Stimmen zur Papstwahl:"Selbst als Komödie unbrauchbar"

Ein hoffnungslos gottverlassener Acker: Schriftsteller, Regisseure, Schauspieler, Intendanten und ein Philosoph äußern sich zur Wahl des neuen Papstes.

SZ

Die Sehnsucht ist groß. Auf dem Petersplatz und auf den virtuellen Bühnen der Öffentlichkeit spürt man das Saugen eines epochalen Vakuums: Spirituelle Führerschaft! Gottesnähe! Aber nichts, rein gar nichts deutet bis jetzt darauf hin, dass dieser ungelenke Greis aus Deutschland dem Sog nach erlösender Geistigkeit mehr anbieten könnte als den Staub einer durch und durch verknöcherten Konfession. Das Papsttum bleibt auch mit Benedikt XVI. eine pompös aufgeblähte Vogelscheuche auf unfruchtbarem, auf hoffnungslos gottverlassenem Acker. Georg Klein, Schriftsteller

Stimmen zur Papstwahl: Der neu gewählte Papst auf einer Übertragungsleinwand in Rom.

Der neu gewählte Papst auf einer Übertragungsleinwand in Rom.

(Foto: Foto: dpa)

Den Zangenangriff von CIA und Heiligem Offizium auf die Befreiungsbewegung in Südamerika, die in vielen Hunderten von Toten resultierte, müsste Ratzinger in einer verbesserten Auflage seines Schuldbekenntnisses von 2000 unbedingt einbeziehen. Darauf bin ich gespannt. Carl Amery, Schriftsteller

Ein deutscher Papst - das hat uns gerade noch gefehlt. Bleibt nur zu hoffen, dass Ratzinger in seiner Rolle als "Benedikt XVI." so knöchern theologenintellektuell bleibt, wie er es als Kardinal war. Andererseits: Einem Mann, der es fertig bringt, die Inquisition als Menschheitsfortschritt zu verkaufen - weil dort ja nicht einfach verbrannt, sondern vorher noch "befragt" wurde -, ist alles zuzutrauen. Thea Dorn, Schriftstellerin

Ratzinger - ein gieriges Gesicht. Im Zweifel immer ein Rückschritt. Ein Unfall, ein Rückfall, eine Absage an die Freiheit des Denkens und Lebens. Vergessen und alleine gelassen die Südamerikaner, die Afrikaner, die Schwulen , die leidenden schwangeren Frauen und der Rest der Welt. Diese Kirche ist nicht bei Gott. Ein von den Medien inszenierte Kampagne in einer ideologielosen Zeit. Selbst als Komödie unbrauchbar. Peter Kern, Schauspieler

Dass Bild schreibt "Wir sind Papst!" hat ein irrsinniges Comedy-Potenzial. Aber ich bin nicht Papst. Ich bin an guten Tagen Atheist und an schlechten Tagen Agnostiker, und ich bin auch nicht so deutsch, dass ich jetzt juble und tiriliere. Ratzinger ist ein rückwärtsgewandter Hardliner. Der Daily Telegraph hat ihn als "Gottes Rottweiler" bezeichnet. Statt eines reformfreudigen, jüngeren Papstes aus Lateinamerika haben wir jetzt einen 78-jährigen, erzkonservativen Bayern, dessen Verhältnis zu Frauen, Verhütung, Abtreibung oder zur Befreiungstheologie höchst problematisch ist. Das ist, selbst als Zwischenlösung, das falsche politische Signal. Georg Uecker, Schauspieler

Ratzinger hat das größte Finanzkapital hinter sich, insofern ist die Wahl nicht erstaunlich. Ich hätte es besser gefunden, wenn es jemand aus der Dritten Welt geworden wäre. Ratzinger steht für Tradition, nicht für Reformen. Unser Problem heute heißt Religion, wie Religion benutzt wird, vom Islam bis hin zur amerikanischen Politik. Wenn der Papst das intellektuell begreift und in einen politischen Raum zu bringen versteht, dann ist es gut. Elisabeth Schweeger, Intendantin

Dem erzschlauen Ratzinger habe ich immer gern zugehört, habe selbst den kleinen drohenden Aufblick, den er nach vier, fünf Sätzen in die Runde schickt und in den sich winzige Sprengsel Paranoia mischen, geradezu liebgewonnen. In jedem Fall ist er ein besserer Rhetor als der verstorbene Papst. Sibylle Lewitscharoff, Schriftstellerin

An Kardinal Ratzinger hat mich immer die Verbindung von hoher Intellektualität und prinzipienfester Kirchlichkeit beeindruckt. Er wird rasch aus dem Schatten seines Vorgängers heraustreten und seinen eigenen Weg zwischen Reform und Bewahrung gehen. Er ist ein Mann, der schwer auszurechnen ist, denn er trägt seine Überzeugungen nicht vor sich her, sondern er ist diese Überzeugungen selbst. Jürgen Mittelstraß, Professor für Philosophie und Wissenschaftstheorie

Ich finde die Wahl von Ratzinger großartig, weil er ja Leiter der Glaubenskongregation war, also der Nachfolgebehörde der Heiligen Inquisition. Hexenverbrennungen, Verbannungen, Bannstrahl - auf diesen Mauern fußt das ganze Unternehmen, und das allein steht für Fortschritt. Weil jemand, der einbetoniert ist und sich vielleicht doch einen Millimeter bewegt, immer schon einen gewissen Grad an Fortschritt präsentiert. Im Vatikan soll Ratzinger immer Papa Ratzi genannt worden sein. Wie ich hörte, ist Ratzi in Österreich die Verniedlichungsform von Ratte. Es lebe die Inquisition! Christoph Schlingensief, Regisseur

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