Streit um Verschleierung:Vollverschleierung - es geht um ein Weltbild, nicht um Stoff

Verschleierte Muslima

Hat, wer die eigene Verhüllung kontrollieren muss, noch die Macht über seinen Körper?

(Foto: imago/epd)

Wer glaubt, Verschleierung sei einfach nur Ausdruck religiöser Zugehörigkeit und habe nichts mit Unterdrückung zu tun, ist ganz und gar schiefgewickelt.

Von Susan Vahabzadeh

Die SPD-Abgeordnete Lenelotte von Bothmer wusste, was passieren würde, als sie 1970 im Bundestag erschien - in Hosen. Sie hatte sich den cremefarbenen Zweiteiler eigens zugelegt, weil der damalige Bundestagsvizepräsident Richard Jaeger so vehement dagegen war, Frauen in Beinkleidern ins Parlament zu lassen; dass sie überhaupt drinsaßen, hat ihm wohl schon gereicht.

Es gab dann großes Geschrei im Bundestag, und auch draußen wurde hitzig debattiert, ob dieser Aufzug nun ein Angriff auf die Würde des Parlaments oder der Frauen an sich war. Bothmer bekannte sich später zum Rock, der Hosenanzug war nur eine Provokation.

Es war durchaus im Sinne der Gleichberechtigung, die Hosen anzuziehen. Hosen bieten eine Form der Bewegungsfreiheit, die Bleistiftröcke nicht hergeben. Deswegen muss man als Frau nicht dauernd Hosen tragen. Was immer man aber trägt, als Mann oder Frau, ist ein Statement.

Die Kleidung, die ein Mensch sich aussucht, drückt etwas aus, und wenn es nur ist, dass ihm Äußerlichkeiten egal sind. Man sucht sich aber seine Anziehsachen nicht immer selbst aus. Die CDU-Innenminister haben in der vergangenen Woche ein Verbot von Burkas an bestimmten Orten gefordert, in Schulen und im Straßenverkehr beispielsweise. Das ist nicht so ungewöhnlich, wie es im ersten Moment erscheint - auch in Deutschland gibt es jede Menge Verordnungen, wer wo was tragen soll. Polizisten dürfen im Dienst die Uniform nicht gegen selbstgebatikte Nachthemden tauschen, Krankenschwestern folgen einer ganzen Liste von Vorschriften, von den Fingernägeln bis zu den Schuhen.

Sittsam verhüllt sollten Frauen sein, ja - aber meist auch sexy

Was aber als Konvention oder Mode gilt, global und seit Tausenden Jahren, wird unterschiedlich geregelt und kommt dann doch oft zu ähnlichen Ergebnissen. Sittsam verhüllt sollten Frauen sein, ja - aber meist auch sexy und sehr oft bewegungsunfähig, als sei das oberste Gebot aller Mode, jede Flucht zu unterbinden: von den gebundenen Füßen in China über europäische Korsette und Reifröcke bis zu Abaya, Niqab und Burka: Für Frauen wurden immer wieder Kleider erfunden, die ihre Bewegungsfreiheit einschränken. So eine Abaya verhüllt nicht nur, sie will auch dauernd sortiert und zusammengehalten werden, ihre Trägerin ist damit beschäftigt, angezogen zu bleiben. Das beraubt sie der Macht über ihren Körper.

Verhüllung drückt in der Tat etwas aus - ein Problem mit dem weiblichen Körper nämlich, der entweder zu verführerisch ist oder generell unrein; auf jeden Fall macht man ihn am besten unsichtbar. Das widerspricht so ziemlich allem, was sich die Frauen in den westlichen Ländern in den vergangenen hundert Jahren erkämpft haben. Auch hier waren eine ungebändigte Mähne, nicht hochgesteckt, oder nackte Knie einmal ein Skandal. Oder eben ein Hosenanzug, wie ihn die verruchte Marlene Dietrich gelegentlich trug.

Haben die Eroberung des Hosenanzugs und die Verschleierung etwas miteinander zu tun? Nur in dem Sinne, dass beide Statements sind - das Frauenbild, das diese Statements transportieren, ist aber nicht dasselbe. Es mutet seltsam an, dass der Popstar-Ausrüster Dolce & Gabbana seit Monaten eine Abaya-Kollektion hat. In Deutschland wurde das nicht weiter zur Kenntnis genommen, in Frankreich aber, wo die Debatte um Verschleierung schon seit einigen Jahren hitzig geführt wird, hat sich das Designer-Paar damit nicht überall beliebt gemacht.

