Stadtpolitik:Macht es wie Halle . . .

. . . und bewerbt euch NICHT um den sinnlosen Titel "Kulturhauptstadt Europas". Denn dieser steht längst nicht mehr für Kultur, sondern für zum Fremdschämen bizarre Clownerien von Event-Organisatoren.

Von Gerhard Matzig

Wie sich gewisse Planetenkonstellationen nur alle Jahrmillionen ergeben, so bietet sich auch relativ selten die Möglichkeit, den Stadtrat von Halle außer für sein idyllisches Dasein an der Saale auch noch für seine Weisheit zu rühmen. Doch hier ist sie, die einmalige Chance: Am Mittwoch hat der Stadtrat überraschend beschlossen, sich NICHT um den Titel "Kulturhauptstadt Europas 2025" zu bewerben.

Der Grund dafür liegt einerseits in einem etwas tranigen Konzept ("Halle: vernetzte Stadt"), das schon im Vorfeld wegen seines Mangels an Partizipation und Transparenz zu einem Dokument des Nichtvernetztseins wurde. Andererseits hat das übliche Parteiengerangel zur Absage geführt. Dennoch sind diese Nachrichten aus der im Süden Sachsen-Anhalts gelegenen Stadt, die dank Händel, der Franckeschen Stiftungen und einer der ältesten Universitäten Deutschlands ohnehin ein ehrwürdiges Zentrum der Kultur ist, wunderbar.

Das Nein der Stadträte lässt hoffen, es könnte bald noch mehr Städte geben, die den alljährlichen Kulturstadttingeltangel als Marketing-Missverständnis begreifen. Denn mit Kultur hat die in die Jahre gekommene Erfindung der Kulturhauptstadt schon lange nichts mehr zu tun. Wie so manchen bürokratischen Furor sollte man auch den Kulturhauptstadtbeschluss 1419/1999/EG dem Sondermülldepot überantworten.

Die dafür aus Steuermitteln in vielen Jahrzehnten zwischen Street Art und Strandparty verschleuderten Milliarden sollte man alternativ in die Pflege längst bestehender, oft darbender Kultur- und Stadtstrukturen fließen lassen - statt sie all den global herumvagabundierenden Kulturmanagern und ihren temporären Clownerien hinterherzuwerfen. In Halle leiden beispielsweise die Bühnen. Das Geld, das man sich für die - eher dem Tourismus als der Kultur dienenden - Bewerbung um einen operettenhaft wirkenden Titel spart, wäre dort besser angelegt.

Man darf an die Groteske der Stadt Regensburg im Ringen um den Titel erinnern. Die ließ vor Jahren über zentralen Plätzen der deutschen Mitbewerberstädte (wie etwa Braunschweig oder Kassel) per Hubschrauber "Kultur-Care-Pakete" abwerfen. Das waren Tüten voller Dinge, die von der Regensburger Politik als kulturell wertvoll angesehen wurden. Also: Knackwurst, Senf (Händlmaier, immerhin), "Brezeln und Bonbons". Ähnliche Schilda-Geschichten gibt es von vielen Kulturhauptstadt-Aspiranten. Der Titel steht nun für Bürokratismus, Intransparenz und die Spesen von Event-Organisatoren, deren zum Fremdschämen bizarre Kultur-Ideen die städtische Kultur kaum grausamer karikieren könnten.

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