Streit um Papst-Entscheidungen:Glibberiger Abgrund

Unabhängig vom Meinungsklima: Papst Benedikt XVI. kämpft um die Einheit der katholischen Kirche und setzt seine Glaubwürdigkeit aufs Spiel. Über die intellektuellen Folgen des katholischen Debakels.

Gustav Seibt

Der Papst der römischen Kirche ist kein UN-Generalsekretär, kein Bundespräsident, kein Chef des Internationalen Roten Kreuzes. Er hat gegenüber den globalen, überwiegend liberal geprägten Öffentlichkeiten keine jener Konsens- und Unparteilichkeitsverpflichtungen, wie sie weltweit oder national sichtbare Ämter wie die genannten mit sich bringen. Nicht einmal die Ökumene mit den anderen christlichen Konfessionen, geschweige der "interreligiöse Dialog" sind für das Oberhaupt der katholischen Kirche verpflichtend.

Streit um Papst-Entscheidungen: Im Zentrum der Kritik: Papst Benedikt XVI.

Im Zentrum der Kritik: Papst Benedikt XVI.

(Foto: Foto: AP)

Gebunden ist der Papst allein an Kern und Überlieferung seiner Glaubenslehre, wie sie in langen Jahrhunderten der Kodifizierung immer strenger und unmissverständlicher gefasst, aber auch wechselnden Zeitbedürfnissen angepasst wurde - Letzteres mit einem Höchstmaß an Zurückhaltung. Das Dogma der päpstlichen Unfehlbarkeit in Äußerungen des Lehramts, das im Ersten Vatikanischen Konzil 1870 beschlossen wurde, hat den Papst unzerreißbar an diese Tradition gekettet, denn nun hat er jede Freiheit verloren, frühere lehramtliche Äußerungen aufzuheben. Die Übertragung moderner Verfassungsformen, gar demokratischer Art, auf die Kirche ist in diesem System ausgeschlossen.

Diese historischen, einer modernen Gesellschaft zutiefst fremden Bedingungen der Papstkirche sollte sich auch die liberale Öffentlichkeit immer wieder vor Augen rücken. Die radikale Zeitgeistbremse, die darin eingebaut ist, bedeutet auch eine Sicherung gegen Abirrungen gefährlichster Art, wie sie vor allem im frühen zwanzigsten Jahrhundert immer wieder drohten: Der Einspruch der Päpste gegen den rassistisch verschärften Nationalismus und die Behauptung der Menschenwürde gegen den Kommunismus gehören zu den großen Stunden der Kirchengeschichte; wenn man der Kirche hier Vorhaltungen machen kann, dann die, diesen Widerstand gegen herrschende Ideologien der Zeit nicht energisch genug vorgetragen zu haben, vor allem während des Zweiten Weltkriegs unter Papst Pius XII. Solche Zaghaftigkeit beim Verkünden der Wahrheit ist das wichtigste Argument gegen die Seligsprechung dieses überforderten Pontifex.

Die institutionelle Selbstverpflichtung des Papstes auf Kontinuität und Einheit der Kirche über die Jahrhunderte hinweg muss ihn auch das Problem sektiererischer Abspaltungen ernst nehmen lassen. Der augenblicklich - nach Aufhebung der Exkommunikation der traditionalistischen Bischöfe aus der Piusbruderschaft - oft zu hörende Vorwurf, um einer "Splittergruppe" willen setze der Papst die Ökumene, die Freundschaft zum Judentum und die liberale Öffnung der Kirche im Zweiten Vatikanischen Konzil aufs Spiel, nimmt das Problem der Sektenbildung nicht ernst genug.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, warum der Papst vielleicht mehr für die Einheit der katholischen Kirche getan hat, als ihm bewusst ist.

Glibberiger Abgrund

Aus ihrer Geschichte weiß die Kirche, dass aus jeder Splittergruppe eine große Gegenkirche wachsen kann. Die glühende Frömmigkeit, die auch der vollkommen agnostische Zuschauer während einer tridentinischen Messe, samt ihrem Charme der klandestinen Untergrundhandlung, erleben kann, ist ein Menetekel: So volle Kirchen erlebt die derzeitige Amtskirche nur an hohen Feiertagen.

Gefährlich zweideutig

Dazu kommt ein kirchenrechtliches Problem von gefährlicher Zweideutigkeit. Die Weihe der lefebvristischen Bischöfe erfolgte 1988 zwar im Dissens mit der römischen Kirche - Versuche, einen Kompromiss zu finden, waren unmittelbar zuvor an den überzogenen Bedingungen von Erzbischof Marcel Lefebvre gescheitert -, aber der sakramentale Charakter der Weihe könnte deswegen gleichwohl unauslöschlich sein. Jedenfalls eröffnete sich hier die Chance einer abweichenden apostolischen Nachfolge mit allen magischen Qualitäten des Priestertums, die eine Heilsanstalt wie die Kirche nicht ignorieren kann.

Hier gibt es eigentlich nur zwei Wege: Kompromiss oder - heute nur bildlich - Auslöschung mit Feuer und Schwert, also mit schärfsten kirchenrechtlichen Sanktionen. Da nicht einmal die Exkommunikation fruchtete, entschloss sich Papst Benedikt XVI., den Weg des Kompromisses zu gehen, die Exkommunikation - nicht die Suspension im Amt - aufzuheben, in der Hoffnung auf weitere Einigungen. Dem liegt eine kirchenpolitische Grundentscheidung zugrunde, die im Pontifikat dieses Papstes bereits mehrfach sichtbar geworden ist: Die innere Einheit der Kirche mit ihrer Tradition ist ihm ein höheres Gut als Ökumene, Dialog mit anderen Religionen oder gar Erfolg bei den liberalen Öffentlichkeiten vor allem der westlichen Welt.

Der Irrsinn des Möglichen

Nicht dass Benedikt all dies ganz ausschlüge: Er hat durchaus Gesten gegenüber dem Judentum und dem Islam - weniger gegenüber den protestantischen Kirchen, denen seine besondere intellektuelle Geringschätzung gilt - getan, die im Rahmen seiner dogmatischen Grundhaltung ein Höchstmaß an Großzügigkeit signalisieren sollten. Dazu kommt eine intellektuelle Offenheit gegenüber der zeitgenössischen Philosophie - beispielsweise im Dialog mit Jürgen Habermas -, die Ratzinger-Benedikt zu einem respektierten Autor auch bei Nichtkatholiken werden ließ. Wann ist das einem Papst zum letzten Mal gelungen?

Doch diesen intellektuellen Kredit hat er nun erst einmal verloren. Die Äußerungen des antisemitischen, verschwörungstheoretisch infizierten Wirrkopfes Williamson sind so ekelerregend, dass beispielsweise die führenden katholischen Intellektuellen Frankreichs, unter ihnen Rémi Brague oder René Girard, sich umgehend von einer Kirche distanzierten, die die Gemeinschaft mit solchen Gestalten sucht. Das muss den Papst weit tiefer treffen als die läppischen Rücktrittsforderungen Hans Küngs oder das ziemlich beispiellose Grummeln des deutschen Episkopats.

Dass der Papst zum selben Zeitpunkt einen Hetzer wie Gerhard Maria Wagner zum Weihbischof von Linz ernennt, gehört zu einem vom Vatikan bemerkenswert dilettantisch verfolgten Drehbuch im Genre "ostentative Unabhängigkeit vom Meinungsklima".

Außerordentlich unattraktiv

Zwar kann die Aufregung der liberalen Öffentlichkeit der Papstkirche bis zu einem gewissen Grade durchaus gleichgültig sein, selbst der Protest eines gefühlvollen, zeitgemäßen Gegenwartschristentums. Weniger aber vielleicht ihre Ausstrahlung bei all jenen, die sich um die geistige Überlieferung der Kirche auch im Kampf mit der Zeit bemühen. Hier nämlich darf man mit großer Kühle feststellen: Was nun, nach der Öffnung der von der Außenluft abgeschlossenen Kapsel Piusbruderschaft ans Licht kommt, ist außerordentlich unattraktiv.

Menschen, die - wie nun auch ein lombardisches Mitglied dieser Gemeinschaft - den Holocaust für historisch inexistent halten, werden auch sonst geneigt sein, alles Mögliche, nur nicht das Vernünftige, für wahr zu halten. Der große katholische Schriftsteller Gilbert Keith Chesterton hat genau diese Drift in den Irrsinn des Allesmöglichen als die größte Gefahr benannt, die vom Unglauben ausgeht. Menschen wie Williamson verhalten sich nicht nur zutiefst verletzend gegenüber den Juden, zumal den überlebenden Opfern; sie zeigen ein gestörtes Verhältnis zu den kommunikativen Grundlagen irdischer, nicht geoffenbarter Wahrheit.

Für sie besteht - wie einst für die antifreimaurerischen Gegner der Französischen Revolution - die Weltgeschichte aus lauter Machenschaften hinter den Kulissen. Ihr Geist unterscheidet sich nicht von dem der Reißer eines Dan Brown, nicht einmal vom gnostischen Weltaufriss im "Harry Potter", den Weihbischof Wagner so verdammt.

Angesichts eines so glibbrigen geistigen Abgrunds darf man auch die intellektuellen Sympathisanten der Piusbruderschaft im deutschsprachigen Raum nach ihrem Verhältnis zu dieser Gespensterwelt befragen. Jedenfalls könnte sich die Aufhebung der Exkommunikation der vier Lefebvristen als ein Pyrrhus-Sieg der Traditionalisten erweisen: Schmieriger, abstoßender hat man diesen Untergrund, der doch nur Reinheit in der Tradition sucht, nie gesehen. Vielleicht hat Benedikt XVI. für die dauerhafte Einheit seiner Kirche am Ende mehr getan, als im zunächst bewusst war.

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