Suhrkamp zieht nach Berlin:Der Main wird kälter

Der Umzug des Verlags nach Berlin ist das Symptom einer Krise - nicht der "Suhrkamp-Kultur", sondern des Geschäftsmodells "Suhrkamp Verlag".

Lothar Müller

Nun ist es also, nach Wochen des Zauderns, Zerrens und Zagens, heraus: Der Suhrkamp Verlag teilt mit, dass er von Frankfurt am Main nach Berlin zieht. In Frankfurt bleibt lediglich eine Dependance, der Umzug ist für Anfang 2010 geplant.

Suhrkamp zieht nach Berlin: Die Abwehrschlacht der Mehrheitseignerin Ulla Unseld-Berkéwicz gegen Hans Barlach ist im Sande verlaufen.

Die Abwehrschlacht der Mehrheitseignerin Ulla Unseld-Berkéwicz gegen Hans Barlach ist im Sande verlaufen.

(Foto: Foto: dpa)

Mit dieser Ankündigung verbunden ist eine zweite Mitteilung: Die Abwehrschlacht der Mehrheitseignerin Ulla Unseld-Berkéwicz gegen Hans Barlach und seinen (inzwischen abhandengekommenen) Partner Claus Grosner, die vor gut zwei Jahren 29 Prozent der Verlagsanteile von dem Schweizer Unternehmer Andreas Reinhart übernommen hatten, ist im Sande verlaufen. Die juristische Auseinandersetzung mit Barlach und seiner Medienholding Winterthur wurde mit einem Vergleich beendet.

Die Pressemeldung hält lapidar fest: "Die Medienholding AG Winterthur hat sich zuvor unter ihrer neuen Leitung für Vorwürfe und Anschuldigungen gegen den verstorbenen Verleger Siegfried Unseld und gegen die Verlegerin Ulla Unseld-Berkéwicz in aller Form entschuldigt."

Der Streit ist beigelegt, die Entschuldigung in den gemeinsamen Umzugsbeschluss übergegangen: "Die Gesellschafter begrüßen mehrheitlich den Vorschlag der Geschäftsführung, den Verlag nach Berlin zu verlagern." Einen Minderheitengesellschafter dürfen wir uns als unterlegene Opposition vorstellen: Joachim Unseld, den Sohn Siegfried Unselds, der zwanzig Prozent der Verlagsanteile hält.

Alle symbolisch-mythologischen Erwägungen über die Verwurzelung des Verlages im geistigen Raum Frankfurt, den er verlassen will, oder über den intellektuellen Raum Berlin, dem er zustrebt, werden von der schlichten, pragmatischen Logik der jetzigen Entscheidung konterkariert. Es ging in den vergangenen Wochen des Wartens nicht um das "Haus Suhrkamp" als kulturelle Adresse, sondern um das Verlagshaus und sein Grundstück als Immobilie im Frankfurter Westend, um das Kalkül mit Standorten, das Kalkül mit Verlagsanteilen.

Berlins Bürgermeister Klaus Wowereit hatte den Verlag schon umworben, als Suhrkamp im Februar 2006 seine Repräsentanz in Charlottenburg eröffnete. Aber da erschien das noch als dreister Vorwitz. Als Wowereit Ende Januar 2009 im Berliner Abgeordnetenhaus demonstrativ seine Absicht bekräftigte, Suhrkamp nach Berlin zu holen, musste aus der Avance eine greifbare Möglichkeit geworden sein.

So nahm man schließlich auch in Hessen das Umzugsprojekt ernst und behandelte es, wie es zu behandeln war: als Rivalität zweier großer deutscher Kommunen um einen mittelständischen Betrieb, der jede Stadt als "kultureller Leuchtturm" schmückt.

Wie Deutsche Bahn und Vatikan

Hessen gehört zu den Geber- und Berlin zu den Nehmerländern im Länderfinanzausgleich, und so konterte der Frankfurter FDP-Bundestagsabgeordnete und Vorsitzende des Bundestagsausschusses für Kultur und Medien, Hans-Joachim Otto, Wowereits Kampfansage mit dem Hinweis, es sei nicht sehr fein, wenn ein hochverschuldetes Land wie Berlin, das Geld aus Hessen erhält, mit finanziellen Attraktionen ein hessisches Unternehmen abwirbt.

Zunehmend erbittert zeigte sich die Suhrkamp-Belegschaft in Frankfurt, mehr als 80 Prozent der insgesamt etwa 130 Beschäftigten sprachen sich gegen einen Umzug nach Berlin aus. Erbittert war man nicht zuletzt über die Informationspolitik der Verlagsspitze, von der man in der Tat nicht recht weiß, ob ihr Vorbild eher die Deutsche Bahn AG oder der Vatikan ist.

In schöner Regelmäßigkeit meldeten die Agenturen spröde Suhrkamp-Verlautbarungen: ja, der Umzug nach Berlin sei eine Option, man werde "bald" entscheiden. Das sah ein bisschen so aus, als wolle man die Frankfurter Buchmesse kopieren, die vor einigen Jahren gedroht hatte, nach München umzuziehen, wenn die Messegesellschaft und die Hoteliers ihr nicht entgegenkämen.

Der Main wird kälter

Damals war das Pokerspiel schnell zu Ende, die Messe blieb in Frankfurt. Nun gibt der Suhrkamp Verlag die natürliche Nähe zur weltgrößten Buchmesse auf, und er verlässt seine vorzügliche Lage in der Lindenstraße im Westend, zwischen der alten Universität und dem Stadtzentrum, von dem aus die Türme der Finanzwelt ihre Schatten herüberwerfen. Hier steht das Verlagshaus, im Stil der klassischen Moderne errichtet, das passende Gehäuse für die edition suhrkamp in ihren Aufbruchsjahren und für die Bibliothek Suhrkamp als Schatztruhe der literarischen Moderne.

Spricht man nun, nach der Entscheidung für Berlin, mit Alexander Kluge, dann fällt ihm zunächst dieses Haus ein. Der Kauf des Grundstücks in den sechziger Jahren war eine der klugen Entscheidungen Siegfried Unselds, sagt Kluge: "Mein Empfinden ist, dass das Grundstück den Verlag geerdet, zusammengehalten hat wie eine Arche Noah, über alle Krisen hinweg, bis heute."

Und er fügt hinzu: "Dass Berlin ein Attraktor auch für den Suhrkamp Verlag ist, kann ich verstehen. Ich kann mir aber nur vorstellen, dass diese Arche Noah, die Lindenstraße sich mit allen darin lebenden Personen und zusammen mit der Verlegervilla in der Klettenbergstraße auf den Weg nach Berlin macht, anders kann ich mir das nicht vorstellen."

Kein Kind der Notwendigkeit

Dieser Umzug sieht nun so aus, als sei er ein Kind der Notwendigkeit. Er ist das Symptom einer Krise nicht der "Suhrkamp-Kultur", sondern des Geschäftsmodells "Suhrkamp Verlag", zu dem neben dem traditionsreichen Insel Verlag auch der Deutsche Klassiker Verlag und der Jüdische Verlag als Neugründungen Siegfried Unselds sowie der Verlag der Weltreligionen als Neugründung seiner Nachfolgerin Ulla Unseld-Berkéwicz zählen.

Das Haus in der Lindenstraße ist sanierungsbedürftig, und der Finanzbedarf, den eine Renovierung erfordert, mag den Verlag überhaupt erst auf die Idee gebracht haben, mit der Option eines Verkaufs von Immobilie und Grundstück zu spielen. Und man kann sich gut vorstellen, wie Wowereit Frau Berkéwicz ein Domizil in Berlin zu günstigen Konditionen anbot, und der Frankfurter Magistrat dagegenhielt, indem er dem Verlag den traditionellen Sitz des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels am Großen Hirschgraben in Aussicht stellte. Aber warum nun der Übergang vom Pokern zum faktischen Umzug, der die Belegschaft schon im Vorfeld erbitterte?

Umzüge sind Instrumente der Betriebsverschlankung. Sie gehen meist mit freiwilligem Mitarbeiterschwund einher, mit Personaleinsparungen ohne Abfindung und Sozialplan. Aber das sind, wie Erlöse aus Immobilienverkäufen, typische Kompensationseffekte. Auf Dauer muss ein selbständiger Verlag nicht als Liegenschaftsbesitzer und nicht nur beim Pokern mit Magistraten erfolgreich sein, sondern im Verlagsgeschäft.

Der Main wird kälter

Zu diesem Verlagsgeschäft gehören bei Suhrkamp aufwendige Editionsprojekte, nicht zuletzt im neuen Verlag der Weltreligionen. Die großen Bestsellerzeiten Isabel Allendes sind Vergangenheit, Carlos Ruiz Zafón, der mit dem "Schatten des Windes" dem Insel Verlag einen Großerfolg bescherte, ist von S. Fischer abgeworben worden, und so gut sich der Roman "Der Turm" von Uwe Tellkamp verkauft - auch eine Handvoll Hardcover-Erfolge kann ein so tief gestaffeltes Verlagshaus nicht tragen, wenn es anderswo kriselt.

Dieses kritische Anderswo lässt sich am Suhrkamp-Verlagsprogramm ablesen. Und zwar weder dort, wo von Dietmar Dath, der edition unseld oder vom neuen DVD-Programm die Rede ist. Noch dort, wo die beeindruckende Backlist von Adorno, Brecht, Beckett, Benjamin über Hermann Hesse bis hin zu Nelly Sachs und Robert Walser bewirtschaftet wird.

Es lässt sich vielmehr an der auffälligsten Innovation ablesen, die Suhrkamp in diesem Geschäftsjahr 2009 auf den Markt bringt: an der im Mai startenden Taschenbuchreihe mit Kriminalromanen, die mit dem Appetizer "Am Anfang war der Mord" beworben wird.

Wer die sechs Pilot-Bände auch nur von ferne betrachtet, kann dieser Reihe den Wunsch, aus dem sie entstanden ist, an der Nasenspitze ablesen: ein Taschenbuchprogramm aufzulegen, das dort zündet, wo Umsatz gemacht wird, auch in den Buchabteilungen der großen Kaufhäuser und an den Tankstellen. Die grelle Reihe signalisiert die Sehnsucht nach Erlösen jenseits der traditionellen Suhrkamp-Insel-Taschenbuch-Welt, jenseits der eigenen Backlist. Einer der Titel spielt noch in Frankfurt und heißt "Kalter Main".

Aber auch die Spree kann sehr kalt sein, manchmal sogar kälter als der Main.

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