Stephen Duffy im Interview:"Ich hätte nie Duran Duran gründen dürfen"

Stephen Duffy ist einer der größten Songwriter unserer Zeit. Das hat jetzt auch Robbie Williams begriffen - und ihn angestellt.

INTERVIEW: PHILIPP OEHMKE

SZ-Magazin: Ihre Karriere dauert jetzt ein Vierteljahrhundert. Sie haben in der Zeit 13 Platten veröffentlicht. Trotzdem kennt Sie so gut wie keiner. Wollten Sie nie berühmt werden?

duffy_archiv

Mein Gott, dachte ich, ich bin fast 25! Alle meine Bekannten sind Stars und tragen lächerliche Blousons. Also habe ich auch Synthie-Pop gemacht.

Stephen Duffy: Moment, ich war doch schon mal ein Star! Ich hatte 1984 mit Kiss Me einen Hit in den Charts. Ich war zweimal bei Top of the Pops, der Musiksendung schlechthin. Ich habe bewiesen, dass ich es kann.

SZ-Magazin: Sie hätten berühmt bleiben können. Sie würden ein Haus in Los Angeles bewohnen, offene Jaguars fahren, schicke Klamotten tragen.

Duffy: Meine Schuhe sind von Paul Smith.

SZ-Magazin: Sie haben Ende der Siebziger Duran Duran mitgegründet und bis heute schreibt kaum einer so schöne, vollkommene Lieder wie Sie. Trotzdem sitzen wir jetzt hier im Norden Londons auf weißen Plastikstühlen und trinken Dosenbier. Jetzt sagen Sie doch mal was!

Duffy: Das ganze Drama begann vor 25 Jahren mit Duran Duran. Ich hätte diese Band nie gründen dürfen! Jahre habe ich mit Therapien zugebracht, um zu verarbeiten, welche Verbrechen Duran Duran der Welt angetan hat.

SZ-Magazin: Aber Sie hatten Duran Duran ja bereits verlassen, bevor die Gruppe erfolgreich wurde!

Duffy: Ja. Ich bin schnell wieder abgehauen. Ich habe denen ein paar Tipps gegeben, wie sie ihr Make-up richtig auftragen, und habe dann meinen Job als erledigt betrachtet.

SZ-Magazin: Wieso sind Sie gegangen?

Duffy: Das lief alles in die falsche Richtung. Zunächst waren die Durans ja wahnsinnig hippe Typen. Die besaßen das erste Blondie-Album und hatten alles von Velvet Underground. Nicht wie ich nur eine Best-of-Zusammenstellung. Ich war geschockt! Ich war ja der Typ aus der Vorstadt, überhaupt nicht hip. Aber als die Durans dann anfingen, mir Platten der schrecklichen Popband Japan vorzuspielen, wusste ich: Jungs, ich bin raus.

SZ-Magazin: Und Duran Duran wurde ohne Sie eine der größten Bands der Achtziger.

Duffy: Es war furchtbar. Ständig sah ich meine alten Freunde im Fernsehen bei Top of the Pops. Und nicht nur die Durans, auch Dexy's Midnight Runners, UB 40. Das hielt ich nicht aus. Mein Gott, dachte ich, ich bin fast 25! Alle meine Bekannten sind Stars und tragen lächerliche Blousons. Also habe ich auch Synthie-Pop gemacht.

SZ-Magazin: Und auf Anhieb hatten Sie zwei Hits, Kiss Me und Icing On The Cake.

Duffy: Ja. Ich war deprimiert wie nie zuvor. Dieser Synthie-Pop war mir peinlich. Durch Zufall habe ich dann entdeckt, was ich wirklich wollte. Dummerweise war es: Akustikgitarre spielen und Folk dazu singen. Schöner Mist. Das wollte natürlich keiner hören.

SZ-Magazin: Sie haben also Ihren Popstarstatus aufgegeben.

