Störende Helfer in Katastrophengebieten:Die Stunde der Dilettanten

Die Flut in Asien macht derzeit kaum Schlagzeilen. Der Notfallchirurg Reinhard Munz, der seit 20 Jahren immer wieder bei Katastropheneinsätzen dabei ist, erklärt, warum das für die Menschen dort ein Glücksfall ist.

Reinhard Munz

Die Formel mag etwas vereinfacht sein, trotzdem hat sie sich in den letzten Wochen der Berichterstattung über die weltweiten Flutkatastrophen wieder einmal eindrücklich bestätigt: Betroffenheit ist gleich Schaden geteilt durch die Entfernung.

Helfer Flut

Ein Bild, das um die Welt ging: Ein südafrikanischer Soldat rettet ein Neugeborenes aus den Fluten. Nicht immer ist die Katastrophenhilfe jedoch so professionell.

(Foto: Foto: Reuters)

Den Anfang machten die Fluten im Süden Englands, wo Zehntausende Menschen mehrere Tage keinen Strom hatten. Diese Meldungen wurden abgelöst von Geschichten über die Pegelstände am Rhein, über überschwemmte Camping-Plätze und die vorübergehende Einstellung der Schifffahrt. Wieder hörte man Experten, die sich zur Ankündigung einer "Jahrhundertflut" hinreißen ließen. Dabei jährt sich in diesen Tagen die letzte Jahrhundertflut an der Elbe vor fünf Jahren.

Auf den ersten Blick überwiegen dabei positive Erinnerungen an eine beeindruckende Solidarisierung mit Rekordergebnissen auf den Spendenkonten und spontaner aktiver Hilfsbereitschaft. Oft aber waren die Koordinatoren überfordert von der schieren Masse unterschiedlicher Organisationen und Freiwilliger.

Die Berichte über die deutschen Fluten überschatteten die Reportagen über die Überschwemmungen in Südasien, denen mehr als 1000 Menschen zum Opfer fielen und die über 20 Millionen Menschen heimatlos machten. Völlig unbeobachtet von der Weltöffentlichkeit kämpfen zudem in diesen Tagen Hunderttausende Menschen gegen Überschwemmungen und Erdrutsche in Kolumbien, Nepal, Gambia, Burkina-Faso und dem Sudan.

So paradox es klingt: Die mangelnde Aufmerksamkeit muss kein Schaden sein, sie ist - im Falle Asiens - vielleicht sogar ein Glücksfall.

Die Auswahl der Katastrophen, über die berichtet wird, bestimmen inzwischen fast ausschließlich spektakuläre Bilder und kaum je das Maß der Not. Als die BBC im Jahr 2000 zufällig die Hubschrauber-Rettung einer Frau gefilmt hatte, die hoch über den Fluten in einem Baum ein Kind zur Welt gebracht hatte, wurde die vorher vergessene Hochwasserkatastrophe in Mosambik über Nacht zu einem globalen Medienereignis. Nach den Wasserfluten schwappten zwei weitere Riesenwellen über das Land: Zunächst trafen Journalisten aus der ganzen Welt ein und versuchten vergeblich, weitere Schwangere in den Bäumen zu finden. Ihnen folgte die zweite Welle der ausländischen Helfer, die ebenfalls bald frustriert feststellen mussten, dass auch ihre Suche nach spektakulären Hilfseinsätzen vergeblich sein würde.

Dieser Mechanismus hat sich in den vergangenen Jahrzehnten deutlich verstärkt. Medien und Helfer nutzen die Katastrophe zunehmend als Bühne für die Inszenierung eines ,,humanitären Showbusiness'', das die Arbeit vor Ort oft mehr behindert als unterstützt.

Bei der Elbeflut vor fünf Jahren kamen die Katastrophentouristen aus der ganzen Republik. Sie wurden in Sachsen zu einer Herausforderung und manchmal sogar zu einer Last für die Organisatoren. Ich erinnere mich an die Geschichte enttäuschter Helfer, die sich spontan mit einem Lkw aufgemacht hatten, um in den Flutgebieten gespendetes Spielzeug in einen Kindergarten zu bringen. Die dortige Kindergärtnerin aber hatte das Spielzeug in einen Container geworfen, in dem sie schon die Gaben anderer Helfer entsorgt hatte.

