Städtebau:Platte oder Preußen

Potsdam soll schöner und wieder barocker werden, finden die einen. Wenn alle Spuren von DDR-Architektur durch Abrisse getilgt werden, droht ein Disneyland, warnen die anderen. Szenen eines Häuserkampfes.

Von Jens Schneider

Mit dem Lift geht es in den 17. Stock, dort zieht Marco Wesolowski die Treppe zum Dach herunter und steigt voran. Oben gilt der erste Blick seinen Bienenvölkern. Der Hoteldirektor hebt den Deckel der Box, prüft den Ertrag, "sind gut zwei Kilo zusammengekommen", sagt er. Seit zwei Jahren hält er die Bienen in 55 Metern Höhe auf dem Hotel Mercure, das Potsdams Zentrum überragt wie nur noch die Nikolaikirche. Von hier schwärmen die Bienen aus, zur Havel auf die Freundschaftsinsel oder in den Lustgarten, Potsdams älteste Gartenanlage, die in der Zeit vor Friedrich dem Großen entstand. Klingt das nicht nach einer schönen Verbindung?

Der Hoteldirektor hat Spaß an solchen Geschichten gefunden, die zeigen sollen, dass sein Haus lebt und zu Potsdam gehört. Es ist bestens ausgelastet, und das, obwohl manche in Potsdam redeten, als sei das einstige Interhotel abgewrackt und ohne Zukunft. "Manchmal habe ich den Eindruck, dieses Haus soll wund geschossen werden." Im Potsdamer Häuserkampf wird seit Jahren darum gerungen, wie die Geschichte der Stadt sich in ihrem Antlitz spiegeln soll. Gerade spitzt sich der Konflikt zu: Wie viel DDR darf bleiben? Und wie viel Barock darf nachgebaut werden?

Was ist wichtiger - die historische Harmonie oder das Erbe der sozialistischen Stadt?

Von hier oben fällt auf, wie nahe die umkämpften Orte beieinander liegen. Wenige hundert Meter nach Westen liegt in Richtung Schloss Sanssouci die Brache, auf der die 1968 gesprengte Garnisonkirche stand, ein Hauptwerk des preußischen Barocks. Es soll wieder aufgebaut werden, sagen die einen. Jeder Neubau werde nur eine Kopie sein, sagen Gegner, die den Bau auch wegen seiner Geschichte ablehnen. Ein Stück stadteinwärts stoßen der Alte Markt und die Fachhochschule aus DDR-Zeiten aufeinander, noch ein Potsdamer Entweder-oder: Das eine soll weg, damit das andere blühen kann. Das Mercure ist über diesen Streit zu einer Ikone geworden. Der graue Block hat sich äußerlich wenig verändert, seit er 1969 als Wahrzeichen für das sozialistische Potsdam entstand. Nun soll er weg.

Oberbürgermeister Jann Jakobs und das Stadtparlament haben beschlossen, dass hier eine "Wiese des Volkes" entstehen soll. Der Hoteldirektor wird jeden Tag von Gästen gefragt, wie lange das Haus noch steht. An der Rezeption erzählen alte Potsdamer von Jugendweihe-Feiern und Tanzabenden. "Wir bekommen Briefe und E-Mails, in denen steht: Haltet durch!" Dabei sei viel investiert worden, "die Debatte ist geschäftsschädigend", sagt er. Es gibt seit Monaten Proteste. "Da soll ein Stück Vergangenheit ausgemerzt werden", erregte sich auch Manfred Stolpe, Brandenburgs erster Ministerpräsident nach dem Ende der DDR. 17 000 Potsdamer haben ein Bürgerbegehren gegen den Abriss unterschrieben, jetzt muss Potsdams Politik darüber beraten. Bleibt sie bei ihrem Plan, kommt ein Bürgerentscheid.

Das Hotel Mercure und Fortunaportal auf dem Alten Markt in Potsdam 3 Juli 2016 Der Abriss des Hot

Kann es weg - oder nicht? Das Hotel Mercure, einst Interhotel, davor das Fortunaportal auf dem Alten Markt in Potsdam.

(Foto: Martin Müller/imago)

Das Mercure ist Teil eines Pakets, das manche inzwischen gern aufschnüren würden. Vom Hotel führt der Weg in die Stadt über eine laute Bundesstraße hinüber zum Landtag, der dem Stadtschloss nachempfunden ist, das einst hier stand. Auch darum wurde heftig gestritten, Kritiker fürchteten ein barockes Disneyland. Draußen steht groß in goldener Schrift: "Ceci n'est pas un château", ein Schloss ist das nicht.

Ludger Brands zeigt auf das Mercure gegenüber. "Auf alten Karten können sie gut sehen, wie sich vor dem Schloss der Lustgarten ausdehnte", sagt der Architekt. Er engagiert sich in der Initiative "Mitteschön", beschäftigt sich schon lange mit Potsdams Mitte. "Das Mercure ist ein Störfaktor", sagt er. Dringlicher aber ist für ihn die andere Seite des Landtags, am Alten Markt prallen Alt und Neu aufeinander: Die marode Fassade der Fachhochschule stößt direkt auf den lieblichen Landtag.

Der Platz ist leer. Brands erzählt von Reiseführern von vor hundert Jahren, in denen der Alte Markt als einer der schönsten Plätze Europas gepriesen wurde. "Wenn man die Fachhochschule im Rücken lässt, kann man das gut nachempfinden", sagt er und blickt auf das feine Palais Barberini, das einst in Anlehnung an den Palazzo Barberini in Rom gebaut wurde. "Wenn wir uns umdrehen, sehen wir das Debakel." Von Urbanität könne nicht die Rede sein. "Das ist ein absoluter Unort."

Dort standen einst Stadthäuser, alles war kleinteiliger. Das soll zurückkehren, mit Bauten entlang den Gassen, die es nicht mehr gibt. "Das Bild von Potsdam ist hier auf brutalste Weise gebrochen", diesen Bruch zu beseitigen, darum gehe es. Gewiss müssten Zeugnisse der DDR-Geschichte erhalten bleiben; aber nicht hier.

Eine Menge DDR-Architektur soll hier verschwinden, die Fachhochschule, die demnächst an den Stadtrand umzieht, und der Staudenhof, ein Plattenbau mit 186 Wohnungen und Sanierungsbedarf. Die lukrativen Grundstücke sollen an Investoren verkauft werden, auch Baugenossenschaften der Stadt wollen sich engagieren, was günstigere Wohnungen bedeuten könnte.

Es sind viele junge Potsdamer, aber auch Alteingesessene, die sich in der Initiative "Potsdamer Mitte Neu Denken" engagieren - gegen "diesen unbedingten Willen, sich von der Nachkriegsarchitektur zu verabschieden", wie Frauke Röth sagt, eine Sprecherin. Der Protest rührt auch aus dem Gefühl, dass in Potsdams Zentrum nur noch teure Häuser entstehen. Die boomende Stadt ist längst zu einer besonders kostspieligen geworden.

Die vielen Engagierten für und gegen die Bauprojekte treffen sich auf Foren, die veranstaltet werden, damit von Dialog die Rede sein kann. Aber es gibt wenig Verständigung. "Ich erlebe das als eine Situation, in der nicht diskutiert wird", sagt die Künstlerin Annette Paul. Potsdam sei in dieser Hinsicht leider einzigartig, sagt Paul, die vor Jahren aus Dresden herzog. Sie fordert mehr Kompromissbereitschaft. Von ihr kam einst der Entwurf für die Aufschrift am Landtag, die daran erinnert, dass es kein Schloss ist. Meinungen würden wie Prellböcke vorgeschoben, sagt sie. Sie erinnert an Städte wie Rom und Paris, wo man Gebäude aus den Sechziger- und Siebzigerjahren umgebaut habe, von ähnlicher Größe wie der Fachhochschule.

Wahlvorbereitung in Brandenburg

Der Abriss des Hotel Mercure und anderer DDR-Bauten wird aktuell wegen Neugestaltung der historischen Stadtmitte debattiert.

(Foto: dpa)

Aber jedes Spiel mit Brüchen widerspricht dem, was Befürworter einer harmonischen Mitte wollen. "Schauen Sie auf alte Grundrisse", sagt Barbara Kuster. Die Sängerin ist eine treibende Kraft bei "Mitteschön". "Da sehen Sie, dass Potsdam über 300 Jahre lang eine fein komponierte Stadt war." Kuster ist hier aufgewachsen, gleich neben der Garnisonkirche. Schon als Kind habe sie gemerkt, was hier nicht zusammenpasse, erzählt sie. Einmal sollte sie einen Aufsatz schreiben und das neue, sozialistische Potsdam loben. "Ich habe mich da sehr schwergetan, das schön zu finden."

Barbara Kuster mag nicht, dass ihr vorgeworfen wird, sie wolle nur das barocke Potsdam zurück. "Wir sind nicht die Rückwärtsgewandten. Wir wollen kein Disneyland, auch nicht alles wie früher. Es soll was von der DDR übrig bleiben." Aber Brüche? Kanten? Wenn Kuster die Worte hört, schüttelt sie sich. Das sind für sie theoretische Konzepte, die Schönheit und Harmonie ablehnen. Wenn die Fachhochschule und der liebliche Landtag aufeinanderstoßen, kann sie an der Spannung nichts schön finden. "Das ist für mich konfus."

Es gibt ein Bürgerbegehren für das Hotel - und auch die Promis aus den Villenvierteln mischen mit

In ihrem Idealbild findet Potsdam in die Struktur der alten Komposition zurück, mit neuen Gebäuden, die den Alten Markt lebendig werden lassen, "wo Friedrich der Große erkennbar ist". Zu diesem Potsdam soll das Mercure-Hotel nicht mehr gehören. Kuster hat es nicht eilig: "Wir haben nie gefordert, dass das Mercure weg soll." Irgendwann werde die Bausubstanz so marode sein, "dass das Ding sowieso abgerissen wird. Das erledigt sich von allein." Nur müsse festgeschrieben sein, dass auch nichts Neues dort gebaut wird.

Aufmerksam wird in der Stadt verfolgt, was von prominenten Potsdamern zu hören ist, die in den Villen der Berliner Vorstadt leben und den Streit mit Leidenschaft verfolgen, ohne sich zu beteiligen. Die Kritiker der Pläne argwöhnen, dass diese Leute viel mehr Einfluss haben, als öffentlich zu erkennen ist. Umso größer ist jedes Mal die Resonanz, wenn sie doch auftauchen. Im Frühjahr etwa hat Kai Diekmann einen Perspektivwechsel probiert und danach bekannt werden lassen.

Hotel Mercure

Das Hotel spiegelt sich in einem Wasserbassin, das von Friedrich I. König von Preußen zu Beginn des 18. Jahrhunderts für seine Prunkjacht angelegt wurde.

(Foto: picture alliance)

Der Herausgeber der Bild-Zeitung machte sich einen Spaß daraus, im umstrittensten Hotel seiner Heimatstadt zu wohnen. Er lebt wenige Kilometer vom Mercure entfernt, in der Berliner Vorstadt. Für eine Nacht mietete er sich und seine Familie im 16. Stock ein. Er schwärmt vom wunderbaren Ausblick. "Ich bin mir nicht mehr sicher, ob der Abriss des Mercure wirklich richtig ist", sagt er. "Es ist ein hässlicher Bau. Aber es gehört auch zur Geschichte der Stadt. Es gehört zu Potsdam."

Kai Diekmann zeigt Verständnis für diejenigen, die in Potsdam groß geworden sind und mit dem Hotel viele Erinnerungen verbinden. "Ich halte es nicht für gut, wenn über diese Debatte ein Konflikt der Alteingesessenen gegen die Neuen geschürt wird. Das Mercure ist ein bisschen das Symbol dafür geworden", sagt er: "Ich frage mich, welchen Sinn so ein Abriss machen soll, wenn am Ende eine Wiese des Volkes an seine Stelle treten soll?"

Ganz anders sei das bei der Fachhochschule und dem Staudenhof. "Deren Abriss ist beschlossen, und das ist richtig. Und wenn der Preis für die Akzeptanz dieses Abrisses der Erhalt des Mercure sein sollte, wäre das für mich in Ordnung."

Das Bürgerbegehren ist auf dem Weg, der Bürgermeister will das Mercure langfristig weiterhin weghaben, heißt es im Rathaus. Der Hoteldirektor sagt: "In unserem unternehmerischen Denken spielt der Gedanke an einen Abriss keine Rolle." Anfang September soll es in der Panorama-Bar im 17. Stock ein "Event mit Bar-Atmosphäre" geben. Es ist längst ausverkauft.

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