Stadtplanung:Das Wunder der Sinnlosigkeit

Stadtplanung: Eine Brücke, die keine Brücke ist, entpuppt sich als Säulengang (Portikus), der die verunglückten Proportionen am Münchner Willy-Brandt-Platz zurechtrückt.

Eine Brücke, die keine Brücke ist, entpuppt sich als Säulengang (Portikus), der die verunglückten Proportionen am Münchner Willy-Brandt-Platz zurechtrückt.

(Foto: Privat)

Es muss nicht alles eine Funktion haben, was gebaut wird. Über die Schönheit einer Geste ohne Zweck.

Von Gerhard Matzig

München ist soeben um einen nationalen Titel ärmer geworden. Vielleicht büßt die Stadt sogar einen Rang von Weltgeltung ein. Denn mit dem veränderten Willy-Brandt-Platz, dessen Portikus vollendet wurde, verliert die Stadt den Anspruch, einen der hässlichsten Plätze der Welt zu beherbergen. Was eher ein Glück ist.

Der auf mehr als zwanzig Meter hohen, extrem schlanken Stützen ruhende und weithin ausstrahlende Portikus, entworfen vom Büro Allmann Sattler Wappner Architekten, begrenzt als Säulengang einen Platz, der größer ist als der Marienplatz. Er rückt die Proportionen zurecht. Das allein macht aus dem Willy-Brandt-Platz zwar auch noch keine Piazza del Campo und aus der Messestadt im Münchner Osten noch kein Siena; aber wer sich nun über den einst so depressiv verstimmenden, grandios falsch, nämlich zur Messe und zur Autobahn orientierten, monumental überdimensionierten Platz bewegt, der kommt aus dem Staunen kaum heraus. So einfach lässt sich also eine Wunde heilen. Mit Hilfe der Architektur einerseits - und mit dem Wunder der Sinnlosigkeit andererseits.

Der Nutzstil ist kein Stil, sondern ein Irrtum

Deshalb ist die Geschichte dieses Münchner Platzes auch ein Lehrbeispiel dafür, was auch anderswo in deutschen Städten geboten wäre: nämlich deutlich mehr Schönheit, Ästhetik und Raumwirkung und spürbar weniger Zweck, Funktion oder sonstige Monetisierung des Daseins. "Etwas Unpraktisches", schrieb einst der als Erfinder des "Nutzstils" bekannt gewordene Wiener Architekt Otto Wagner am Beginn der Moderne, "kann nicht schön sein". Das Bonmot gehört zu den grotesken Missverständnissen der Moderne.

Denn umgekehrt zeigt sich immer öfter in den traurigen Hinterlassenschaften (vermeintlich) "praktisch" erdachter Stadträume: Erst wenn der Nutzen sich in der Ästhetik erschöpft und nichts anderes sein will als das Spiel der Formen unter der Sonne, offenbart sich die Schönheit. Der Nutzstil ist kein Stil, sondern ein Irrtum. Wann wird man begreifen, dass der Funktionalismus zwar nicht immer schön ist - während die Schönheit doch immer auf eine Funktion gerichtet ist? Nämlich auf die Funktion, schön zu sein. Das ist nicht nichts, sondern im Grunde auch schon: alles.

Daher ist es auch gut, dass der ursprüngliche Plan zur "Nutzung" des Portikus auf so typisch münchnerische, also kleingroße Weise scheiterte. Ursprünglich sollte der Säulengang ja nur das Schluss-Stück eines fast 500 Meter langen Rundkurses sein, der sich über die angrenzenden Gebäude gelegt hätte - mit der Funktion: Jogging in luftiger Höhe. Aus Sicherheitsgründen wurde nichts daraus. Übrig geblieben ist eine Geste ohne Zweck. Es sei denn, man begreift den Zweck als Zweckfreiheit.

Als das Maximilianeum in München im 19. Jahrhundert vollendet wurde, war der Inhalt des grandios gestischen Gebäudes noch nicht endgültig geklärt. Wichtiger war ohnehin der Stadtraum. Die Architektur Bürkleins diente vor allem auch als "point de vue", als Blickfang. Der Zweck lag darin, ein nutzbares Haus zu sein - doch der größere Nutzen offenbarte sich im schieren Da-Sein. Der Bau wollte angeschaut werden: uiiiih - guck mal!

Man kann sich gut vorstellen, wie die Portikus-Architekten im Nachhinein auf die Idee gekommen sind, dem Bauherrn den Nutzen "Joggingstrecke" schmackhaft zu machen. Weil der Nutzen "sieht gut aus" einfach nicht mehr zieht. Jetzt ist der Willy-Brandt-Platz in München zwar immer noch kein richtig angenehmer Ort (denn er ist immer noch der Deckel einer Tiefgarage) - aber München hat hier nun ein Lehrbeispiel für den größten Sinn der Raumkunst zu bieten: sinnvoll sinnlos zu sein.

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