Streit um Cannes-Siegerfilm:Zwei Tage, eine Abtreibung

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Nach Protesten von Abtreibungsgegnern hat der französische Kulturminister den Film "4 Monate, 3 Wochen und 2 Tage" im Schulunterricht verboten. Jetzt lässt er ihn nach Protesten von Frauenrechtlerinnen wieder zu.

Susan Vahabzadeh

Das schöne am diesjährigen Siegerfilm von Cannes, "4 Monate, 3 Wochen und 2 Tage", ist, dass er sich seiner Sache nicht sicher ist. Das ist bei Filmen, sofern sie nicht als Lehrfilm für Erstklässler konzipiert sind, eine feine Sache. Cristian Mungius "4 Monate" ist ein Film über Abtreibung, und nicht dafür oder dagegen.

Der erste Rumäne: Jane Fonda führt Christian Mungius zur Preisverleihung. (Foto: Foto: AFP)

Bei einem Minister ist es eher störend, wenn er nicht so recht weiß, ob er dafür oder dagegen ist. Insofern stellt "4 Monate" den französischen Bildungsminister Xavier Darcos vor ein Problem. Der Film hat nämlich in Cannes nicht nur die Goldene Palme bekommen, sondern auch den von einer Pädagogen-Jury verliehenen Prix de l'éducation - was bedeutet, dass es eine vom Ministerium finanzierte DVD-Ausgabe gibt, die in französischen Schulen gezeigt wird.

Nun haben französische Abtreibungsgegner wie der Verein "Choisir la vie" Krach geschlagen, und der Minister hat daraufhin am vorigen Freitag verfügt, der rumänische Film "4 Monate" dürfe nicht in Schulen gezeigt werden. Am Samstag hat er dann seine Entscheidung wieder zurückgezogen. Damit hat Darcos seine Meinung so unglaublich schnell wieder geändert, dass die Bitte einer Menschenrechts-Organisation, das "Zensurvorhaben" noch mal zu überdenken, erst veröffentlicht wurde, als "4 Monate" längst schon wieder drin war im französischen Schulprogramm.

Cristian Mungiu erzählt aus einer Zeit, den Achtzigern, als es - weil Abtreibung in Rumänien strikt verboten war - geradezu als Akt jugendlichen Aufbegehrens galt, zum Engelmacher zu gehen. Die beiden Mädchen, um die es in dem Film geht, müssen sich von dem Engelmacher, den sie um Hilfe bitten, aber erst mal missbrauchen lassen und sich dann mit den horrorfilmtauglichen Konsequenzen herumschlagen - ein Werbefilm für Abtreibung sieht anders aus. Ein Anti-Abtreibungs-Spot der katholischen Kirche allerdings auch. Was daran liegt, dass sich Mungiu nicht so sehr für das Für und Wider in Abtreibungsfragen interessiert hat als vielmehr dafür, was Diktaturen, Unterdrückung und Angst mit Menschen anstellen.

Eine Vertreterin des französischen Regie-Verbands, Laure Tarnaud, gibt sich irritiert über die Bedenken gegen Mungiu - denn Gus Van Sants "Elephant", der 2003 die Goldene Palme in Cannes gewonnen hat, durfte trotz einiger krasser Gewaltszenen in Schulen gezeigt werden, allerdings nur Schülern, die älter als 15 Jahre waren. "Elephant" erzählt vom Columbine-Massaker, verweigert aber alle landläufigen Erklärungen für die Blutrünstigkeit der beiden Jungen, als da wären: Eltern versagt, falsche Musik gehört, Waffen zu leicht zu haben.

Dass Tarnaud just diesen Film zum Vergleich heranzieht, lässt dann doch eine gewisse Gesetzmäßigkeit erkennen: "Elephant" und "4 Monate" gehören insofern zusammen, als sie ihren Zuschauern abverlangen, sich selbst eine Haltung zuzulegen, statt sich von der Leinwand eine fertige Meinung servieren zu lassen. Das finden auch erwachsene Zuschauer viel zu anstrengend. Bleibt nur die Frage: Welche Art von Kino liebt denn nun Xavier Darcos?

© SZ vom 11.7.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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