Synthetische Aufregungskampagne:Der Da Vinci Kot

"Sakrileg", das Buch von Dan Brown ist verfilmt worden und läuft bald an. Doch ein Sakrileg steckt nicht in dem Buch. Ein Sakrileg ist die synthetisch erzeugte Welle der Aufregung, die Buch und Film in den Nachrichten halten soll.

Bernd Graff

Für reichlich Aufregung ist gesorgt: Aufregung über einen Autor, Aufregung über ein Buch, Aufregung in der katholische Kirche, Aufregung bei ansonsten unverdächtigen Paris-Touristen, Aufregung unter Kunst-Historikern und Aufregung über einen Film zum Buch. Man weiß nun gar nicht, was einen mehr wundern soll: Die Vielzahl stachelartig erblühter Aufregungen oder die Tatsache, dass sich eine professionell arbeitende PR-Maschine so liebvoll um die Aufzucht dieser Stacheln gekümmert hat, die nun immer irgendwem im Fleisch sitzen sollen.

Es geht um ein Buch, der Amerikaner Dan Brown hat es geschrieben. Der Mann ist eigentlich Englischlehrer in New Hampshire - und muss wohl auch in den Besitz eines Computerprogramms geraten sein, dass auf Knopfdruck die narrative Struktur von Drehbüchern zu jedem beliebigen Thema erstellt. In diesem Fall wohl aus der Abteilung: Kunstwerkkrimi mit religionshistorischen Einsprengseln.

Brown ist der Sohn eines Mathematikers und einer Kirchenorganistin, und so lag diese Rubrik wohl ganz oben in seiner Textbaustein-Sammlung.

Das Buch heißt im Original, fast schon entsprechend: Da Vinci Code. Denn schon in diesem Titel prallen klassische Kunst und moderne Zeichenwissenschaft ungebremst aufeinander.

Der deutsche Verlag hat es indes in "Sakrileg" umgetauft. Dies trägt nun ebenfalls PR-programmatische Züge: Denn ein Sakrileg ist - laut Duden: 1. ein (religiöses) Vergehen gegen geheiligte Gegenstände oder Stätten, eine Entweihung, ein Frevel oder 2. eine (religiöse) Lästerung von Glaubensgrundsätzen, eine Gotteslästerung oder 3. eine Verunglimpfung, Beleidigung verehrter oder hoch angesehener Personen, ein Vergehen an Verehrung genießenden Gegenständen.

Folgt man nun diesen Definitionen und versucht, sie auf das Buch anzuwenden, dann wird sehr schnell deutlich, dass nicht das Buch ein "Sakrileg" zum Thema hat, sondern, dass es offenbar selber eines begeht, bzw. begehen soll.

Denn im Paris des Dan Brown, von dem noch niemand wusste, dass es so viele Klippen für dramaturgisch stimmig gesetzte Cliffhanger aufweist, in diesem Paris hetzt ein sympathisch unbedarfter Geisteswissenschaftler, eine Art Anti-Indiana Jones, Spuren nach, die ihm eine Leiche im Louvre gelegt hat. Das Buch macht einen ziemlichen Buhei darum, dass diese Spuren in Richtung auf eine uralte, geheime Gegenöffentlichkeit, ein spirituell-spiritistisches Paralleluniversum, führen, das seine Wurzeln, sage und schreibe, bis auf die Lebzeiten Jesu Christi zurückverfolgen möchte.

Denn, so die kunstvoll aufgeschäumte These, diese Gegenöffentlichkeit erkenne in Maria Magdalena nicht die biblische Sünderin, sondern die historische Gattin Jesu, der mit ihr zudem ein Kind gezeugt habe. In den Wirren der heiligen Stunde Null seien Mutter und Kind außer Landes und eben nach Frankreich verbracht worden. Und seitdem lebe dieser in Vergessenheit geratene Stamm mit seinen Nachkommen im Verborgenen, verstehe aber ordentliche Orgien zu arrangieren, bei denen es aus Weiblichkeits-kultischen Gründen zugehe wie bei Hempels unterm Sofa.

Nun blühe, so das Buch weiter, dieser Orgien-Orden aber längst nicht mehr selbstzufrieden in einem verborgenen Party-Keller der französischen Hauptstadt, sondern weltweit gerade auch dort, wo finanztechnisch was los ist, sprich: wo ökonomische, kirchliche und weltliche Macht sich Guten Tag und sowieso Gute Nacht sagen.

Denn, und hier liegt eine der Lunten für die vielen Aufregungs-Sprengsätze, einige der bedeutendsten gesellschaftlichen Positionen des Abendlandes seien seit jeher von eben diesen Magdalena-Sprösslingen und ihren Lordsiegelbewahrern besetzt worden, seien also quasi von einer Clique mit dezidiert eigenen Interessen unterwandert.

Außerdem, und das holt nun endlich die Kunstgeschichte und in Folge die Kunsthistoriker ins schwankende Boot, sende diese kleine, feine Infiltrationsgesellschaft schwer chiffrierte Klopfzeichen aus, um sich, der Welt oder wem auch immer, die "Still-Alive-And-Kicking"-Botschaft zu verkünden - und sowieso die Rätselmuskulatur zu trainieren.

Unter diesen Trainern sei dann kein Geringerer als Leonardo Da Vinci gewesen, dessen "Abendmahl" durch das Buch eine interessante Deutung erfährt.

Darauf seien nicht nur Jesu Jünger, sondern eben auch seine Gemahlin gelistet. Doch der Zeichen ist damit nicht genug: Wo sich in Paris was Altes türmt, in Kirchen, vergessenen Tempelstätten und sowieso im Louvre, seien auf einander verweisende Zeichen zu finden, die insgesamt so etwas wie einen alternativen Falk-Plan durch die Stadt bildeten. Dem gehen nun nicht nur Anti-Indy, sondern auch Gefolgsleute des noch real existierenden Katholenzirkels "Opus Dei" nach, die denn hier auch die Rolle der dunklen Bad Guys besetzen, es faustdick unter der Kutte haben und ihr Tagwerk sowieso mit Selbstgeißelung beschließen.

Soweit das Setting. Es ist spannend, witzig, unterhaltsam und nie langweilig. Das Buch ist zu Recht weltweit an 50 Millionen mal verkauft worden. Bessere Kurzweillesekost hat selten einen Computer verlassen. Und das völlig unabhängig von der nur banal zu nennenden Frage, ob denn die Brownschen Herzensergießungen eine Unterwanderungsrealität des Allerheiligsten tatsächlich "as is" beschreiben.

Dennoch: der Hype um das Buch setzt genau darauf und erfuhr so immer weitere Stimulanzien. Sei es durch einen vor Kameras ausgetragenen Plagiatsprozess, den man von Seiten eines Autoren gegen Dan Brown anstrengte, der das alles auch schon mal aufgeschrieben haben wollte; sei es durch die Verlautbarung, dass sich die katholische Kirche nicht in allerbestem Licht portraitiert sah; sei es, dass "Opus Dei" einen kleinen Hinweis eingebaut haben wollte, dass es nicht wirklich eine Psychopathen-Rekrutierungsagentur sei - oder sei es durch die Tatsache, dass Tom Hanks in dem Film zum Buch (eigentlich ein Film zum Buch zur Drehbuchsoftware) diesen Jäger der Krempelritter geben wird.

Keep the meal cooking!

Um den Film hat es Geheimhaltungs-Präliminarien gegeben, die jeden Staatsbesuch von George W. Bush in Bagdad in den Schatten stellen würden. Julia Encke hat in einem äußerst lesenswerten Artikel für die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung darüber berichtet: "Als vor gut zwei Monaten Regisseur Ron Howard Berlin besuchte, um 35 Minuten seines "Da Vinci Codes" zu präsentieren, ging es am Potsdamer Platz zu wie am Flughafen: Sämtliche Taschen, Mäntel und Mobiltelefone mussten abgegeben, es musste per Unterschrift versichert werden, dass man nichts über die Bilder verraten würde. Mit Headsets ausgestattete Hostessen schleusten die Gäste durch Metall-Detektoren in den Kinosaal - und es fehlte eigentlich nur noch, dass man beim "Piep" die Stiefel hätte ausziehen müssen. ... Die Sequenzen waren zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht richtig geschnitten, also völlig durcheinander. Trotzdem meinte man, alles bereits aus dem Buch zu kennen."

Und so kommt es, dass außer diesen 35 gestoppelten Minuten noch kaum jemand etwas von diesen Film gesehen hat. Das wird sich ändern, denn er wird in dieser Woche die Filmfestspiele in Cannes eröffnen und alsdann die Kinos der Welt schwemmen.

Wollte man nun in den Diskurs einsteigen, den Autor Brown und Regisseur Howard da betreiben, dann sollte man einen Fehler nicht begehen: Man sollte der PR-Maschine nicht auf den Leim gehen.

Also: Die Diskussion um die Wahrhaftigkeit des Fiktionalen kann man knicken. Buch und Film beschreiben keine Realität - was übrigens Tausende von Paris-Touristen bestätigen werden, welche die harmlose Kirche Saint-Sulpice mit gezücktem Brown aufsuchten, um nach den Geheimbotschaften zu fahnden, die das Buch dort lokalisiert hat.

Und was auch der von der "Zeit" georderte Kunsthistoriker Frank Zöllner untermauerte, der Leonardos Bilder deutungshistorisch wieder gerade rückte.

Nein, um Wahrheit oder Fiktion geht es nicht in dem Buch - um Wahrheit und Fiktion geht es im Vorfeld der knatternden PR-Motoren. Die synthetisch stilisierte Skandalisierung einer nicht vorhandenen Lästerung ist die einzige Wahrheit im Umkreis des Buches. Und das ist - wenn man es dem souveränen Statut eines Romans überblendet, kaum weniger als ein Sakrileg an der Literatur. Der Film wird gute Unterhaltung sein, das Buch ist gute Unterhaltung. Brown ist ein guter Spieler, der sein Metier beherrscht und aufzeigt, dass man vor der Kultur des Abendlandes nicht immer in die Knie gehen muss, um sie zu respektieren. Wir wünschen Howard eine adäquate Souveränität im Umgang mit seinen Bildern.

Sprechend das Buch also nicht in Bildern und Zeichen. Sprechend ist - vor den Buchdeckeln, vor den Kinotüren - der ungebremste Vermarktungswille für beide Medien, der nicht einmal Orgelregister auslässt, um auf der selbst erzeugten Welle zu surfen.

Und so werden eben Echt-Unecht-Spielchen gespielt, die bewusst Schwarze Löcher für raunende Bedeutung im Universum der Zeichen aufreißen, wird mit Dementi und Gegendementi keine Wahrheit des Sakralen enthüllt, sondern die einzige Wahrheit der PR sakralisiert: Es ist die des Geldes.

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