Stalag-Romane:Von der Gier nach dem Schock

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Es erscheint ein Film über Nazi-Pornographie, und man kann wenig dagegen sagen. Was ist passiert?

Ruth Schneeberger

Hinlänglich bekannt ist, dass die Auseinandersetzung mit dem Holocaust hierzulande bisweilen als, sagen wir, schwierig gilt. Von Eva Herman bis zu Kardinal Meisner melden sich zurzeit mehr denn je Nationalsozialismus-"Experten" zu Wort. Wer ihnen wohlgesonnen ist, bescheinigt ihnen, dass sie in einer emotional aufgeladenen Debatte einfach nicht den richtigen Ton treffen.

Neu im israelischen Kino: Eine Dokumentation über Stalag-Romane. (Foto: Screenshot: sueddeutsche.de)

Wie angemessen sich dagegen die Opfer des Nationalsozialismus selbst mit dem Thema auseinandersetzen, darüber weiß man weniger - und es wird jetzt in Israel thematisiert, wie die New York Times berichtet. Auf, nunja, ungewöhnliche Weise: Unter dem Titel "Stalags - Holocaust und Pornographie" widmet sich der israelische Dokumentarfilmer Ari Libsker einem brisanten Thema, das von ihm erstmals in die breite Öffentlichkeit getragen wird.

"Stalag" ist die Abkürzung für Stammlager - so wurden zur Zeit des Nationalsozialismus die Lager zur Unterbringung Kriegsgefangener des Zweiten Weltkriegs bezeichnet. "Stalag" ist aber auch der Titel einer Reihe von pronographischen Groschenromanen, die in den sechziger Jahren in Israel in Umlauf gebracht wurden. Und zwar zu einer Zeit, als in Deutschland der Eichmann-Prozess an die Öffentlichkeit brachte, mit welcher Grausamkeit die Vernichtungsbürokratie funktioniert hat.

Massenvernichtung vs. Sadismus

Im Schatten dieses Verfahrens blühte das Stalag-Genre auf, und brach damit gleich ein doppeltes Tabu: Es führte Pornographie für ein größeres Publikum in einem puritanischen Land ein. Und seine Geschichten spielten in Gefangenenlagern.

Der Plot der wegen ihres Erfolgs seriell produzierten Stalag-Romane war immer derselbe: Ein alliierter Soldat, zumeist ein US-Pilot, wird in einem deutschen Stammlager gefangen gehalten und von sadistischen weiblichen SS-Offizieren gedemütigt und vergewaltigt. Am Schluss kann sich der Soldat befreien und bestraft die SS-Frauen, indem er sich selbst an ihnen vergeht.

Geschrieben wurden die Heftchen von Autoren mit Namen wie Mike Longshot oder Archie Berman, die selbst die Helden der Geschichten waren - was den Romanen den Anschein der Authentizität gab. Die New York Times sieht in ihnen Israels "schmutziges kleines Geheimnis".

Tatsache ist: Die Autoren waren allesamt Israelis, die meisten von ihnen Kinder von Überlebenden des Holocaust. Diese beiden verblüffenden Fakten legt Ari Libsker nun in seiner Dokumentation dar - verbunden mit der Einschätzung eines Historikers: In Israel, so Omer Bartov, habe zu Beginn der sechziger Jahre eine schwer erträgliche Atmosphäre der Verdrängung geherrscht. In einem Staat, der sich im Aufbau befand und als sozialistisch verstand, hätten die Stalags eine geradezu befreiende Wirkung gehabt.

Israelis hätten mit ihnen Phantasien der Ermächtigung ausleben können - bis zu diesem Zeitpunkt sei das Trauma in Israel nahezu unausgeprochen gewesen, wie die taz den Hintergrund des Dokumentarfilms beleuchtet. Schließlich seien Anfang der sechziger Jahre etwa die Hälfte aller Israelis Holocaust-Überlebende gewesen. Diejenigen, die während des Zweiten Weltkrieges in Palästina gelebt hatten, hätten die überlebenden Opfer des Nationalsozialismus nicht selten mit Arroganz und Verachtung zusätzlich gestraft. Erst der Eichmann-Prozess habe Öffentlichkeit und Kenntnis über das Ausmaß der Gewalt geschaffen.

Soldaten zu Würmern

"Wir kehrten die Figur der unterworfenen, vergewaltigten Frauen um. Wir machten sie zur Herrscherin, gaben ihr Sklaven, nämlich Piloten und Offiziere, die zu Würmern wurden", zitiert die taz den Herausgeber der ersten Reihe von Stalags, Esra Narkiss.

Sowohl die Motivation als auch der Erfolg der Nazi-Pornos waren also zurückzuführen auf das erlittene Leid und die Unmöglichkeit, damit öffentlich umzugehen. Hier brach sich in der Kunstform des ursprünglich Verbotenen der Traum von einem glücklichen Ende Bahn. Die Groschenromane wurden in hoher Auflage in Kiosken in ganz Israel verkauft.

1962 wurde das Taschenbuch mit dem Titel "Ich war Oberst Schultzes Hündin" wegen seines angeblich antisemitischen und pornographischen Inhalts verboten. Darin foltert ein SS-Offizier eine französische Gefangene, die ihm eine Ohrfeige gegeben hat. Es sei "das schrecklichste Buch, das je auf hebräisch geschrieben wurde", schrieb damals ein Reporter. Dies war der Höhepunkt der Stalag-Roman-Welle. Leni Riefenstahl, Ilse Koch als "Hexe von Buchenwald" und schließlich Adolf Eichmann waren weitere Vorbilder für die Romanfiguren, die hauptsächlich von 1961 bis 1963 über die Ladentische gingen. Heute erinnert man sich in Israel ungern an die Stalags.

Der Dokumentarfilm wirft die Frage auf, wie der Holocaust heutzutage jungen Israelis vermittelt wird - abseits der bizarren Weise in den frühen sechziger Jahren -, aber teilweise von schlecht informierten Lehrern. Er zeigt jüdische Schulklassen in Auschwitz, deren Lehrerin mit Genuss am Horror Geschichten von hübschen Jüdinnen erzählt, die deutschen SS-Leuten als "Feldhuren" zur Verfügung gestanden hätten. Libskers Kronzeugin, die Schriftstellerin Ruth Bondie, versucht diesen offenbar weitverbreiteten Mythos zu widerlegen. Die jüdische Lagerprostituierte sei erfunden worden, um den alltäglichen Horror der jungen Mütter in den Lagern in den Hintergrund zu drängen, so Bondie.

Für Libsker ist die Gier nach Schockierendem in Verbindung mit dem Holocaust ein Grund für die Existenz und den Erfolg der Stalag-Romane. Für die israelische Filmemacherin Tal Sterngast, die in der taz den Film beleuchtet, sind sie etwas anderes: "So schrill, vulgär und respektlos die Stalag-Romane auch gewesen sein mögen - sie durchbrachen das Schweigen derer, die den Lagern entkommen waren."

"Stalags - Holocaust und Pornographie" lief im Juli auf dem Filmfestival in Jerusalem und kommt im Oktober in die israelischen Kinos.

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