Streit um Hegemann:Paradies der falschen Vögel

"Ablösung von diesem ganzen Urheberrechtsexzess": Im Streit um Helene Hegemanns Kulturtechnik des Zitats geht es um mehr als Kopieren. "Mashups" kolportieren, was das Zeug hält.

Bernd Graff

Früher nannte man es Bricolage. Heute bezeichnet man die Technik als Mashup oder Sampling. Die "Axolotl Roadkill"-Autorin Helene Hegemann charakterisiert sie als "Ablösung von diesem ganzen Urheberrechtsexzess" im vollen "Recht zum Kopieren und zur Transformation". Schwierigkeiten und Naserümpfen gab es bei der Verarbeitung von fremden Ideen in künstlerischen Arbeiten schon immer. Spätestens mit der Digitalisierung und ihren verlustfreien Kopien ist Sampling allerdings zu einem Stilmittel erster Wahl geworden - vor allem für junge, unbekannte Künstler.

Streit um Hegemann: Neu ist, dass es nicht neu ist: Eric Kleptones Name ist Programm.

Neu ist, dass es nicht neu ist: Eric Kleptones Name ist Programm.

(Foto: Foto: www.kleptones.com)

"Mashups" kolportieren, was sich digitalisieren lässt und darum findet man sie nicht nur in der Musik. Bilder werden collagiert, Videos kompiliert - und eben auch: Texte wie Bausteine behandelt. Warum man es tut? Nicht zuletzt weil man es kann.

Wenn man der nonchalanten Hegemann glauben will, dann ist ihr herzlich egal, dass sie damit als Autorin im Literaturbetrieb keinen Blumentopf gewinnen kann, dass sie nun als Arrangeurin von geliehenen Authentizitäten gilt, als Klepto-Text-DJ gewissermaßen. Originalität sei ihr auch nicht wichtig, sagt sie, für sie zähle die Echtheit des Lebensgefühls. Zu diesem Lebensgefühl gehört auch die Musik und die bezieht sich seit ein paar Jahrzehnten ganz direkt auf das, was andere schon vorher schufen.

Immer perfekter. Im Internet hat sich ein DJ aus Brighton eine Verlautbarungsplattform geschaffen. Über die berichtet er von seinen Auftritten und seinen Ambitionen. Gerade hat er sich dafür bedankt, dass sein neues Album "Uptime/Downtime" so warmherzig von der Netzgemeinde aufgenommen wurde. Auf Facebook und Twitter, in den Blogs wurde gejubelt und das Web-Magazin Audioporn Central kürte das Werk zum Smashhit des jungen Jahres. Allein, es gibt kein Werk. Es gibt 350 Megabyte an klingenden Daten. Wunderbar klingenden Daten, das muss man einräumen.

Der DJ, der sich Eric Kleptone nennt, hat ganze Arbeit geleistet. Er hat die Pop-Geschichte von Rare Earth, Free, Neil Young und Jimi Hendrix bis zu Rage against the Machine, den Chemical Brothers, Pixies, Nick Cave und Nirvana gründlich studiert und filetiert. Die Soundhäppchen hat er zu einem sogenannten Mashup verrührt, unterlegt mit eigenen Computermelodien. Diese bereits zum Hit erklärte Ton-Collage bietet er nun in zwei Geschmacksrichtungen an. Zum kostenlosen Download über seine Webseite und als die lounge-artig temperierte "Downtime" und als die rhythmisch pochendere "Uptime". Eric Kleptones Name ist Programm: Darin steckt die Verballhornung von Eric Clapton und der Begriff Kleptomanie.

Lesen Sie weiter auf Seite 2, wie etwas zugleich alt und neu sein kann.

Das Neue am Bekannten

Ohne Zweifel. Kleptone kennt die Vorwürfe und verteidigt sich vorauseilend. Es gebe da Einiges an "lyrischem Mumbo-Jumbo" (er meint die Kritik), in dem man ihm vorhalte, "lediglich Musik-Piraterie" zu betreiben. "Doch attestierten derlei Possen (er meint die Kritik) tatsächlich künstlerische Reife." Und damit sei ja wohl auch dokumentiert, dass sich Kleptone ernstzunehmend entwickelt habe.

Der Mann hat recht. Die musikalische technische Raffinesse, mit der er zusammenbringt, was so nicht zusammen gehört und nie ahnte, jemals zusammen gehören zu können, ist sicherlich mehr als nur einen Schatten-Hit bei Audioporn Central wert: Es ist zugleich abgekupferte Musik und sie ist neu.

Die Federn des anderen

Von Martin Burckhardt, einem Berliner Philosophen, der sich selber "elektrischer Autor" nennt, stammt die blumige Analyse dieser Kultur-Mischtechnik. "Nun könnte man sich", so Burckhardt in seinem Essay 'Der Autor und die elektromagnetische Schrift', "über das Verschwinden der Kunst im Computer auslassen, über das Dilemma des Samples, das man vor allem als eine Sanktionierung des Plagiats begreifen kann. Und wirklich mag die Widerstandslosigkeit des Materials geradezu als Beflügelung der Plagi-Autorschaft wirken. In der Welt des Samples, in der sich ein jeder mit den Federn des anderen schmücken kann, ist es nicht falsch zu sagen, dass wir im Paradies der falschen Vögel angelangt sind, in einer Art kulturellem Flugsimulator. Die falschen Vögel lassen ES schreiben, um ICH sagen zu können - und unterlaufen damit die Komplexität der modernen Autorschaft überhaupt." Auch Burckhardt hat recht. Und das ist das Dilemma.

Vielleicht kann man es entwirren, wenn man die beiden Seiten der Kunstproduktion einmal voneinander trennt. Auf der einen Seite, im Paradies der falschen Vögel, stehen Künstler, die Vorhandenes rekombinieren und für neue Mischungsverhältnisse sorgen. Die Vernetzung nahezu aller kulturellen Hervorbringungen im Internet macht Samplings so einfach wie nie zuvor.

Man wird einwenden können, dass damit wenig Neues entstehen kann, allenfalls Bekanntes verwirbelt wird. Vom amerikanischen Regisseur Howard Hawks stammt das Apo-Diktum aus der Mitte des letzten Jahrhunderts, dass "heute jede Geschichte nur noch eine alte Geschichte ist - alles ist schon erzählt worden. Folglich liegen Originalität und schöpferische Kraft nur noch in der Art und Weise, wie man erzählt."

Problematisch und ernst werden diese Spiele indes, wenn die Vögel ihr Kopier-Paradies verlassen und dem Betrieb Kunstwerke zur Verhandlung und damit zum Verkauf anbieten. Denn sobald Kunstwerke ökonomisch reüssieren wollen, treten sie wie Waren zu anderen Kunstwerken in Konkurrenz. Der Ausweis von genuiner Autorschaft aber macht ein Werk erst identifizierbar. Auch das macht ihre Komplexität aus.

Neu ist, dass es nicht neu ist

"Axolotl Roadkill" ist ja keine Web-Publikation aus dem privaten Poesie-Album. Es ist eine ökonomische Tatsache, die eben an einem Autornamen fixiert wird, den es hier so nicht mehr gibt. Mashups sind darum für den nach Innovation lechzenden Kunstbetrieb so etwas wie der vicious circle: Neu ist, dass es nicht neu ist, also muss man das Alte bewahren. Etwa mithilfe von Urheberrechten.

Ganz abgesehen davon: Wem wollte man Literatur-Preise verleihen, wenn ein Autor lediglich als Chorleiter disparater literarischer Stimmen auftritt? Wen hievt man auf Bestseller-Listen, wen bittet man in Talkshows und wer hat Anspruch auf die Tantiemen aus dem Verkauf solcher Wirbelwerke?

Die "Echtheit" von Fräulein Hegemann kann im Kontext des Buchmarkts nur als Produktpiraterie begriffen werden, und die kann sich der Literaturbetrieb nicht leisten. Er würde daran zugrunde gehen. Der peruanische Schriftsteller Daniel Alarcón hat im Magazin Granta Ende letzten Jahres beschrieben, wie die peruanische Buchproduktion von Produktpiraten zum Erliegen gebracht wird. So sei Paulo Coelhos "O vencedor está só" bereits massenhaft in einer illegalen spanischen Version in Limas Straßen gehandelt worden, noch bevor sie offiziell erschienen war.

"Selbstverständlich", so hatte Hans Magnus Enzensberger vor fast 50 Jahren in den "Aporien der Avantgarde" geschrieben, "lädt die ökonomische Verfassung (der Kunst) zu niederträchtigen Manövern ein. Sie ermöglicht eine Avantgarde als Bluff, als Flucht nach vorn."

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