"Syro" von Techno-Tüftler Aphex Twin:Neues vom Trickser

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43 Jahre ist er jetzt alt. Familienvater mit zwei Kindern. Und allem Anschein nach kein Psychopath, sondern ein sehr freundlicher, sehr verliebter Mann: Aphex Twin, hier 2008 in Kalifornien. (Foto: Getty Images/AFP)

Das neue Album des Anti-Popstars Aphex Twin wird von Fans und Kritikern als Pop-Ereignis gefeiert. Dabei ist "Syro" nostalgisch, eine Compilation ohne Hit. Den Wirbel gibt es, weil die Fans es so wollen.

Von Jan Kedves

Das debilste Grinsen der elektronischen Musik ist zurück, die halbe Popwelt ist wuschig deswegen. Von Plakatwänden und Magazintiteln schickt uns Richard D. James seine legendär verkrampfte Aphex-Twin-Grimasse entgegen. Über London fliegt gar ein Zeppelin, der die Rückkehr des als genial wahnsinnig geltenden Helden der elektronischen Musik bewirbt. Auf Facebook und Twitter entlädt sich ein Sturm der Liebesbekundungen, und auch in der Presse fast nur Lobeshymnen auf "Syro", das neue Album von Aphex Twin.

Doch Moment mal - "elektronische Musik"? 13 Jahre lang hat Richard D. James kein neues Aphex-Twin-Material veröffentlicht. 13 Jahre, in denen der Begriff ziemlich zerbröselt ist. Jegliche aufgenommene Musik ist heute "elektronisch", Schlager enthält genauso viel digitales Sounddesign wie Rock oder Klassik. Während der Begriff einst eine innovative, futuristisch anmutende Produktionsweise beschrieb, ist elektronische Musik heute eine Stilkategorie, eine ästhetische Konvention.

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Wieso ist da vorher niemand drauf gekommen? Iggy Pop soll einen Serienmörder spielen. Von David Bowie geistert ein neuer Song durchs Internet. Und Julian Casablancas greift wieder zum Verzerrer.

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Die Welt steht kopf

Neue Sounds hört man eher im R&B, während Techno und House klanglich konservativ geworden sind. An das einst stilprägende Kürzel IDM ("Intelligent Dance Music"), das filigrane Sequenzer-Tricksereien von Künstlern wie Aphex Twin vom angeblich stupiden Bummbumm der ravenden Massen abgrenzen sollte, erinnert sich fast niemand mehr. Dafür gibt es jetzt EDM ("Electronic Dance Music"), einen vergleichsweise neuen Begriff aus den USA für brachial bollernden Dubstep, der Stadionrock als funktionalen Sound zum Fäusteballen, Haarschütteln und Breitbeinig-an-Festivalzäune-Pinkeln abgelöst hat.

Man könnte also sagen: Die Welt, in die Aphex Twin zurückkehrt, steht kopf.

43 Jahre ist er jetzt alt. Familienvater mit zwei Kindern. Und allem Anschein nach kein Psychopath, sondern ein sehr freundlicher, sehr verliebter Mann. Berichte über jüngste Interviewbegegnungen mit ihm schildern, wie er stets in Begleitung seiner neuen Frau Anastasia erscheint, mit der er seit zwei Jahren zusammen ist und die dem Gespräch beisitzt, um eine Zeichnung von ihrem Mann und dem jeweiligen Journalisten aufs Blatt zu werfen. Das klingt schon besorgniserregend.

Das Musikstudio von heute: ein Computerprogramm

Auch merkwürdig ist die Tatsache, dass er jetzt all die obskuren Analog-Kistchen, mit denen er seine Sounds kreiert, im Artwork auflistet. Das tat er sonst nie, obwohl seine Fans es immer von ihm wollten. Warum jetzt? Das elektronische Musikstudio ist heute schließlich längst kein mythischer Ort mehr, es ist in ein Laptop oder Tablet hineingeschrumpft, als Software, die sämtliche Sounds per Plug-in emulieren kann - auch die seltener Synthies. Das Musikstudio von heute ist ein Computerprogramm und heißt "Ableton Live", man kann sich darin nicht mehr bunkergleich verschanzen oder mit produktivem Zufall in Kabeln verheddern. Die Herausforderung ist, mit dem Ableton-Standard etwas zu produzieren, das sich abhebt.

Auch was den Einsatz von Stimmen angeht, verhält sich James mit "Syro" ganz anders, als man es von ihm kannte. Der große Moment seines Hits "Windowlicker" (1999) bestand darin, wie sich in ihm Gesangsfragmente ungeklärter Herkunft dank raffinierter Cuts und Montage zu einem raffiniert poppigen Refrain verbanden. Jetzt sagte er - in einem Interview mit dem Onlinemagazin Pitchfork -, von wem all die kleinen Sprach- und Gesangsfetzen auf "Syro" stammen: aus den Mündern seiner Kinder, seiner Eltern und seiner Frau.