Duffy: Ich hatte die Spitzenidee, nach dem Hit Kiss Me einen Haufen Folksongs zu veröffentlichen. Damit bin ich meine Millionen von Fans wieder losgeworden. Im Austausch bekam ich 15000 Leute, die sich für ziemlich cool hielten. Typen mit gestreiften T-Shirts und Käppis. Wäre meine Leidenschaft damals Techno mit stupiden Refrains gewesen, dann hätten Sie mich heute in Los Angeles besucht.

"Ich hätte nie Duran Duran gründen dürfen"

SZ-Magazin: War das eine dieser Entscheidungen, die man trifft, obwohl man weiß, dass man sich dadurch vielleicht ruiniert?

duff_archiv

Vergessen Sie's. Diese Songs sind so streng geheim, dass, falls Sie hier etwas mitkriegen, man Sie töten müsste. Wahrscheinlich würden sie mich auch töten.

Duffy: Stellen Sie sich vor, Sie verlassen eine Frau, obwohl Sie wissen, eine bessere wird nicht mehr kommen. Aber Sie tun es trotzdem. So fühlte ich mich und meine Entscheidung hatte mit einem magischen Moment zu tun: 1986, mein 26. Geburtstag. Ich sah den Bob-Dylan-Film Don't Look Back im Fernsehen. Und plötzlich fand ich, dass ich mich mit Kiss Me blamiert hatte.

SZ-Magazin: Aber warum denn?

Duffy: Es fällt mir schwer, darüber zu reden. Aber diese Musik - Dylan, The Incredible String Band, Leonard Cohen - hat etwas in meiner Seele zum Klingen gebracht. Und plötzlich wollte ich statt mit Synthie-Pop auf Chartposition zwei lieber mit Folkmusik auf Platz 102 sein. Also gründete ich die Folkband The Lilac Time.

SZ-Magazin: Und Sie haben mit kommerzieller Erfolglosigkeit bezahlt.

Duffy: Stimmt, einerseits. Andererseits: Wissen Sie, was das Tolle ist? Wären Sie auch nur drei Tage später gekommen, raten Sie mal, wo Sie mich gefunden hätten!

SZ-Magazin: Ihre Managerin hat es mir gesagt.

Duffy: Welche Managerin?

SZ-Magazin: Die Dame dort drüben.

Duffy: Ach, das Mädchen dort! Ja, dann wissen Sie ja, dass Sie mich in Los Angeles gefunden hätten. Bei Rob.

SZ-Magazin: Mit Rob meinen Sie Robbie Williams?

Duffy: Ja, Rob. Wir nennen ihn hier alle so. Es scheint so, als sei der Name Robbie nur für die Fans reserviert.

SZ-Magazin: Sie werden ihn besuchen auf seinem Anwesen in Beverly Hills?

Duffy: Na ja, was heißt besuchen! Ich werde den Sommer dort verbringen und wir werden die Lieder für sein Album schreiben und aufnehmen. Ich wohne natürlich bei Rob, damit ich jederzeit einsatzbereit bin. Robs nächste zwei Singles sind schon fertig, die haben wir bis gestern hier in London aufgenommen. Ich muss gleich hier im Studio den Gitarrenteil noch mal neu einspielen.

SZ-Magazin: Rob ist also auch gerade hier?

Duffy: Rob ist gestern schon zurück nach L.A. geflogen. Ich werde mir am Freitag hier noch die New York Dolls ansehen, dann fliege ich hinterher. Leider verpasse ich so am Montag das Bob-Dylan-Konzert.

SZ-Magazin: Wenn Sie gleich die Gitarre einspielen - kann man da zuhören?

Duffy: Vergessen Sie's. Diese Songs sind so streng geheim, dass, falls Sie hier etwas mitkriegen, man Sie töten müsste. Wahrscheinlich würden sie mich auch töten.

SZ-Magazin: Sie hatten in den letzten 25 Jahren exakt zwei Hits. Jetzt schreiben Sie für einen der erfolgreichsten Sänger der Welt. Sie begegnen dieser Tatsache mit reichlich Understatement.

Duffy: Ich hatte mir eine relativ stressfreie musikalische Existenz erarbeitet. Ich hatte zwar keine Hits, doch ich war stolz auf meine Arbeit. Und jetzt habe ich auf einmal die Verantwortung für das Werk eines anderen, ein Werk, das für Rob sehr persönlich und wichtig ist: Das setzt mich einem Stress aus, der schlimmer ist als alles, was ich kannte.

