Stardesigner Philippe Starck:Ein Stuhl für Lola Mundo

Lesezeit: 4 min

Seit 30 Jahren designt Philippe Starck Exzentrik für die Masse. Stühle, Häuser, Yachten im Geist von Philip K. Dick. Warum ist er noch immer nicht out?

Von Alexander Hosch

Wie man dasselbe immer wieder macht und am Ende trotzdem teurer und interessanter ist als alle anderen - das hat im 20. Jahrhundert Andy Warhol vorgemacht. Seine Multiples waren eben einzigartig.

Der französische Designer Philippe Starck, Jahrgang 1949, ist ebenfalls einzigartig. Einmal hielt er vor 20 Jahren einen Vortrag, ausgerechnet in Burghausen. In Erinnerung geblieben ist davon, dass man an Starck-Tischen saß, die bei Berührung kippten. Und zwei Sätze: "Was ich mache, ist alles Bullshit. Ich bin nichts, genau wie jeder andere."

Das sagt er öfter. Doch das was er macht findet unzählige Käufer. Und der Designer entwirft noch immer rastlos Tische, Räder, Uhren, Werkzeuge, Zahnbürsten, Parfümflakons, Küchenutensilien, Yachten, komplette Wohnungen, ja ganze Häuser und Hotels. Er hatte in den letzten 30 Jahren zahllose Nachahmer, aber keinen ebenbürtigen Nachfolger. Vermutlich hat noch niemand auf der Welt so viele Designstücke unter dem eigenen Namen vertickt. Sehr billige Objekte und sehr teure. Sehr niedliche und sehr böse. Auf Starcks Website flackern gerade im Wechsel das Gummilianensitzmöbel Misa Joy, eine neue Waschtischarmatur, das Fahrrad Pibal und der Plastikschaukelstuhl Light Rock auf. Plus die Labels von 138 Partnerunternehmen, die in Joint Ventures, Franchiseverträgen oder anderen Abkommen mit ihm verstrickt sind.

Starcks intelligenter Mainstream zeichnete sich früh in Form eines eingekreisten R (für Registered) ab. So erfand sich der Urheber Starck als Marke und Warenzeichen. Ein anderer Teil des kreativen Marketings waren Eigennamen für Stühle und Lampen, die oft der Literatur, speziell den Science-Fiction-Romanen von Philip K. Dick entstammten. Aus Dingen wurden Typen - wie "Dr. Bloodmoney", "Richard III.", "Lola Mundo" oder "Miss Sissi".

Vieles begann wohl mit dem Café Costes, das von 1984 bis 1994 unweit des Centre Pompidou existierte. Achtzigerjahre-Schnösel, die später Banker oder wenigstens Kritiker bei der Zeitung werden wollten, saßen damals in zartfarbenen Anzügen mit Schulterpolstern in den gleichnamigen Stühlen, zwischen denen die arrogantesten Kellner von Paris Slalom liefen. Das Costes, von Starck im Kühlschrankdesign entworfen, war eine Start-Location für die Nacht, kein Ort des Verweilens. Man schneite herein und scheiterte oder triumphierte mit seinem Outfit. In jedem Fall hoffte man, schnell durch andere interessante Neuankömmlinge von seinem Ennui erlöst und in ein Konzert von Plastic Bertrand oder zu Ariane Mnouchkines Theater geschleppt zu werden. Vom "Costes"-Stuhl wurden in den ersten fünf Jahren 400 000 Stück verkauft.

Was Philippe Starck für 2018 plant: Ein Hotel in Metz, 38 Meter über dem Erdboden. Auf einem Glasturm. (Foto: Deiss/AFP)

So beerdigten Starcks grelle Kreationen das gerade wiederentdeckte Bauhaus ein zweites Mal. Nicht nur in Paris hatte gegen ihn niemand eine Chance. Er gestaltete die Schrillvögeldisco Les Bains-Douches und die Gemächer des sozialistischen Präsidenten im Elysée. 1990 entwarf er eine Stehhilfe für das Büro von Wim Wenders, im selben Jahr die Zitruspresse "Juicy Salif". Angeblich taugt sie nichts. Aber sie sah von Anfang an atemberaubend aus, wie ein Wesen aus der Star-Wars-Trilogie.

Starck Vader schritt weiter voran. Es kam die Zeit der Boutiquehotels. Als der Architektur-Autodidakt einer Brasserie in Tokio einen goldenen Flammen-Kopfputz aufsetzte und dem Hotel Royalton in New York ein Barockdekor, ätzten nicht mehr nur die Designpäpste, sondern auch die Apostel der Baukunst, die damals schon keinen Spaß verstanden. Ja, Starck war witzig. Und lästig, denn er hatte anhaltenden Erfolg. Kein Geringerer als Philip Johnson entwarf 1999 das Ausstellungsdesign für "Furniture and Objects", die große Starck-Schau in der MoMA-Filiale P.S.1.