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All dies scheint den Produzenten doch arg in die Nähe des Prog zu rücken, und auch in Nachbarschaft einer anderen britischen Pop-Ikone, die ebenfalls nichts lieber tut, als sich jahrelang in ihrem privaten, auf ihre eigenen Bedürfnisse zugeschnittenen Studio abzuschotten und ab und zu mal ihren Sohn mitsingen zu lassen. Ist Aphex Twin jetzt so etwas wie die Kate Bush der elektronischen Musik? Nein, Kate Bush ist nicht so nostalgisch.

"Syro" hingegen ist sehr nostalgisch. Das Album klingt, als liefe man durch ein Museum, in dem man schon häufig war, in dem jetzt aber neue Beleuchtung installiert wurde, sodass man genau das sieht, was man schon immer gesehen hat, nur einen Tick besser ausgeleuchtet.

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Wirbel um das neue Album

Da ist "CIRCLONT14 (shrymoming mix)", so etwas wie eine auf Highspeed beschleunigte Schredder-Version von Alexander Robotnicks Proto-Acid-Hit "Problèmes d'Amour" von 1983. Da ist "4 bit 9d api+e+6", ein hübsches Stück Electro-Funk, in dem gezeigt wird, wie man viereinhalb Minuten lang redundanzfrei von einem Thema zum nächsten hangeln kann, ohne dabei chaotisch oder überfrachtet zu wirken. Da ist "syro u473t8+e (piezoluminescence mix)", ein Track, in dem wiederum das "Problèmes d'Amour"-Thema auftaucht und später - wirklich schön - zwei Basslinien im Duett singen, eine im rechten Kanal, die zweite im linken. Es wird beschleunigt auf Drillbeat (163,97 Beats pro Minute) und abgebremst auf entspannte 101 BPM. Jeder Track im Viervierteltakt. Soweit alles im Rahmen, bekannte Parameter, gut gemacht, teils brillant - aber rechtfertigt es wirklich den Wirbel um dieses neue Album?

Nein, den Wirbel gibt es, weil die Fans es so wollen und die vermittelnden PR-Agenten es so brauchen. Die "Generation Warp" - zu 85 Prozent männlich, bildungsbürgerlicher Hintergrund, Indierock-Sozialisation, aber anspruchsvoller Elektronik gegenüber aufgeschlossen, inzwischen mehrheitlich über Mitte 30 - will scheinbar, nach all den Jahren des desorientierenden Klickens durch MP3-Banken, noch einmal das Gefühl haben, dass die Sehnsucht nach dem einen, verbindlichen Werk und dem großen Genie nicht sinnlos war.

Deshalb ist es jetzt auch egal, dass Aphex Twin eigentlich nie ein großer Albumkünstler war. Die Stücke, die ihn zur Legende machten - neben "Windowlicker" etwa "Come to Daddy" (1997) - wurden damals als Single oder EP veröffentlicht, sie waren nie auf Alben enthalten. Auch "Syro" klingt eher wie eine Compilation einzelner Tracks als wie ein konzeptuell stimmiges Album. Einen echten Hit gibt es nicht.

0,00099 britische Pfund für Online-Banner in Norwegen

Es ist also irgendwie alles ein Missverständnis. Richard D. James scheint das zu ahnen, er listet im Artwork auch sämtliche Ausgaben auf, die nötig waren, um "Syro" zum Ereignis zu machen. So erfährt man auf dem Cover einer CD- oder Vinylkopie des Albums genau, wie viel vom jeweiligen Einzelhandelskaufpreis vorab anteilig in die Bewirtung von Journalisten in New York oder in Plakatierungen in Hamburg, Köln und Berlin geflossen ist. Außerdem gingen 0,00099 britische Pfund für Online-Banner in Norwegen drauf. Die Marketing-Ausgaben offenzulegen ist nicht unclever: Viele werden es für eine kritische Distanzierung zum Geschäft halten. Und ganz nebenbei untermauert Richard D. James so seinen Status als glaubwürdig-schelmischer Anti-Popstar. Grins!

Anders gesagt: Wären die "Syro"-Tracks auf Vinyl mit Blankolabel erschienen, oder hätte Richard D. James sie unter anderem Namen in eine der gängigen Streaming-Wolken geladen, ohne Warp, ohne Zeppelin, ohne Grinsen - es wäre wenig passiert. Möglicherweise nichts. Im Pitchfork-Interview erzählte er, dass er es im Grunde vorziehe, seine Musik anonym zu veröffentlichen, dann seien "die Reaktionen, die man auf seine Arbeit bekommt, ehrlicher".

© SZ vom 16.10.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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