Nach dem Tsunami, der als die bestbebilderte Katastrophe aller Zeiten gilt, schwappten wohlmeinende Helfer aus der ganzen Welt in das verwüstete Gebiet. Der irrige Slogan ,,Jede Hand wird gebraucht'' und die Aussicht auf Medienpräsenz hatten sie angelockt. Eine sinnvolle Koordination der Hilfsmaßnahmen war angesichts der schieren Masse der Hilfsteams schlicht nicht mehr möglich. Mehr als 1500 ausländische Hilfsorganisationen waren wenige Monate nach der Flutwelle alleine in Sri Lanka registriert. Die Dunkelziffer dürfte ähnlich hoch gewesen sein. In Sumatra sprangen mir fast vier Wochen nach der Katastrophe knapp 20 amerikanische Chirurgen und Krankenschwestern in Operationskleidern aus einem Hubschrauber entgegen, um sich mit ihren Amputationsbestecken auf die Suche nach verbliebenen Schwerverletzten zu machen - die sie nicht fanden. In dem Städtchen Meulaboh stritten mehr als ein Dutzend ausländische chirurgische Teams darum, wer an wie vielen Stunden in der Woche den Operationssaal des völlig unzerstörten Krankenhauses benutzen durfte. Den Hilfsorganisationen gingen zum ersten Mal nicht die finanziellen Mittel aus, sondern die Opfer.

Duschkabinen aus Deutschland

Wer wollte und gerade Zeit hatte, fand entweder sofort eine Hilfsorganisation, die ihn in die Flutgebiete schickte, oder er zog auf eigene Faust los. Ein Großteil dieser unerfahrenen Helfer kam sicher frustriert zurück. Sie mussten feststellen, dass bei einer Flut eben nicht jede Hand gebraucht wird und dass die Betroffenen nicht verzweifelt und gelähmt auf die Ankunft der Hilfe von außen warteten. In gewisser Weise sind diese ausländischen Gutmenschen Opfer der Legenden geworden, die sich um die internationale Katastrophenhilfe ranken. Dabei gibt es nach jeder Flut ausreichend Hände vor Ort. Die Verteilung von Hilfsgütern führen die Einheimischen mindestens so effektiv durch wie die eingeflogenen Helfer, die häufig an den kulturellen Besonderheiten scheitern.

Als ein Mitglied einer kleinen deutschen Hilfsorganisation nach dem Erdbeben in Indien mit zwei ziemlich teuren gespendeten Duschkabinen aus Deutschland eintraf, musste er feststellen, dass die einheimischen Organisatoren bereits billigere lokale Lösungen vorbereitet hatten. Sie baten ihn, seine Kabinen nicht aufzustellen, da sie der Bevölkerung überall die selben Kabinen anbieten wollten. Sein Wutausbruch auf einem der folgenden Koordinierungstreffen verdarb die Atmosphäre zwischen den einheimischen und den ausländischen Hilfsteams für Tage.

Nicht die Masse zählt, sondern die Erfahrung. Doch die Hilfsorganisationen geben zwar viel Geld für die Anschaffung von Material aus, in die Ausbildung und Vorbereitung ihrer Helfer aber investieren sie erschreckend wenig. Selbst große Organisationen verfügen nicht über professionelle Hilfsteams. Die Folge sind bunt zusammengewürfelte Gruppen von Freiwilligen, die gerade Zeit haben und sich einen Einsatz leisten können. Die Darstellung einer Hilfsoperation in den Medien ist um Dimensionen wichtiger als das, was sie tatsächlich erreichen.

Der Slogan ,,Viel hilft Viel'' trifft in der Katastrophenhilfe ganz sicher nicht zu. Die großen Medienkatastrophen haben gezeigt, dass Heerscharen unvorbereiteter Helfer meist nur selbst das Chaos anrichten, über das sie sich später lautstark beklagen.

Inzwischen hat sich die Situation am Rhein entspannt, das ,,Schlimmste'' ist uns wieder einmal erspart geblieben. Für die Menschen in Bangladesch und Indien war die drohende ,,Jahrhundertflut'' am Rhein ohnehin ein Glücksfall, denn so verschwand ihre Geschichte innerhalb von Stunden aus dem Fokus. Zumindest dieses Mal wird ihnen die Großinvasion unkontrollierbarer Helfer wohl erspart bleiben. Nur: Wenn die dramatischen Berichte fehlen - wie sollen sich die paar Dutzend Organisationen finanzieren, die derzeit in Südasien arbeiten? Deutsche Spender sind großzügig, aber meist sind ihre Mittel zweckgebunden. Erst wenn die Spender die Organisationen von diesen Zwängen befreien, erreicht ihre Hilfsbereitschaft auch jene Regionen, die weniger spektakuläre Bilder liefern. Und erst dann lässt sich der irrwitzige Kreislauf aus dramatischen Bilder, dilettantischen Helfern und neuem Chaos durchbrechen.

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