Stadtentwicklung in Berlin:Sehnsucht nach dem Häuserkampf

Künstler drohen mit Hungerstreik, der Bürgermeister verhält sich wie ein Tourist: Wie viel Stadterneuerung braucht, wie viel verträgt Berlin?

Jens Bisky

In der Kreuzberger Oranienstraße, mittendrin in der urbanen Legende, ist die zur Zeit wohl interessanteste Berliner Ausstellung zu sehen. Sie passt zum diesjährigen Sommergespräch der Stadt, hilft, den Kopf wieder frei zu bekommen, klarer zu sehen.

-

 Im Berliner Stadtviertel Kreuzberg gehen die Künstler auf die Barrikaden. Aber die Frage bleibt dennoch, was das Kunsthaus anderes ist als eine Art Avantgardisten-Streichelzoo für Berlin-Besucher. In bester Lage führt man hier vor, was Touristen gern für authentische Berliner Atmosphäre halten.

(Foto: AFP)

"Goodbye London" heißt der konzentrierte Rückblick in der Neuen Gesellschaft für Bildende Kunst. Es geht um radikale Kunst und Politik in den siebziger Jahren, als ganze Straßenzüge in London aussahen wie kurz nach dem Krieg, als die Immobilienspekulanten alle Hemmungen zu verlieren schienen und eine starke Gegenkultur entstand.

Mehr als dreißigtausend Hausbesetzer will man damals gezählt haben. Sie probten ab und an den Aufstand, meist aber das freiere Dasein: gegen Rassismus, Sexismus und den Alltagstrott in unsicheren, schlecht bezahlten Jobs. Die Schwulen wurden selbstbewusst und versteckten sich nicht länger. Kunst und Musik waren immer dabei.

Anmaßender Ingrimm

Das kann man jetzt in der Oranienstraße 25 bequem betrachten: Derek Jarmans witzig avancierten Kurzfilm "Sloane Square" - elf Minuten über das Künstlerleben 1972 bis 1974 -, Fotos, die das neue Lebensgefühl einfingen, oder Plakate, die Dummheit und Ungerechtigkeit anprangerten. Auf einem von Victor Burgin hält eine blonde Frau einen Mann, beide in strahlend weißen Tennisklamotten, als wollten sie nie wieder voneinander lassen: "Was bedeutet Besitz für Sie?", wird über dem Bild gefragt. Sieben Prozent unserer Bevölkerung gehören 84 Prozent unseres Vermögens, steht darunter.

So sah der Kampf um die Stadt in den heroischen Jahren aus: karg, entschlossen, mutig, albern. Immer wieder kam es zu Konfrontationen mit der Polizei. Steht ein solcher Kampf um die Stadt auch Berlin bevor? Man wollte es uns glauben machen. Vor wenigen Tagen noch drohten die Bewohner und Nutznießer des Kunsthauses Tacheles in der ebenfalls legendären Oranienburger Straße mit dem Hungerstreik, weil sie nach Auslaufen des Mietvertrags, Anhäufung von Schulden und Kündigung die billigen Ateliers räumen sollen.

Im Avantgardisten-Streichelzoo

Für Künstler in einer offenen Gesellschaft ist der Hungerstreik eigentlich nicht das Protestmittel der ersten Wahl. Auch die Plakate und Losungen zur Verteidigung der im Jahr 1990 besetzten Räume demonstrieren vor allem anmaßenden Ingrimm: "Wir retten die kreative Mitte Berlins - Euer Leerstand darf nicht unsere Obdachlosigkeit sein. Her mit dem Tacheles - sofort!" Wer in den Arbeiten der untereinander zerstrittenen Tacheles-Künstler das Kreative vermisst, wird gern den "neokonservativen" Feinden zugeschlagen.

Aber die Frage bleibt dennoch, was das Kunsthaus anderes ist als eine Art Avantgardisten-Streichelzoo für Berlin-Besucher. In bester Lage führt man hier vor, was Touristen gern für authentische Berliner Atmosphäre halten. Ateliers sind teurer geworden seit 1990, aber freie Räume ließen sich in der Stadt, in der kaum Nutzungsdruck herrscht, schon finden. Nur lägen diese gewiss nicht so nah an den Touristenwegen.

Die protestierenden Tacheles-Künstler handeln nicht anders als die griechischen Lkw-Fahrer oder die deutschen Apotheker: Man verteidigt Privilegien und Marktzutrittsbarrieren.

Die Frechheit, mit der hier Eigeninteresse als allgemeines Interesse, Privatsache als öffentliche Angelegenheit verkauft werden, verdiente fast Bewunderung. Interessanter aber ist, warum die offenkundig widersinnigen Forderungen nach staatlicher Protektion alternativer Lebensformen und nach Ewigkeitsgarantie für das Experimentelle so großes Gehör in der Stadt finden.

Warum gehen die pathetischen Proteste nicht in der ihnen angemessenen Woge aus Gelächter unter? Das liegt am Fortwirken einer Ideologie und an einem in Berlin schon chronischen Versagen der Stadtentwicklungspolitik.

