Streit um Gangsta-Rap:Dichtende Dreckschleuder

In den USA gewinnt eine Offensive gegen Gangsta-Rap an Durchschlagskraft. Den pöbelnden Jungs von der Straße und ihren "fetten" Major Labels soll ein Maulkorb verpasst werden.

Jonathan Fischer

Der demokratische Präsidentschaftsanwärter Barack Obama fordert weniger Toleranz für Gangsta-Rap, Jesse Jackson stellt klar, dass seine Mutter keine "Nutte" und seine Töchter keine "Schlampen" seien, und Al Sharpton ruft zu Protestwachen vor den großen Plattenfirmen auf. Was ist geschehen, dass schwarze Politiker und mit ihnen ganz Amerika plötzlich über HipHop-Texte diskutiert? Wie kommt die populäre Talkmasterin Oprah Winfrey dazu, dem Thema gleich zwei aufeinanderfolgende Sendungen zu widmen? Und weshalb schmücken kaum zitierfähige Gangsta-Rapper wie Snoop Dogg auf einmal die Polit-Schlagzeilen?

Es war ein weißer Radiomoderator, der mit rassistischen Bemerkungen die Büchse der Pandora öffnete. Don Imus hatte in seiner einflussreichen Sendung die schwarzen Basketballspielerinnen der Rutgers University als "krausköpfige Schlampen" bezeichnet. Ein öffentlicher Aufschrei folgte: Reverend Sharpton und Jesse Jackson griffen Don Imus' Sender an, die National Association Of Black Journalists rief zu Boykottmaßnahmen auf, und als auch noch viele Werbekunden abzuspringen drohten, feuerte NBC den lange unbehelligt schwulen-, schwarzen- und frauenfeindliche Witze reißenden Talkmaster.

Imus aber streute keine Asche aufs Haupt, sondern präsentierte einen Sündenbock: Warum dürften Rapper ungestraft genau dieselben Vokabeln für schwarze Frauen benutzen? Obwohl der Vergleich zwischen Imus' Sendung, in der häufig Spitzenpolitiker wie George Bush senior und Jesse Jackson gastierten, und einem Rap-Album hinkt, hat er unter dem Motto "Wie frauenverachtend dürfen Rapper sein?" einen Flächenbrand entfacht.

Alles nur Ghetto-Schlampen?

Während der Schriftsteller Ishmael Reed nach Imus' Abtritt noch vom "größten Sieg der afroamerikanischen Gemeinschaft gegen die rassistischen Medien" schwärmte, wetzten konservative schwarze Kommentatoren wie Earl Ofari Hutchinson bereits die Messer, um die fette, von der Industrie gemästete Sau namens Gangsta-Rap zu schlachten: "Wir haben Imus zu Fall gebracht, jetzt müssen wir endlich den eigenen Stall aufräumen!"

Jesse Jackson und Al Sharpton -beide sprechen sich schon seit Jahrzehnten gegen misogyne Rap-Texte aus - nutzten die Aufmerksamkeit der Medien, um die Plattenfirmen anzugreifen: "Sie nehmen die Musik auf, finanzieren die Videos und verteilen die Platten", wetterte Jackson: "Jetzt müssen sie mit uns zusammen der Verschmutzung Einhalt gebieten".

Und auch Barack Obama durfte das Thema nicht links liegen lassen: Bei einem Wahlkampf-Dinner warnte er vor der "Degradierung" schwarzer Frauen im HipHop. Und stellte die rhetorische Frage, warum man sich selbst erlaube, wofür man Don Imus zu Recht gegeißelt habe?

Seite 2: "Take Back The Music!" - Kampf gegen die pseudo-schwarze Kultur der Major Labels.

Dichtende Dreckschleuder

Offensichtlich zielte er auf Rapper wie Snoop Dogg. Der HipHop-Superstar, der auf seinen Alben Frauen regelmäßig "bitches" und "hos" (Schlampen) schimpft, feierte Don Imus' Absetzung, wollte aber keine Parallele zu seiner eigenen Wortwahl anerkennen: "Wir Rapper reden nicht über Basketball spielende Studentinnen", behauptete Snoop Dogg, "sondern über die Schlampen im Ghetto, die nur hinter dem Geld der Männer her sind". Sexistisch? Und wie - aber zumindest hat der Rapper seine Verachtung für arme, ungebildete Frauen, die mit ihm verwandt sein könnten, eingestanden.