Kräftig geschnürt und mit Fischgräten verstärkt

Die Familienministerin Laurence Rossignol fachte die Diskussion mit einer unglücklich formulierten Bemerkung über die Parallelität von Sklaverei und Verschleierung an; die Philosophin Elisabeth Badinter fand, man könnte entsprechende Marken durchaus boykottieren.

Nun gab es Designer-Schleier auch schon vorher, aber nicht unbedingt von westlichen Designern. Die beschränkten sich darauf, Tücher herzustellen, die eigentlich ein bisschen zu groß sind, um sie sich an einem kühlen Sommerabend über die nackten Schultern zu legen, und Kleider mit so viel glitzernder Verzierung, dass das meiste davon den westlichen Geschmack überfordert. Ist es ein Unterschied, ob ein Designer nur den arabischen Markt und seine zahlungskräftige Kundschaft bedient oder gleich selbst eine Linie kreiert, die sich dem Regelwerk einer sehr strengen und unmodernen Form des Islam unterwirft? Kommt auf den Designer an.

Man muss sich die Dolce & Gabbana-Abayas ja nur einmal ansehen. Was für ein Zeichensalat. Was erzählen sie? Große Stoffbahnen, die man dauernd daran hindern müsste auseinanderzudriften, außen verziert mit Spitze wie für Unterwäsche - durchsichtige Spitze gehört zu den Markenzeichen des Hauses, dazu mörderische High Heels. Was soll das denn nun sein: religiöse Sittsamkeit oder doch eher ein Ausdruck sexueller Unterwerfung, Dekoration des Körpers im Sinne der Verführung?

Betont unsittlich waren die Entwürfe von Dolce & Gabbana schon immer

Eigentlich sind die Designs ein sehr gutes Beispiel dafür, dass diese Kostümierungen mit allem Möglichen zu tun haben - nur nicht mit Freiheit. Die wird ja in dieser Debatte von beiden Seiten ins Feld geführt, die Schleier-Befürworter sorgen sich um die Religionsfreiheit, die Schleier-Gegner um das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung, das man nun einmal ausdrücke mit freizügiger Kleidung.

Betont unsittlich waren die Entwürfe von Dolce & Gabbana schon immer, das Designer-Paar wurde in den Neunzigern mit Kostümen für Madonna bekannt, die ein bisschen aussahen wie Unterwäsche aus einem Bordell zur vorletzten Jahrhundertwende. Und es wurde kräftig geschnürt und mit Fischgräten verstärkt. Ach ja, es gab dann noch eine modische Erfindung, bei der Dolce & Gabbana vorn dran waren: Jeans, die so eng sind, dass sie die Bewegungsfreiheit, die mit den Hosen kam, wieder abschaffen. Korsette und hohe Absätze, deren Durchmesser einen Pfennig groß zu sein scheinen, sind nicht gerade förderlich für die Bewegungsfreiheit.

Mode ist keineswegs immer so. Ein anderer berühmter italienischer Designer, Giorgio Armani, macht körpernahe Kleider gern aus Stoff, der quer zur Webrichtung geschnitten ist, sodass alles ein bisschen nachgibt, figurbetont, es ist kein Gefängnis aus Stoff. Das entspricht seiner Philosophie.

Die von Dolce & Gabbana ist eine andere; da geht es um Kleidung, die zu tragen an sich schon Aufwand ist. Aber Abayas sind keine Abendkleider, sie sind nicht für besondere Gelegenheiten, sondern für immer. Nicht alles, was ein Designer entwirft, muss zum Fahrradfahren taugen, aber muss er die moderne Entsprechung zu gebundenen chinesischen Füßen gestalten?

Man kann ein Kleidungsstück verbieten - aber nicht, was es ausdrückt

Ein generelles Verschleierungsverbot steht in Deutschland derzeit nicht zur Debatte, und es wäre in der Tat schwierig, weil man mit einem Gesetz ein bestimmtes Kleidungsstück verbieten kann, aber nicht das, was damit ausgedrückt wird. Ein Beispiel dafür ist der Burkini, der Ganzkörperbadeanzug, der in diesem Sommer an manchen französischen Stränden verboten wurde, obwohl man sich dort weiter in sein Handtuch wickeln darf.

Es ist schwierig, gerechte Regelungen zu finden für die Verschleierung - weil es um ein Weltbild geht, nicht um Stoff. Wer aber glaubt, sie sei einfach nur Ausdruck religiöser Zugehörigkeit und habe nichts mit Unterdrückung zu tun, ist ganz und gar schiefgewickelt.

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