SZ-Magazin: Sie meinen, für jemand anderen zu arbeiten ist schwieriger, als für sich selbst?

Duffy: Das Gute, wenn man für jemand anderen arbeitet: Immerhin steht dann nicht dein Name drauf, was? Es war der blanke Horror für mich, als mir irgendwann klar wurde, dass all meine Platten, auf die ich nicht stolz bin - Dreaming zum Beispiel oder Kiss Me -, natürlich nicht vom Erdboden verschwinden. Die stehen noch überall! Und es gibt doch schon so viel Müll! Man kann einfach nicht noch mehr Müll produzieren! Ich hoffe wirklich, dass Rob durch meine Arbeit eine persönlichere Stimme für sich findet.

"Ich hätte nie Duran Duran gründen dürfen"

duffy_archiv

Alles, was du brauchst, ist ein Mädchen und eine Knarre. Für Musik gilt: Lass die Knarre weg.

SZ-Magazin: Sie könnten die Begegnung mit Rob ja auch als höhere Gerechtigkeit interpretieren. Nach all diesen brillanten Liedern, die Ihnen kein Geld gebracht haben, erscheint er als die Fee, die in Ihr Leben tritt.

Duffy: Weil ich durchgehalten habe. Ich habe meine Depressionen überwunden und irgendwann begriffen, dass ich doch ein ganz gutes Leben hatte: Ich musste die ganzen Jahre über morgens nicht aufstehen und mich nach niemanden richten. Und wenn ich genügsam lebte - was ich tat, nachdem ich mit den Models und dem Kokain aufgehört hatte -, hatte ich auch genug Geld. Und das alles, ohne dass ich groß Platten verkauft hätte! Sensationell! Aber von den paar Typen, die meine Musik tatsächlich kauften, hieß einer Robbie Williams.

SZ-Magazin: Was passierte dann?

Duffy: Rob klopfte letzten Sommer hier an meine Studiotür und wir haben rumgejammt. Die Instrumente lagen da, Rob hat sich ans Keyboard gesetzt und die Bassline angeschlagen. Er hat mir seine Ideen vorgespielt und dann haben wir Lieder daraus gemacht. Rob spielt oft nachts vor sich hin und es war an mir zu merken, in welchen Nächten Rob in der Stimmung war. Dann bin ich vorsichtig eingestiegen. Manchmal sang er und ich habe Gitarre dazu gespielt. Manchmal haben wir auch losgerockt wie zwei Jungs. Am Ende hatten wir 31 Songs geschrieben.

SZ-Magazin: Können wir die bald hören?

Duffy: Die erste Single kommt im Oktober, ein bizarres, experimentelles Stück. Die zweite Single ist eine Ballade. Sie klingt wie die Filmmusik eines Sechziger-Jahre-Films. Ich spiele Mundharmonika.

SZ-Magazin: Es muss furchtbar aufregend sein für Sie.

Duffy: Ach was. Für mich ist das, als wäre Rob meiner Band The Lilac Time beigetreten!

SZ-Magazin: Robbie Williams gilt als Popstar schlechthin. Sie aber sind das Gegenteil. Sie haben sich dem Pop immer verweigert. Können Sie beide überhaupt zusammen arbeiten?

Duffy: Wir sind beide Songwriter. Mit dem Unterschied, dass Robs Ergebnisse unfassbar erfolgreich sind und meine unfassbar deprimierend. Rob hat Millionen, die ihn lieben!

SZ-Magazin: Wenn eine Million Menschen ein Musikstück mögen - bedeutet das, dass dieses Stück auf eine Art auch gut ist?

Duffy: Die alte Frage, aber ich war immer zu selbstbezogen, um darüber nachzudenken, ob überhaupt jemand meine Platten hört. Bis ich mal jemanden besuchte, der eine meiner Platten auflegte. Da fiel mir auf: Selbst wenn ich nur 8000 Platten verkaufe - das macht 8000 Leute, die zu Hause meine Musik hören. Schockierend. Leider war ich zum Zeitpunkt dieser Erkenntnis schon 37.

