Südafrika:Die Farben der Unterdrücker

Das politische System von Südafrika hat sich geändert. Die Mentalität der Menschen nur sehr wenig. Die Apartheid blieb, nur andersherum. Die Phantome der Vergangenheit kehren wieder. So beschreibt es Paul Mendelson im neuen Roman.

Von Stefan Fischer

Paul MendelsonDie Straße ins Dunkel

Paul Mendelson: Die Straße ins Dunkel. Aus dem Englischen von Jürgen Bürger. Rowohlt Polaris, Reinbek 2017. 400 Seiten, 16,99 Euro. E-Book 14,99 Euro

Die Geschichte beginnt im Januar 1994, und sie beginnt mit einer Verfolgungsjagd. Mit einer sehr merkwürdigen: Denn es gibt niemanden, der verfolgt wird. Dennoch jagen zwei Wagen mit insgesamt sieben Polizisten durch den Regen und die Dunkelheit von Kapstadt. Einem Phantom hinterher und doch einem konkreten Ziel entgegen, in der Township Khayelitsha. Fünf der allesamt weißen Polizisten stürmen eine Behausung, zwei bleiben zur Absicherung zurück. Schüsse fallen, fünf Menschen sterben - die schwarzen Bewohner. Mit dem Bombenanschlag an diesem Tag auf eine Kneipe im Vorort Observatory haben sie aber nichts zu tun. Dessen ist sich Captain Vaughn de Vries sicher. Er ist einer der beiden Polizisten, die nicht geschossen haben.

Weiß gegen Schwarz: Die Fronten sind klar in Südafrika, wenige Monate bevor Nelson Mandela absehbar zum Präsidenten gewählt werden wird und die Weißen ihre Vormachtstellung verlieren werden. Der Wille zur Versöhnung, in den Reihen des South African Police Service (SAPS), der Nationalpolizei, ist er nicht vorhanden. Die Aktion in Khayelitsha: "Ein außer Kontrolle geratener Vorgesetzter, der seinem Hass freien Lauf ließ, seiner Frustration darüber, dass nach Jahren harter, mühevoller Arbeit, nach Jahrzehnten des Vertrauens auf das System, die da oben kapituliert hatten, der daraufhin auf jeden ohne Antworten eindrosch, auf jeden Schwarzen ..." Die Sache wird vertuscht.

Die internen Ermittler sind am Werk - um alte, weiße Ermittler endlich loszuwerden

Zwanzig Jahre später ist Vaughn de Vries als einer von wenigen Veteranen aus der Zeit vor dem Machtwechsel immer noch beim SAPS, inzwischen im Rang eines Colonel bei der Special Crimes Unit. Er und seine ganze Einheit, die von dem Buren du Toit geleitet wird, sind im neuen, gesäuberten Polizeiapparat unerwünscht. Die internen Ermittler suchen unentwegt nach einer Verfehlung, die schwerwiegend genug ist, um Leute wie de Vries loszuwerden und an ihre Stelle schwarze Beamte zu setzen.

Weiß gegen Schwarz: Diese Front existiert auch 2015 noch in Südafrika. Ihr Verlauf ist an einigen Stellen inzwischen allerdings unklar. Und diese diffusen Punkte sind es, auf die Paul Mendelson mit seinem Thriller "Die Straße ins Dunkel" zusteuert. An die er den Colonel Vaughn de Vries näher und näher heranführt. Bis der Ermittler selbst sich in großer Gefahr befindet.

Da ist die Angelegenheit von damals. Zwei Jahrzehnte später beginnt eine Mordserie, einer nach dem anderen werden die Polizisten erstochen, die bei dem Einsatz in Khayelitsha dabei waren. Den Zusammenhang sehen aber nur Eingeweihte, von den jeweils zuständigen Polizeidienststellen wird jeder dieser Morde als Einzelfall behandelt. De Vries zieht Erkundigungen ein; es ist natürlich kein Fall, in dem er offiziell ermittelt. Es gibt diesen Fall nicht einmal. Es geht um die persönliche Bedrohung - die entweder aus dem Umfeld der Opfer kommt, weil jemand spät Rache nimmt. Oder sie kommt einmal mehr aus dem Apparat selbst, weil jemand plötzlich ganz sicher gehen will, dass der Vorfall für immer unbekannt bleibt.

Und da ist der Mord an einer weißen Galeristin. Eine reiche Frau, Erbin eines mit dem Apartheid-System verbandelten Unternehmers. Sie wird angefeindet für eine Ausstellung, auf den Gemälden ist sexuelle Gewalt gegen Frauen sehr explizit dargestellt. De Vries kommt lange nicht weiter mit den Ermittlungen. Paul Mendelson dehnt diese Phase, reizt sie komplett aus. Bis man als Leser beinahe das Interesse an dem Fall verliert. Aber das ist essenziell für die Geschichte, die Mendelson in seinem zweiten De-Vries-Fall (nach "Die Unschuld stirbt, das Böse lebt", 2014) unterhalb der Thriller-Ebene erzählt: Der Colonel braucht lange, um zu erkennen, dass diese Ermittlungen nach innen führen, in den Polizeiapparat und von dort weit hinauf, womöglich bis ins Umfeld der Regierung. Weil er es, trotz der Geschichte seines Landes, nicht wahrhaben will. Weil für ihn noch schwerer zu ertragen ist, dass jetzt die Schwarzen am Ruder sind, wenn sie nicht einmal höhere moralische Maßstäbe haben als das Apartheid-Regime.

Vaughn de Vries ist eine spannende Figur. Für vieles hat er eine einfache Erklärung, die sich aus Vorurteilen und von ihm als demütigend empfundenen Erfahrungen speist. Er muss sich zwingen, seinen Rassismus zu zügeln, ist launisch und herablassend, trinkt zu viel. Aber er ist mutig, und er will Gerechtigkeit für die Opfer von Gewalt. "So übel ist er nicht", bilanziert seine rechte Hand, der schwarze Officer Don February, trotz aller Vorbehalte. De Vries war, als er noch auf der Seite der Macht stand, kein ausnehmendes Schwein. Und er ist auch jetzt keiner, der das Recht beugt. Moralisch überlegen macht ihn beides nicht. Er erlebt - zum zweiten Mal und diesmal ohnmächtig -, wie Netzwerke in der Polizei zu einem Instrument der Regierung werden, das sie gegen ihre Gegner einsetzt. Dagegen begehrt er, anders als 1994, auf. "Man hat", so empfindet er es, "nichts weiter getan, als lediglich die Farbe der Unterdrücker zu wechseln."

Paul Mendelson geht in seinem Thriller hart ins Gericht mit der neuen Elite Südafrikas. Er bedient sich dabei jedoch eines Helden, der zu den Verlierern zählt und so zornig ist, dass ein gewisses Maß an Revanchismus bei ihm nicht zu leugnen ist - wodurch seine Urteile in einem dementsprechenden Licht erscheinen. Der aber so offen ist, neue Allianzen zu wagen und alte Bande in Zweifel zu ziehen, über Rassengrenzen hinweg. Dass seine eigenen Leute ihn retten, indem sie ihn beschatten, weil sie ihm nicht über den Weg trauen - das gehört zu den vielen Absurditäten dieser Geschichte.

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