Stralsund und sein historisches Büchererbe:Vergessen, verschimmelt, verscherbelt

Eklatante Fehlentscheidung: Stralsund macht den Verkauf einer historischen Bibliothek rückgängig. Im Sommer 2012 hatte die Stadt die Bücher weit unter Wert an einen privaten Antiquar verkauft. Jetzt kämpft die Welterbestadt um ihr Image. Denn beim Umgang mit dem historischen Erbe tun sich Abgründe auf.

Till Briegleb

Bibliotheksverkauf bringt Stralsund in Bedrängnis

Backsteingotik in Stralsund. Weltkulturverderber - diesen Titel müsste sich Stralsund gefallen lassen.

(Foto: dpa)

Wenn die Stralsunder Tourismuszentrale mit einem einzigen Wort Werbung für die Stadt machen müsste, dann wäre das "Erbe". Denn die Hansestadt besitzt so viele Backstein-Denkmäler, dass sie den Welterbe-Titel erhielt. Daher ist die Zerknirschung bei Alexander Badrow, dem Oberbürgermeister (39, CDU), wohl echt, nachdem er offenlegen musste, wie die Stadt mit ihrem mobilen Erbe umgeht.

Vergessen, verschimmelt, verscherbelt - so lässt es sich beschreiben, nachdem der Skandal um den Verkauf der im Stadtarchiv aufbewahrten "Gymnasialbibliothek" unhaltbare Zustände offenbarte.

5926 Bände aus dem bis ins 16. Jahrhundert zurückreichenden Bestand dieser Sammlung waren als Ramsch im Paket für 95.000 Euro an den bayerischen Internethändler Peter Hassold gelangt.

Als dieser Handel ruchbar wurde, entfachten deutsche Archivare einen Proteststurm, der nun zum Rückkauf führt. Zwei externe Gutachter hatten der Gymnasialbibliothek eine (bereits vorher in einschlägigen Fachverzeichnissen nachlesbare) hohe kulturhistorische Bedeutung und einen Wert im Millionenbereich attestiertet.

Die "eklatante" Fehleinschätzung beim Verkauf kostet nun der Stadtarchivarin ihren Job und die Kommune beträchtliche Summen.

Bestände müssen neu erforscht werden

Denn die Bücher, die Hassold im Sommer kaufte, waren so feucht, dass sie restauriert werden mussten. Dass durch diese Investitionen der Rückkauf weit mehr als doppelt so teuer wird, ist aber nicht das wesentlichste Problem.

Tatsächlich ist ein Großteil der 125.000 Bände des Stadtarchivs ebenfalls von Schimmel befallen. Außerdem scheint die professionelle Inventarisierung kein Standard in Stralsund gewesen zu sein. Die Bestände müssen nun ganz neu erforscht werden. Weltkulturverderber - diesen Titel müsste sich die Hansestadt gefallen lassen.

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