Die Ideologie hört auf den Namen "Gentrifizierung", womit die Umstrukturierung eines Stadtteils gemeint ist. Gedacht ist an ein Szenarium wie dieses: Neue Bewohner, anfangs meist Studenten, Künstler, Schwule, Bohemiens, ziehen in ein oft etwas heruntergekommenes Viertel, in dem sich gut und preiswert leben lässt. Sie schützen das Viertel vor Abriss und Investoren, haben Erfolg oder setzen Trends.

Die Gegend wird populär, allmählich folgen junge, gut verdienende, liberal gesinnte, stilbewusste Großstädter - abschätzig "Yuppies" genannt -, Häuser und Wohnungen gewinnen an Wert. Viele der Alteingesessenen müssen aus dem Viertel ausziehen, weil sie sich das Leben dort nicht mehr leisten können. Sie sind verdrängt worden.

Die muffige Seite

Der Protest gegen "Gentrifizierung" hat also notwendig zwei Seiten, eine sympathische und eine muffige: Es geht um den Schutz der Schwächeren und um Abwehr von Entwicklung, Fortschritt schlechthin.

In Berlin dominiert traditionell die muffige Seite der Bewegung gegen Stadterneuerung. Einen Höhepunkt erreichte sie Anfang der neunziger Jahre, als Kreuzberger Autonome, Punks, Alternative gegen die Öffnung der Oberbaumbrücke stritten. Durch den Mauerfall hatte Kreuzberg seine Randlage verloren, war ein innerstädtischer Bezirk geworden. Nun fürchtete man "Gentrifizierung" und wollte also verhindern, dass eine Brücke - nebenbei eine der schönsten in Berlin - über die Spree die beiden getrennten Stadtteile wieder verbindet.

Schaut man sich die Entwicklung in dieser Gegend der Stadt genauer an, merkt man rasch, dass die Ähnlichkeiten zum "Gentrifizierungs"-Szenarium äußerst gering sind. Die Lebenshaltungskosten sind nicht überdurchschnittlich gestiegen, aber von der Brückenöffnung, der Wiederentdeckung der Spreeufer, der Erschließung vieler kriegs- und teilungsbedingter Brachen haben alle profitiert.

Ein Ärgernis

Ein Stadtteil, in dem nicht investiert wird, in dem es nicht vorangeht, der verfällt, beginnt zu verslumen. Die Sehnsucht nach Häuserkampf und Revoluzzerstimmung ist bestenfalls biographischer Tourismus, schlimmstenfalls führt sie zur lebensgeschichtlichen Stagnation oder dient der Rechtfertigung von Brandstiftung.

Gerade dort, wo eines der großen Investorenprojekte läuft - Mediaspree - sind die Auswirkungen auf die nähere Umgebung noch ungewiss. Die Zwangsläufigkeit, die Projektentwickler und ihre ideologisierten Gegner in seltener Einhelligkeit nahelegen, gibt es nicht. Dass die Stadt aber so schwach agiert, kaum Forderungen erhebt und durchsetzt, bleibt ein Ärgernis.

Sozialer Wohnungsbau? Wieso?

Obwohl an der Spree überwiegend Unternehmen angesiedelt werden sollen, die ihr Geld mit der Bespaßung der Jugend verdienen, schaffen sie es nicht einmal, gastronomische Grundversorgung zu garantieren. An anderen Stellen lässt der Senat sich regelmäßig vorführen oder verhält sich wie ein auf jeden Groschen angewiesener Bittsteller: etwa bei der Vermietung schönster städtischer Plätze. Auf wichtige Instrumente der Stadtentwicklung wie den sozialen Wohnungsbau verzichtet man ganz.

Es mag in anderen Städten anders sein, in Berlin aber sind es weniger reale Verdrängungsprozesse als eine stets spürbare Schwäche der Politik, die die Furcht vor "Gentrifizierung" nähren. Die Senatsbaudirektorin, Regula Lüscher, ist mit der Verwaltung der überkommenen Baustellen und albernen Kleinigkeiten - jetzt will sie die Bäume auf dem Gendarmenmarkt abholzen - beschäftigt und hat seit ihrem Amtsantritt im März 2007 nicht eine tragfähige Idee entwickelt.

Da war man - im Guten wie im Bösen - von ihrem Vorgänger Hans Stimmann anderes gewohnt. Der Regierende Bürgermeister wiederum besichtigt im Sommer seine Stadt und kommentiert Entwicklungen, als habe er das Jahr über anderes zu tun, als sich um Berlin zu kümmern.

Die derzeit am meisten versprechende stadtpolitische Initiative - es geht um ein Kreativquartier in der südlichen Friedrichstadt - geht von der Grünen-Politikerin Alice Ströver aus. Hier werden nicht Ängste geschürt oder Konflikte der siebziger Jahre reinszeniert. Durch die Ansiedlung von Galerien und Kreativen will man das Viertel in zentraler Randlage aufwerten. Warum nimmt der Senat solche Impulse nicht auf? Wo ist das Fortschrittsszenarium für Bürger?

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: