Star-Architekt entwirft Freizeitoase:Der Spaß geht im Osten baden

Wer wissen will, warum die deutsche Einheit ökonomisch komplett scheitert, der schaue sich an: Oscar Niemeyers Entwurf für ein Freizeitbad in Potsdam!

JENS BISKY

Der Potsdam-Besucher, der ahnungslos aus dem Hauptbahnhof tritt, dürfte demnächst vor einer großen Überraschung stehen. Er könnte für einen Augenblick glauben, in den fünfziger Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts wäre Potsdam nicht eine verschlafene Bezirksstadt der DDR, sondern ein Weltzentrum moderner Architektur gewesen. Leuchtend weiße Kuppeln aus Stahlbeton werden ihn begrüßen, verbunden durch eine Glasgalerie, eingebettet ins Grün, umgeben von Wasser. So sah in der Nachkriegszeit, als man noch ans Atom und die Chemie glaubte, der Traum vom Fortschritt, vom besseren Lebens aus: übersichtlich, schwungvoll, naturnah und doch von Technik bestimmt.

Star-Architekt entwirft Freizeitoase: Niemeyer Entwurf des Spassbades für Potsdam

Niemeyer Entwurf des Spassbades für Potsdam

(Foto: Foto: ap)

Die Chancen stehen nicht schlecht, dass die brandenburgische Landeshauptstadt nun, mit fünfzig Jahren Verspätung, auch ein Monument dieser guten alten Moderne erhält, ein wenig schöner noch und reiner als die Werke der Interbau aus dem Jahr 1954 im benachbarten Berlin. Am Brauhausberg, wo derzeit noch die "Kampfmittelerkundung" läuft, soll nach dem Willen der Stadtwerke im Herbst 2007 eine Badeanstalt nach dem Entwurf des 97-jährigen Brasilianers Oscar Niemeyer eröffnet werden, ein Freizeitbad, wie es seinesgleichen in Berlin und Brandenburg nicht hat. Weil man etwas Unvergleichliches, Einzigartiges wünschte, wurde auf die sonst übliche Ausschreibung verzichtet. Experten musterten die Liste der Pritzker-Preisträger, die Wahl fiel auf Niemeyer, den Kommunisten und Lenin-Preisträger, den legendären Baumeister von Brasilia.

Am gestrigen Mittwoch wurde der bisher argwöhnisch geheimgehaltene Entwurf der Öffentlichkeit vorgestellt. Niemeyer hatte zu diesem Anlass eine Videobotschaft aus Rio de Janeiro gesandt, in der er den Stahlbeton und die Bauaufgabe pries. Es gehe um Jugend, Gesundheit und Gemeinschaft. Überall auf der Welt sei Architektur eine Sache der herrschenden Klassen. Deswegen müsse sie schön sein, damit das Volk innehalten, staunen und sich freuen könne. Tatsächlich besticht Niemeyers Entwurf aus dem Geist einer altgewordenen, aber nicht überholten Moderne durch eine schöne Mischung aus Strenge und Abwechslung.

Für jedes der verstreut liegenden Schwimmbecken wurde eine eigene Form gefunden. Unter den verschiedenen Kuppeln, die mit Öffnungen gen Süden versehen sind, finden sich eine Rutschlandschaft, ein Becken für Kinder, eines für den Spaß, aber auch ein Wettkampfbecken nebst Sprungturm, beides von einem sanft gewölbten Dach überspannt. Ein Terrassenrestaurant krönt das kreisrunde Eingangsgebäude. Sauna, Wellness, Solebecken - es wurde wohl nichts vergessen. Die Technik ist im Untergeschoss verborgen.

Niemeyers Entwurf ist ein Glücksfall für Potsdam, das Projekt Erlebnisbad am Brauhausberg aber ein Fluch. In dem Moment, in dem die Stadt sich anschickt, mehr zu werden als ein Freilichtmuseum der Hohenzollernzeit, betonte der Oberbürgermeister Jann Jakobs rasch wieder den musealen Charakter der Stadt. Er schwärmte von der Aussicht, Niemeyers Namen neben denen von Knobelsdorff und Schinkel in Potsdam-Reiseführern gedruckt zu sehen.

Dabei steht das Spaßbad-Unternehmen keineswegs in gut preußischer Tradition. Knobelsdorff war ein Dilettant, der das Vertrauen des Königs gewann und dann brillierte, Schinkel schon ein Zögling der eigenen Berliner Bauschule. Die Potsdamer aber setzten nicht auf eigene Kraft und scheuten jedes Risiko. Sie kaufen die Intelligenz und das vortreffliche einfach andernorts ein. Der Neffe Niemeyers soll nun die Arbeiten am Brauhausberg beaufsichtigen. Und sie kaufen den Entwurf nicht einmal für eigenes Geld.

Wieviel genau der Bau der Badeanstalt kosten wird, wusste gestern noch keiner zu sagen. Vorsichtige Schätzungen gehen von 31,5 Millionen Euro aus. Achtzig Prozent der förderfähigen Summe, insgesamt 24 Millionen Euro, will, wie der Finanzminister Rainer Speer versprach, das Land zuschießen. Auch EU-Gelder könnten angefordert werden. Es dient schließlich alles dem Ausbau der touristischen Infrastruktur und mithin der Schaffung von Arbeitsplätzen.

Um diese Fördergelder abrufen zu können, muss das Bauwerk Ende 2007 vollendet sein. Also beeilt man sich jetzt mit den Detailplanungen, wird bald mit dem Abriss eines Restaurantwürfels und einer Schwimmhalle aus DDR-Tagen beginnen. Und man hofft, dass der Einspruch von zwei, sich benachteiligt sehenden Architekturbüros von der Vergabekammer abgelehnt wird.

Potsdam ist die ostdeutsche Stadt mit der höchsten Kaufkraft, sie leidet nicht unter Abwanderung, sondern wächst. Nach einem Entwurf Gottfried Böhms wird ein Theater errichtet. Einen Landtagsneubau in den Maßen des Stadtschlosses und mit historisch anmutender Fassade hat man vor kurzem beschlossen. In der Stadt lebt inzwischen ein eigenes, wohlhabendes, gut durchmischtes Bürgertum, das sich mit der Wiedererrichtung des Fortuna-Portals ein Denkmal gesetzt hat. Die Menschen in der Priegnitz, die auf die Einwohnerzahl von 1870 zurückgeschrumpft ist, dürften sich fragen, warum so viele Fördergelder in die Landeshauptstadt fließen.

Alle anderen Steuerzahler müssten sich verwundert die Augen reiben, warum ein Land, das Gelder aus dem Solidarpakt erhält, ein solches Luxusprojekt für fette Jahre bezuschusst. Sie müssten nachfragen, ob die Freunde des Alten Fritzen nach dem Besuch in Sanssouci wirklich rutschen wollen. Wer in zehn Jahren Touristen zeigen will, warum die deutsche Vereinigung zum ökonomischen Supergau wurde, muss lediglich eine Tour durch die Spaßbäder des neuen Ostens anbieten. Nirgend sonst auf der Welt stehen sie so dicht gedrängt wie hier. Niemeyers Bad wird ohne Zweifel das schönste sein. Das stimmt dennoch nicht froh.

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