Als im selben Jahr urplötzlich der Minimalismus da war, machte Starck ein Drama daraus: Im Delano Hotel in Miami feierte er die Kunst der Zurückhaltung mit riesigen weißen Vorhängen. Es folgten Nobelhotels wie das Sanderson in London, das JIA in Hongkong und das Faena in Buenos Aires. Das teuerste Starck-Produkt aller Zeiten war die Superyacht "Venus" für Steve Jobs, sie kostete 100 Millionen Dollar. Sein schrägstes eine verchromte und vergoldete Alu-Kalaschnikow mit Lampenschirm. Doch seltsamer als seine Fließband-Exzentrik ist die Tatsache, dass er in all den Jahren niemals ganz out war. "Starck wurde berühmt dafür, berühmt zu sein" schrieb sein Biograf Olivier Boissière schon vor 25 Jahren.

Philippe Starck. (Foto: Martin Bureau/AFP)

Warum gelang es Starck, selbst in den Zeiten der platzenden Wirtschaftsblasen zu faszinieren? Weil es Menschen gibt, die - egal wie der Weltgeist tickt - immer alles üppig wollen. Und weil er stets selbst seine beste Werbeagentur war. Er entwirft - und produziert dabei Schlagzeilen. Und weil er nicht nur in Produkten denkt, sondern in Konzepten, Serien, Herstellungslizenzen - ob es um Plastikstühle für Kartell geht, Hotels für die eigene Marke Mama Shelter oder um Starck-Wohnungen, von denen zwischen Moskau und Miami, Punta del Este und Tel Aviv schon Tausende verkauft worden sein sollen. Auch in Hamburg, Berlin und München hoffen Anleger, dass sich der Status des Entwerfers in Bares ummünzen lässt, wenn sie ihre "Yoo"-Apartments irgendwann wieder abgeben.

Was fängt der Kunstmarkt mit so jemandem an? Seine Auflagen sind enorm hoch, der Markt honoriert aber Raritäten und Unikate. Deshalb bleiben Starck-Objekte bei Auktionen oft unter ihrem Schätzpreis stecken. Nur Prototypen gehen gut: Entwürfe für das Royalton oder private Anfertigungen für den Hoteltycoon Ian Schrager. 2014 erlöste der Tisch "Illusion" bei Phillips 50 000 Dollar. Es soll davon nur zwei geben. Verglichen mit seinen anderen Bühnen blieb der Auktionsmarkt eher ein Nebenschauplatz für Starck. Man kann ihn nicht mal wiederentdecken.

Kürzlich wurde auf der Mailänder Möbelmesse die Zitruspresse zum 25. Geburtstag in massiver Bronze neu herausgebracht - für 1000 Euro das Stück. Es gibt 299 Exemplare. Für einen späteren guten Kunstmarkt sind das zu viele. Kann es sein, dass Starck und seine Partner schon auf ihren Primärmärkten immer so gründlich den Gewinn abräumen, dass für Sekundärmärkte nichts bleibt?

"Wir sind wie Louis XIV. und bauen Häuser zu 90 Prozent, um den Nachbarn damit zu zerstören", moralisierte Starck 1994 in einem Werbefilm zu seinem ersten Fertighaus. Er schwärmt darin von Ehrlichkeit und inneren Werten. Es sei die beste Architektur, die er je entworfen habe - ein simples Giebelhaus aus Holz, das viel Licht und Schutz gegen die Elemente biete und das Glück der Menschen reflektiere, die es bewohnten. "Dies ist das Haus, in dem ich als Kind gerne aufgewachsen wäre." Auch Authentizität kann Starck also besser als andere. Nach dem Film wollte man jedenfalls sofort in sein Holzhaus ziehen. Und man war sich plötzlich sicher, dass Starck es ernst meint, wenn er mal wieder über seinen anderen Kram lästert. "Alles Bullshit."

Seit Ende 2014 gibt es ein weiteres ehrliches Starck-Fertighauskonzept - aus Holz, ökologisch, ökonomisch, mit Pflanzendach. Andererseits: Gerade im Februar wurde auch sein neues Hotel in Metz angekündigt, auf dessen Flachdach der Designer 2018 ein originales Fachwerkhaus stellen will. Das postmoderne Las Vegas ist tot - es lebe Lothringen! Ein Geheimnis von Philippe Starck ist, dass er kein Dogma kennt und keinen Ernst. Schon dafür hat er den Erfolg verdient.

© SZ vom 06.06.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: