Suters neuer Film "Nachtlärm":Mit Schreibaby bei Tempo 130

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Ein Gaunerpaar, zwei verzweifelte Eltern und ein kleines Kind auf der Autobahn: Erfolgsautor Martin Suter entwickelt in "Nachtlärm" ein Ehepsychogramm mit Drive. Und eine durchaus komische Reminiszenz ans wilde amerikanische Action-Kino. Showdown im Frühnebel inklusive.

David Steinitz

Das Baby, dieses Monster, gibt erst Ruhe bei 130 km/h. Deshalb sitzen die übermüdeten, gereizten Eltern (Alexandra Maria Lara und Sebastian Blomberg) mitten in der Nacht in ihrem alten Golf und chauffieren den Nachwuchs über die Autobahn - in unzähligen durchbrüllten Nächten haben sie dort die perfekte Einschlafgeschwindigkeit für den Kleinen eruiert.

Carol Schuler als Clair und Georg Friedrich als Jorge mit dem unfreiwillig entführten Kleinkind Tim in "Nachtlärm" von Martin Suter. (Foto: dpa)

Nachtlärm" ist der zweite gemeinsame Spielfilm des Schweizer Dauerbestseller-Autors Martin Suter - der sich wieder ein Originaldrehbuch ausgedacht hat - und des Schweizer Regisseurs Christoph Schaub. Ihre erste Zusammenarbeit war 2010 "Giulias Verschwinden", ein Großstadt-Liebesfilm mit Corinna Harfouch und Bruno Ganz, stark dialoggetrieben, mehr in der Erzähltradition des Theaters als des Kinos.

Nun aber hat Suter, der schon in seinen Romanen gerne von träumerisch-obsessiven Zwischenwelten erzählt, sich ganz aufs Kino eingelassen, mit einem Roadmovie, das im geisterhaften Kosmos der fast menschenleeren nächtlichen Autobahnen und Raststätten stattfindet. Rote Augen, miese Laune, nicht unbedenkliche Begegnungen - der Nachtmensch ist ein Urgewächs der Filmgeschichte.

Normalerweise ist die neurotische Beziehungssuche im Kino das große Thema und nicht die harte Beziehungsarbeit zwischen den Menschen, doch Suter und Staub interessiert nicht der Flirt davor, sondern der Stress danach: Wie viel Liebe mag übrig bleiben, wenn die Beziehung von einem Babyphone terrorisiert wird ...

Autoklau in der Pinkelpause

In der Pinkelpause wird den Eltern plötzlich das Auto geklaut, von einem bekifften Gaunerpärchen (Carol Schuler und Georg Friedrich), das zu spät bemerkt, was für einen Schreihals es sich da auf seiner spontanen Spritztour aufgehalst hat. Kurz entschlossen klauen auch die verzweifelten Eltern einen Wagen und rasen dem Nachwuchs hinterher - kann das wirklich sein, dass sie dessen erbarmungslose Schreierei auf einmal herbeisehnen? Um das Tempo auch wirklich hoch zu halten, schicken Suter und Schaub ihnen noch einen Gangster hinterher, auf dem Motorrad - sein schicker roter Mercedes ist es, an den die Eltern zufällig in ihrer Not geraten sind.

Fliehen und Verfolgen, "Nachtlärm" ist eine kleine, durchaus komische Reminiszenz ans wilde amerikanische Action-Kino geworden, wo sich die Story gerne von Schwindel und Geschwindigkeit treiben lässt bis an den Rand der Auflösung - einer der großen Meister dieses Genres war Tony Scott, der Anfang dieser Woche gestorben ist. Ganz so spektakulär geht es auf den Schweizer Straßen sicher nicht zu, aber auch die labyrinthische Peripherie entleerter Landstraßen und Dorfplätze, in die die drei Nachtraser-Parteien sich verirren, erweist sich schnell als Ort aggressiver Anarchie.

Natürlich muss das ganze Tohuwabohu am Ende kathartisch auf die frustrierten Eltern wirken, die eine fiese Karikatur moderner Mitdreißiger-Pärchen abgeben - die sich das Leben doch so ganz anders vorgestellt hatten und die im Babystress die Lust an- und aufeinander verloren haben. Dass aber selbst ein Schreikind zu Mama und Papa gehört, diese Lehre wird im Morgengrauen gezogen. In einem Showdown im Frühnebel, ohne Worte, der mehr über das Elternsein verrät als die endlosen Streitereien zuvor. Auf einmal hat der Vater da eine Pistole in der Hand.

Nachtlärm, CH/D 2012 - Regie: Christoph Schaub. Buch: Martin Suter. Kamera: Nikolai von Graevenitz. Schnitt: Marina Wernli. Mit: Alexandra Maria Lara, Sebastian Blomberg, Georg Friedrich, Carol Schuler, Andreas Matti. X Verleih, 91 Minuten

© SZ vom 23.08.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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