösen. Adolf Hitler zum Beispiel.

Darf man ihn so preisen als einen Großen der Zunft? Der die Kirche mied, aber Gott suchte? Der die Frauen leidenschaftlich besang, aber ihr Geheimnis nie verstand? Der sich stoisch an einem Bein anpinkeln ließ, aber mit dem anderen freien zu trat? Ja, darf man. Einen wie ihn wird es nicht mehr geben auf dem Jahrmarkt der Eitelkeiten.

Ein Alt-Kanzler - nein, der nicht - hat ihm einen wunderbaren Satz ins Jenseits geschickt, dabei den Verlust im Diesseits gleich tiefer gehängt, wie es hanseatische Art ist: Jedem alten Menschen, der davongeht, folgt alsbald ein jüngerer nach, meinte Helmut Schmidt lakonisch. Das stimmt zwar im allgemeinen, aber in der Branche, deren größter gemeinsamer Nenner Augstein war, stimmt es eben nicht. Wäre ihm allerdings das ewige Leben angeboten worden, hätte er es selbst in Gottes Namen nicht genommen. Auch das spricht für ihn.

Der frühere Zeit-Herausgeber Theo Sommer sah voraus, dass sein Licht, den "erloschenen Sternen gleich, noch lange durch das Dunkel strahlt". Die nach ihm gekommen sind, werden entweder in der bunt lackierten Langeweile ihrer Blätter untergehen, wenn die fallen, oder an der ihnen eigenen Sprachlosigkeit, falls die mal auf sie zurückfällt. Mit einem Satz des Spiegel-Reporters Cordt Schnibben könnte man den Versuch über Augstein beenden: "Wir haben Asyl gefunden in den Blättern unserer Väter, und Augsteins Herberge ist die beste aller Burgen. Sie bietet den Enthüllern Rückendeckung, sie bietet den Erklärern das Archiv, sie bietet den Erzählern Zeit und Raum - allen zusammen bietet sie genug Geld, um frei zu sein."

Man muß aber aktuell damit enden, dass die Zahl der journalistischen Asylbewerber, die für jede noch so schiefe Hütte dankbar wären, inzwischen in die Tausende geht. Doch dies ist eine andere Geschichte.

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