"We came to Bang"

Heuchlerisch dagegen Russell Simmons: Der HipHop-Pate empfahl lauwarm, man solle doch bitte - zumindest im Radio - die drei Wörter "bitch", "ho" und "nigger" ausblenden. Die Sprachkritik kann er sich leisten, er hat schon Millionen verdient. Zudem hat Simmons die frauenfeindlichen Ausfälle seiner Schützlinge wie 50 Cent bisher stets als künstlerische Freiheit in Schutz genommen: Als "Dichter" reflektierten sie lediglich die hoffnungslose Umgebung, aus der sie stammten. Und auch jetzt spielt er den Ball an Barack Obama & Co. zurück: "Die Politiker sollten den Menschen aus dem Ghetto lieber eine Ausbildung und die Möglichkeit eines besseren Lebens garantieren - dann reden sie vielleicht auch von etwas Besserem".

"Nicht die Kunst imitiert das Leben, sondern das Leben die Kunst," sagt der sozialkritische HipHop-Star Paris. Die meisten Rapper würden ihre Überzeugungen den Erwartungen ihrer Plattenfirmen unterordnen. Ähnlich lauten die Anklagen vieler Bürgerrechtler: Die Major Labels würden den Konsumenten eine von "Verbrechern" und "Nutten" geprägte pseudo-schwarze Kultur verkaufen.

So kündigte Al Sharpton an, er werde sich in Plattenfirmen einkaufen, um auf den Aktionärsversammlungen seine Ansichten zum Rap zu verkünden. Zusammen mit der National Association for the Advancement of Colored People will er öffentliche Begräbnisse für Unwörter inszenieren. Und der Urban Policy Roundtable in Los Angeles forderte David Geffen, Kopf von Geffen Records, auf, sich zu "sauberen Rap-Texten" zu verpflichten. Außerdem solle die Firma Snoop Doggs neues Album "The Big Squeeze" wieder einstampfen: Es enthält so eindeutige Titel wie "We came to Bang", "Pop Pop Bang" und "Fucking Is Good For U".

Böse N-, H- und B-Wörter

Dass die Gegener der Gangsta-Rapper lange nicht so viel medialen Rückenwind hatten, ist allerdings kein Grund, Don Imus nun auch noch als unfreiwilligen Retter des HipHop zu feiern. Sein Fall brachte lediglich eine Gegenströmung in der afroamerikanischen Gesellschaft ans Licht, die vom Mainstream bisher übersehen wurde: Schon Mitte der neunziger Jahre hatte die Bürgerrechtlerin C. Delores Tucker eine Initiative gegen misogyne Rap-Texte ins Leben gerufen, mit Hilfe von Pressekonferenzen, Fernseh- und Radiospots - und in einer Anhörung vor dem Kongress hatte sie die öffentliche Ächtung entsprechender Plattenfirmen angestrebt.

Reverend Calvin Butts zermalmte in Harlem mit einem Bulldozer Berge von Gangsta-Rap-CDs. Und erst letztes Jahr rief das führende afroamerikanische Frauenmagazin Essence zu einem Boykott entsprechender Künstler auf. Motto: "Take Back The Music!"

Dass Käufer-Boykotte und Zensuren allein noch keinen Bewusstseinswandel garantieren, wissen selbst vehemente Kritiker wie Al Sharpton: "Was ist passiert, dass wir uns nicht mehr als "black and proud" sondern gegenseitig als "nigger" und "hos" ansprechen?", predigte er auf James Browns Beerdigung. Und bat Gott, ein Zeichen der Umkehr zu schicken. Irgendjemand da oben muss ihn gehört haben: Gerade hat der Rap-Star und Grammy-Gewinner Chamillionaire stolz sein neues Album angekündigt: Es kommt ganz ohne N-, H- oder B-Wort aus.

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