"Starlet" im Kino:Anekdote im Westküsten-Licht

Film "Starlet" im Kino

Das als Topmodel bekannte "Starlet" Dree Hemingway ist schauspielerisch eine echte Entdeckung.

(Foto: @ Rapid Eye Movies)

Dree Hemingway, Ernests Urenkelin, gibt im Film "Starlet" ein graziöses Porno-Sternchen. Statt Sex interessiert sie sich für die Freundschaft zu einer 85-jährigen Witwe, der Regisseur Sean Baker ein sonniges, lässiges Denkmal setzt.

Von Rainer Gansera

Dieser Film erzählt von der kuriosen Freundschaft zweier Frauen. Die eine ist 21, die andere 85, und die bizarren Zufälle ihres Zusammentreffens haben den anekdotischen Witz einer Kurzgeschichte von William Saroyan. Independent-Regisseur Sean Baker setzt seine bewegende Meditation über Einsamkeit und Freundschaft im sonnigen San Fernando Valley im Stil des cinéma vérité in Szene, das heißt mit einer beweglichen Handkamera, die ihre Blicke eher erhascht als dramaturgisch forciert.

Es dauert eine Weile, bis die Kamera es wagt, Jane auch einmal direkt ins Gesicht zu schauen. Sie tastet sich vorsichtig an das Mädchen heran, begleitet sie bei alltäglichen Verrichtungen, und scheint zuerst einmal daran interessiert, vom gleißenden Westküsten-Licht zu erzählen: scharfkantige Sonnenstrahlen, die in das karge Apartmentzimmer einfallen und den Staub glitzern lassen, das Gegenlicht, das sich in der Windschutzscheibe bricht, wenn Jane ziellos mit ihrer Limousine durch die Straßen kutschiert.

Schon beim Intro erschafft Sean Baker die Atmosphäre einer vom Sonnenlicht geblendeten traumwandlerischer Trance, die er bis zum Finale durchhält und sanft moduliert. Passend zu einer Heldin, die wie benommen durchs Leben treibt. Als rätselhaft flackernde Erscheinung konturiert Dree Hemingway (Ernest Hemingways Urenkelin, die man als Topmodel kennt) diese Drifterin: graziös und fragil wie eine Ballerina, bildschön, unschuldig und herausfordernd. Sie kleidet sich nachlässig, verzichtet auf Make-up, vergnügt sich potrauchend mit ihren Mitbewohnern Melissa (Stella Maeve) und Mikey (James Ransone) bei Videospielen.

Beiläufiger Blick auf das Pornofilmbusiness

Um ihr Zimmer zu verschönern, sucht sie bei Yard-Sale-Flohmärkten nach Accessoires und trifft dabei auf die 85-jährige Witwe Sadie (Besedka Johnson), der sie eine Thermoskanne abkaufen will. "Bewahrt man darin die Asche von Verstorbenen auf?", fragt sie. Schroff entgegnet Sadie: "Nein, das ist eine Vase. Sie kostet einen Dollar. Umtausch ausgeschlossen!" Derart also lernen sie sich kennen: die traumwandelnde Schöne und die biestige Alte, die es liebt, ihre mürrische Seite zur Schau zu stellen.

Zuhause entdeckt Jane in der Kanne feinsäuberlich zusammengerollte Hundertdollarscheine, einen Schatz von insgesamt zehntausend Dollar, von dem die alte Frau offensichtlich nichts wusste. Was tun? Jane folgt der Stimme ihres Gewissens, will Sadie die Kanne zurückgeben, und weil das an deren Grantigkeit scheitert, versucht sie fortan ihre Freundschaft zu gewinnen - um ihr mit dem Geld wenigstens etwas Gutes zu tun. Erst jetzt enthüllt Baker, dass Jane und ihre Mitbewohnerin Melissa Porno-Starlets sind, und er tut dies mit demselben beiläufigen Gestus, mit dem er sein gesamtes Bilderpanorama aufblättert.

Ohne den Blick voyeuristisch, ironisierend oder moralisierend aufzuladen, betrachtet er die Mechanik des Pornofilmbusiness. Dieser lässige, detachierte Blick fasziniert durch poetische Intensitäten und die Korrespondenz mit dem weltentrückten Charakter der Heldin. Jane ist offensichtlich weder an Sex noch an amourösen Abenteuern - auf die man zu Beginn doch gefasst war - interessiert. Bisweilen verwandelt sie sich nun in ein zombiehaft taumelndes, von tiefster Einsamkeit geprägtes Wesen. Ihrer Mission aber, das Vertrauen Sadies zu gewinnen, bleibt sie treu. Ein Abenteuer, das sie immer wieder zum Leben erweckt.

"Starlet" ist eine Hommage an seine beiden Hauptdarstellerinnen, die der Erzählung Wahrhaftigkeit und Einfühlung schenken. Dree Hemingway darf als Entdeckung gefeiert werden, Besedka Johnson, die 85-jährig zum ersten Mal vor der Kamera stand, erdet die Geschichte. Vor wenigen Tagen kam die Nachricht, dass Miss Johnson an den Folgen einer postoperativen Infektion verstorben ist. "Starlet" setzt ihr ein schönes Denkmal.

Starlet, USA 2012 - Regie, Schnitt: Sean Baker. Buch: Sean Baker, Chris Bergoch. Kamera: Radium Cheung. Musik: Manual. Mit: Dree Hemingway, Stella Maeve, Besedka Johnson, James Ransone, Karren Karagulian. Verleih: Rapid Eye Movies, 104 Minuten.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: