Suhrkamp Verlag:Es wird ernst

Suhrkamp-Geschaeftsfuehrerin abberufen

Überraschend entmachtet: Ulla Unseld-Berkéwicz wird per Gerichtsentscheid als Suhrkamp-Chefin abberufen.

(Foto: dapd)

Im komplizierten Streit um den Verlag hat sich Minderheitsgesellschafter Hans Barlach gegen Ulla Unseld-Berkéwicz, amtierende Chefin, durchgesetzt. Damit beweist er, dass er Suhrkamp in eine existenzielle Krise stürzen kann. Nur, um recht zu behalten.

Von Lothar Müller

Es war in den letzten Jahren fast ein Serienformat daraus geworden, wenn der Suhrkamp Verlag in die Schlagzeilen geriet, weil wieder einmal die Gesellschafter aneinandergerieten oder ein Gerichtstermin anstand. Aber jetzt ist die vermeintliche "soap opera" zu Ende. Es wird ernst. Das Berliner Landgericht hat an diesem Montag in allen wesentlichen Punkten der Doppelklage stattgegeben, die Hans Barlach und seine Medienholding Winterthur als Minderheitsgesellschafter gegen die Geschäftsführung des Suhrkamp Verlags - Ulla Unseld-Berkéwicz, Thomas Sparr und Jonathan Landgrebe - angestrengt haben.

Damit ist die Geschäftsführung abgesetzt, sobald das Urteil rechtskräftig wird, und der Verlag in einer Krise, die seinen Bestand gefährden könnte. Man ist im Hause Suhrkamp, so Pressesprecherin Tanja Postpischil, "extrem schockiert", hat mit dem Urteil "überhaupt nicht gerechnet" und will sich erst äußern, wenn die schriftliche Urteilsbegründung vorliegt - und dann Rechtsmittel einlegen. Bis dahin bleibe alles beim Alten.

Damit aber ist der durch dieses Urteil gelegte Sprengsatz nicht entschärft. Die erste Klage richtete sich gegen die Anmietung und Ausstattung der Privatvilla von Ulla Unseld-Berkéwicz in Berlin-Nikolassee durch den Suhrkamp Verlag als Repräsentanz und Veranstaltungsort. Hier verurteilte das Gericht die Geschäftsführer zur Zahlung von 282 486,40 Euro an die Suhrkamp Verlags GmbH & Co. KG, als Ausgleich für den Schaden, der dem Verlag durch die Vermietung bis Ende 2011 entstanden ist, und verpflichtet sie zudem, auch den von 1. Januar 2012 an entstandenen Schaden zu ersetzen. Die zweite Klage zielte darauf ab, die Entlastung der Geschäftsführung für das Geschäftsjahr 2010 rückgängig zu machen und mit Hinweis auf den durch die Villa-Anmietung entstandenen Schaden die bisherige Geschäftsführung "aus wichtigem Grund" abzuberufen. Auch dieser zweiten Klage wurde stattgegeben.

Unseld-Berkéwiczs Strategie ist gescheitert

Der Erfolg dieser zweiten Klage müsste den Suhrkamp Verlag in hohem Grade alarmieren, mag er auch auf einen Zeitgewinn durch die Berufung und die noch ausstehende Rechtskraft des Urteils setzen. Darüber, wann und wie die Abberufung der jetzigen Geschäftsführung wirksam wird, ob also das Gerichtsurteil die Abberufung bestätigt hat und die Geschäftsführung eigentlich schon abberufen ist - darüber wird es in den kommenden Tagen einiges Gerangel geben, und wie es ausgeht, ist nicht gewiss. In jedem Fall aber ist die Aussicht auf eine künftige Abberufung der Geschäftsführung nun mit der Kassierung der Entlastung des Vorstands für die Vergangenheit verknüpft.

Kurz, mit diesem Urteil scheitert die Strategie von Ulla Unseld-Berkéwicz, im Vertrauen auf die 61 Prozent Verlagsanteile der von ihr geleiteten Siegfried-und-Ulla-Unseld-Familienstiftung bei Konflikten mit Minderheitsgesellschaftern eine kompromisslose Linie zu fahren. Dass Hans Barlach und seine Medienholding mit ihren 39 Prozent sich weder ignorieren noch aus der Gesellschaft herausdrängen ließen, war längst klar und seit der vergangenen Woche amtlich, als das Landgericht Frankfurt es ablehnte, den wechselseitigen Ausschlussklagen der Gesellschafter stattzugeben. Zugleich war mit dem Antrag von Barlach, die gespaltene Gesellschaft insgesamt aufzulösen, die nächste Eskalationsstufe erreicht. Hierüber wird das Frankfurter Gericht im Februar 2013 entscheiden.

Privatvilla mit Symbolkraft

Es hat eine gewisse Symbolkraft, wenn nun der Streit über die Privatvilla der Verlegerin in Berlin den Verlag in die Krise stürzt. Denn sie ist der Fluchtpunkt der Versuche von Ulla Unseld-Berkéwicz, sowohl das Erbe Siegfried Unselds anzutreten wie aus seinem Schatten herauszutreten. Der Umzug des Verlages von Frankfurt am Main nach Berlin Anfang 2010 war Teil dieses Heraustretens, der Verkauf des Archivs an das Literaturarchiv in Marbach ebenso sehr Signal des Neubeginns wie Sicherung der Bestände. Der Umzugsbeschluss fiel damals gegen den erbitterten Widerstand des Sohnes von Siegfried Unseld, Joachim Unseld, der zu jener Zeit noch Minderheitsgesellschafter war, aber im November 2009 seine 20 Prozent zu gleichen Teilen an die Mitgesellschafter verkaufte.

Der Fall Suhrkamp

Die Villa in Nikolassee sollte das Gegenüber zur Unseld-Villa in Frankfurt am Main sein, in der, als Teil der Erbpflege, weiterhin die Kritikerempfänge während der Frankfurter Buchmesse stattfinden. Sie ersetzte mit dem Umzug nach Berlin die Suhrkamp-Repräsentanz an der Fasanenstraße. Sie sollte, wie erst jüngst bei einer Lesung von Peter Sloterdijk, der Salon des Verlages sein, seinen Anspruch bekräftigen, Teil des intellektuellen Lebens in der Hauptstadt zu sein. Geschäftstechnisch vermietete eine von Ulla Unseld-Berkéwicz und ihrem Bruder ins Leben gerufene BGB-Gesellschaft die Veranstaltungsräume an den Verlag, aber natürlich wuchs zugleich auf der symbolischen Ebene der Verlegerin die Rolle der Gastgeberin zu.

Schwellen, die man überschreitet oder nicht

Das Berliner Gericht hatte in seiner letzten Sitzung vor dem nun ergangenen Urteil den Konfliktparteien einen Vergleich vorgeschlagen, der die Kündigung des Mietvertrages zwischen Verlag und Familie Unseld-Berkéwicz sowie den Verkauf der Einrichtungsgegenstände vorsah. Diesen Vergleich haben die Parteien ausgeschlagen. Das ist symptomatisch für das vollkommen zerrüttete Verhältnis zwischen der Geschäftsführung und der Siegfried-und-Ulla-Unseld-Familienstiftung auf der einen und Hans Barlach und seiner Medienholding auf der anderen Seite.

Die von Ulla Unseld-Berkéwicz geleitetet Suhrkamp-Geschäftsführung hat offenkundig ihre Praxis, die kulturelle Repräsentanz im offenen Dissens mit einem Minderheitengesellschafter durchzusetzen, nicht hinreichend rechtlich abgesichert. Es geht um Schwellen, die man überschreitet oder nicht. Hier ging es um die Frage, ob die Höhe der Mietkosten das Einverständnis des Minderheitsgesellschafters erfordert hätte. Bei einem so zerrütteten Verhältnis zwischen den Gesellschaftern wie hier wäre höchste Vorsicht geboten gewesen. Das ist die Verantwortung der Geschäftsführung - und ihrer Anwälte. Hans Barlach hat bewiesen, dass er notfalls den Verlag in eine Existenzkrise stürzen kann und will, um seine Rechte als Minderheitsgesellschafter zu wahren. Aber auch er steht in der Verantwortung für den Gesamtverlag.

Die Konfliktparteien werden aneinandergekettet bleiben. Die Verteilung der Gesellschafteranteile kann kein Gericht aufheben. Was sich nun abzeichnet, ist der Austausch der Geschäftsführung des Verlages bei gleichbleibender Eignerstruktur, das Ende der von Ulla Unseld-Berkéwicz geprägten Ära nach dem Tod Siegfried Unselds. Hans Barlach wird die neue Geschäftsführung nicht einsetzen können. Die Siegfried-und-Ulla-Unseld-Familienstiftung wird, wenn ihr die Aufhebung des Urteils nicht gelingt, einer Geschäftsführung zustimmen müssen, in der der Name Unseld nicht mehr vorkommt.

Bisher hat der Einigungsdruck, den die Gerichte auf die Konfliktparteien ausgeübt haben, nichts gefruchtet. Jetzt, wo die "soap opera" zu Ende und der Ernstfall eingetreten ist, liegt zugleich ein großer gesellschaftlicher Druck auf beiden Parteien. Man lässt einen großen, berühmten Verlag nicht vor die Hunde gehen, nur um recht zu behalten.

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