SZ-Magazin: Sie haben ja sowieso mal gesagt, dass man ein gewisses Alter haben muss, um einen guten Song zu schreiben.

Duffy: Mit dem Alter kommt auch die Ehrlichkeit. Ich sage den White Stripes und all diesen Youngstern: Ihr könnt euch auf die Zukunft freuen! Wenn die erst mal 39 werden, dann wird's langsam gut. Ich habe meinen ersten guten Song mit 38 geschrieben! The Deal von der Platte I Love My Friends.

SZ-Magazin: Und mit 44 sind Sie, abgesehen von Kiss Me, zum ersten Mal in Ihrer Karriere mit der Mode im Gleichschritt.

Duffy: Es ist schön, dass die Hipster nun so tun, als würden sie Folk mögen. In Wirklichkeit haben sie natürlich eine Affinität zu gar nichts. Außer zu Mode. Aber Mode ist dazu da, Schuhe zu verkaufen. Jetzt sind meine Fans also ein Haufen Leute, die an erster Stelle Schuhe mögen und an zweiter Stelle Folkmusik. Darauf kann man keine Karriere aufbauen. Deprimierend.

SZ-Magazin: Sie können doch nicht dauernd deprimiert sein. Auch in Ihren Liedern singen Sie Sachen wie "If you are the answer, then love is like cancer".

Duffy: Ich muss zugeben, das war möglicherweise vor allem ein Reim, dem ich nicht widerstehen konnte. Der klang zu gut. Allerdings ist es auch so: Sie lieben jemanden und dieser jemand liebt Sie nicht. Sie fühlen sich, als würden Sie sterben, oder?

SZ-Magazin: Muss es eigentlich immer um Liebe gehen?

Duffy: Godard hat über Filme gesagt: Alles, was du brauchst, ist ein Mädchen und eine Knarre. Für Musik gilt: Lass die Knarre weg. Den Mädchenfaktor habe ich übrigens zu lange unterschätzt. Deswegen war meine Musik ein solcher Müll. Ich schrieb Liebeslieder, bevor ich überhaupt wusste, was Liebe ist. Ich habe auch mal versucht, ein Buch zu schreiben.

SZ-Magazin: Worüber wollten Sie schreiben?

Duffy: Über mich, natürlich. Ich kenne doch nichts anderes und halte nichts von diesen Vorortsgeschichten über Menschen, die in Nahverkehrszüge einsteigen. Das ist so typisch Paul McCartney! Der Teil über meine Kindheit lief noch ganz gut, aber dann musste ich erkennen, was für eine schrecklich hohle Person ich geworden bin. Es sollten Gedichte werden, die mit meinem Leben korrespondierten, ähnlich wie Songtexte. Ich schrieb also die Gedichte, aber ich konnte beim besten Willen kein damit korrespondierendes Leben finden! Interessant. Bücher sind so furchtbar still. Lieber ein paar Melodien.

SZ-Magazin: Das Problem mit Melodien ist doch, dass einem immer nur welche einfallen, die es schon gibt.

Duffy: Wenn Ihnen das so geht, hat es damit zu tun, dass Sie sich nicht für den absolut Größten halten. Das müssen Sie natürlich. Ein anderer Trottel hat einen ähnlichen Song? Mir egal, denn dieser andere ist nicht ich. Der hatte nicht mein Leben, nicht meine Erfahrung.

SZ-Magazin: Damit besiegen Sie Ihre Zweifel?

Duffy: Manchmal gelingt es. Wenn ich mir heute meine frühen Platten anhöre, frage ich mich natürlich, wie in aller Welt ich die Nerven hatte, die zu veröffentlichen: falsche Töne, dumme Texte. Aber wenn ich's recht bedenke: Nennen Sie mir einen anderen Künstler mit einer Reihe von Platten, die so beständig ist wie meine. Es gibt niemanden! Ich weiß das. Ich kenne sie doch alle.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: