Stephen Duffy und "Runout Groove":"Der Krabbenschwanz geht zurück"

Der Songwriter und Produzent und Gitarrist von Robbie Williams ist eine der geheimnisvollsten Gestalten des Pop. Gerade hat er sein eigenes Album vorgestellt. Ein gemeinsames Mittagessen.

Alexander Gorkow

Zum Beispiel ist die Geschichte aus Düsseldorf typisch. Da saß Stephen Duffy als musikalischer Direktor der letzten Tour von Robbie Williams tagelang im neuen Interconti. Man muss sich das so vorstellen, dass ihm eine schicke Suite zustand. Jedoch lagen alle Fenster der Zimmerflucht in Richtung eines überdachten Innenhofes, während hingegen Williams, einmal erwacht, Tageslicht und die Königsallee sah. Duffy wusste morgens nicht, ob es in Düsseldorf regnet oder die Sonne scheint. So habe er die "vielleicht ja schöne" Stadt in traumatischer Erinnerung.

Stephen Duffy

"Ich hoffe, die anderen sterben, bevor ich alt werde" - Stephen Duffy bei einem seiner seltenen Auftritte.

(Foto: Foto: Ministry of Sound)

Stephen Duffy stochert an einem Münchner Herbstmittag im Bayerischen Hof in etwas Vegetarischem herum. Er ist ein schlanker, großer Mann mit dunklen Augen und - neuerdings - einem Bart, den er aber "eventuell bald wieder entfernt", eine Auskunft, die er nach langem Überlegen so ernst erteilt, als gehe es beim Bart um Leben und Tod, was es ja für ihn möglicherweise auch tut.

Als "kleine Aufmerksamkeit des Hauses" hatte der Kellner eben einen einzelnen Krabbenschwanz serviert, um den etwas Braunschwarzes herumgebacken war. Duffy wendete die Krabbe von hier nach dort, von dort nach hier, wieder zurück und beschied dem Kellner dann, dass es nicht persönlich gemeint sei, dass er sie letzten Endes lieber nicht esse.

Die englische Komödie

Stephen Duffy trägt an diesem Tag ein Hemd mit Blumenmuster und die dunklen Haare etwas länger, was immerhin etwas Aufsehen erregt in einem Restaurant, in dem eisgekühlte Medienmanager Steaks essen und ein paar Tische weiter die obligatorischen Hotel-Russen sich beim Essen kratzen, und zwar sogar an den Eiern. Duffy sieht in diesem etwas tristen Ambiente materialistischer Gegenwart aus wie aus der Zeit gefallen - aber wann war er das nicht?

Als er mit 16 Jahren die Folkplatten des da schon lange elektrifizierten Bob Dylan hörte, war Dylan gerade in einer seiner Schaffenskrisen, im Übrigen gab es für die Massen Bombastrock und als Jugendbewegung Punk. Weil ihm Punk zu doof war und er aus artifiziellen Gründen Duran Duran mitbegründet hatte, stieg er dann da auch schnell wieder aus, kurz bevor die Band tragischerweise mit Poppermusik viel Geld verdiente.

Er hatte dann als schöner Jüngling in den 80ern seinen bis heute einzigen Single-Hit: "Kiss Me" könnte man niedlich nennen, wüsste man nicht, dass der Mann, der es damals sang, schon hundertmal weiser war als das Liedchen es erahnen ließ. Und so weiter.

Junger Vater und durchgeknallter Sohn

Zum Beispiel waren nicht wenige vor zwei Jahren überzeugt, dass er als Autor im Verein mit dem Entertainer Robbie Williams ein tolles Gespann abgeben würde. Aber dann kam nur das Album "Intensive Care" dabei heraus, über das zu reden man bei so einem Mittagessen nicht mal Lust hat. Jedenfalls verglühte Robbie Williams auf der anschließenden Tournee in einem Dom aus Licht, während Duffy hinten mit Sonnenbrille die Band im Auge behielt und Gitarre spielte: "Ich habe jeden Abend kein einziges Gesicht im Publikum gesehen. Nur Gegenlicht."

Da war sie wieder, die Duffykomödie: Einerseits im Spaßtopf des Stadionrock. Andererseits die totale Entfremdung. Einerseits Robbie Williams. Andererseits der kalte Dom aus Licht. Einerseits Suite. Andererseits Blick zum Innenhof mit Dach.

Kein schlechtes Wort über Williams käme Duffy über die Lippen, warum auch, er ist 47 Jahre alt, und es wäre wohl, als spräche der junge Vater über den durchgeknallten Sohn. Duffy ist in der Geschichte des Pop einer der geheimnisvollsten und feinsten Dichter - und dass der Künstler hinter diesen zartbitteren und so sehr englischen Liedern ein ausgemachter Tragikomiker ist, das macht die Sache ja fast noch viel schöner. Von Picasso stammt der zugegeben oft zitierte Ausspruch, dass er alt werden musste, um wie ein Kind zu malen.

Das passt nun trotzdem zur CD "Runout Groove", die gerade erschienen ist und die nahtlos an das Album "Keep Going" anschließt, mit dem Duffy 2003 Musikkritiker um den Verstand existenzialisierte. Um nicht in die Analyse von Terzen und Triolen zu verfallen, ließe sich sagen, dass beide Platten, die er mit seiner Band The Lilac Time aufnahm, im besten, also laubknisterndsten Sinne herbstlicher nicht sein könnten.

Auf der nächsten Seite erzählt Stephen Duffy eine Episode, die ihm peinlich ist.

"Der Krabbenschwanz geht zurück"

"Keep Going" wirkte dabei wie das Lennon-Album, das nie erschienen ist, und "Runout Groove" erscheint einem jetzt wie eine sehr späte Würdigung von George Harrisons Soloplatte "All Things Must Pass", die der Beatle 1970 mit so traumverlorenen Seelenmenschen wie Ray Cooper und Klaus Voormann einspielte. Sozusagen im Handumdrehen erschien der eben noch von den implodierten Beatles Desillusionierte damals wieder im Karma euphorischer Unschuld.

Das Menetekel einer Generation

Der introspektiven und melancholischen Lebensklugheit von "Keep Going" setzt Duffy nun einen drauf, indem er etwas weniger nach Innen denn nach Außen schaut, also auf die Welt. "Runout Groove" ist ein Folk-, ja in Teilen Countryalbum mit großer Noblesse, Harmonien wie aus sehr dünnem Glas, amerikanischen wie indischen Einflüssen, ein Gemisch wie aus dem London der 60er und frühen 70er Jahre, und manchmal denkt man: Oh boy, gleich steigt er auf ein Dach in der Savile Row und gibt ein Konzert.

Andererseits gibt es hier Texte, in denen Duffy als schlauer Apokalyptiker, gar als Protestsänger funkelt. "I hope they die before I am old", singt er schnöde den Heutigen zu - und mit seiner Baritonstimme: "I feel like I live in another time."

Das mag man rückwärtig nennen, wirkte Duffy nicht ruhend im Hier und Jetzt. Im schmucken Londoner Vorort Hampstead Heath lebt er inzwischen einigermaßen bereinigt von den "Katastrophen meiner wunderbaren Karriere, die samt aller Entscheidungen nicht einen Deut hätte anders verlaufen dürfen. Insofern habe ich meinen Frieden mit mir gemacht - aber sicher nicht mit den Zeiten, in denen wir lebten und leben".

Die achtziger Jahre mit ihrer Lächerlichmachung aller Anschauungen, sie bleiben, sagt er, "das Menetekel meiner, unserer Generation. Es ist so schwer, nach der Zynischen Schule noch für eine Idee, eine Überzeugung zu werben. Und wenn wir ehrlich sind, versuchen wir seither wieder jene Unschuld zu erlangen, die man sich eben manchmal in der Geschichte der Menschheit hart neu erkämpfen muss".

Marsch durch die Finsternis

Der Englischen Schule ist Duffy dabei insofern verhaftet, als dass aus diesem Album große Ironie funkelt, wenn er, zum Beispiel, in dem verschmitzten Lied "Happy Go Lucky" den Spannungsraum zwischen Vorstadtleben und Metropolensehnsucht auslebt - oder wenn er im Eröffnungssong "Another Time" singt: "By surviving failure I was a success / but by being so successfull I became a mess." Wer so dichtet, weiß, dass Humor nicht die schlechteste Methode ist, um doch noch zu überleben.

Eine gute Komödie atmet immer tiefen Ernst, und tiefer Ernst ist oft so komisch. Eines der schönsten Lieder auf dieser Platte besingt den Ostermarsch, der seit 1958 von London zur Atomfabrik in Aldermaston führt. Duffy singt: "I was born along the Aldermaston march / Now I'm older and still marching through the dark." Dieses Jahr lief Duffy wieder mit.

Er stochert im Gemüse herum. Sagt: "Ich lief mit, weil ich fest daran glaube, dass wir wieder auf die Straße gehen müssen." Pause. "Und natürlich, weil ich mich verhaften lassen wollte. Ich dachte, das wäre eine ganz gute Werbung für die neue Platte." Und? "Wir waren dann nur roundabout 30 Marschierer. Peinlich. Verhaftet wurden wir auch nicht... Naja."

Zum Totlachen. Er soll sich nichts draus machen. Ein Jahr, in dem eine so sehr feine Platte wie seine erscheint, so ein Jahr ist nicht komplett für die Katz.

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