St.-Pauli-Krimi:Auf dem Abstellgleis

Chastity Riley, die Heldin von Simone Buchholz, trinkt durchaus mit in der "Blauen Nacht", sie kümmert sich um einen geheimnisvollen Österreicher, dem der rechte Zeigefinger abgeschnitten wurde. Sein Name ist Joe.

Von Juliane Liebert

In der "Blauen Nacht" wird ordentlich gesoffen. "Wenn mich jemand fragt, ob ich Wasser zu meinem Scotch möchte, antworte ich, dass ich durstig bin und nicht schmutzig", wusste schon Joe E. Lewis, und Simone Buchholz' Ermittlerin Chastity Riley ist in diesem Buch öfter in der Kneipe als auf dem Revier. Seitdem sie sich mit ihrem Vorgesetzen angelegt und einem Verbrecher "die Kronjuwelen weggeschossen hat", ist die Ex-Staatsanwältin Opferschutzbeauftragte. Anders gesagt: auf dem Abstellgleis. Ihr derzeitiges Lieblingsopfer: ein geheimnisvoller Österreicher mit Decknamen Joe, dem alle Knochen gebrochen und der rechte Zeigefinger abgeschnitten wurde. Sie versorgt ihn im Krankenhaus mit Wein, Bier und Zigaretten, um seiner Geschichte auf die Spur zu kommen.

Knappe Sätze bestimmen den Ton des Romans, Buchholz hat anscheinend eine strenge Obergrenze, wie viele Wörter ein Satz haben darf. Die liegt grob geschätzt bei fünf. Versucht sie, poetisch zu sein, wird es leider nicht nur für den geheimnisvollen Österreicher, sondern auch für den Leser zuweilen schmerzhaft. Trotzdem will man wissen, wer dieser Joe ist. Wovon man lieber ein bisschen weniger wissen würde, ist, wie es Rileys Freunden gerade so geht. Der eigentlich spannende Plot sackt während der (wenigen) Sexszenen und Kaffeekränzchen gelegentlich röchelnd in sich zusammen und fleht um Gnade. Gibt es aber nicht, ob man will oder nicht, man erfährt, ob Rileys Kumpel im Restaurant geduscht hat und ob und wie seine Haare glänzen, dabei geschehen da draußen Verbrechen! Riley, will man sagen, reiß dich zusammen, genug Kaffee getrunken! Gerade dadurch bleibt die Protagonistin aber auch angenehm nahbar; einigen Szenen, die leicht zum Kitsch verkommen könnten, gibt der lakonische Stil Erdung. Allgemein menschelt es heftig, die Vorgeschichte wird nicht nur aus Sicht der Protagonistin erzählt, sondern in kurzen Absätzen aus der Sicht aller Beteiligten, der Killer ist im Grunde ein netter Kerl und die Männer haben alle "unglaublich breite Schultern".

Ungewollt charmant ist auch, wie sich die Autorin, deren einzige Drogenerfahrung womöglich ist, dass sie mit 17 einmal mit zitternden Fingern einen Joint weitergereicht hat, Meth- und Krokodil-Abhängige vorstellt. Dennoch ist er durchaus liebenswert, dieser Krimi, in dem mehr getrunken als ermittelt wird, und dessen Epizentrum konsequenterweise die Kneipe ist, die ihm den Namen gibt, die "Blaue Nacht". Am Ende des Tages, scheint die Botschaft zu sein, sind wir alle gleich, ob Ermittler, Killer, Barbesitzer oder Drogenabhängiger, "das wärmste Jäckchen ist das Cognäcchen". Auf die Gerechtigkeit, und runter damit.

Simone Buchholz: Blaue Nacht. Suhrkamp Verlag, Berlin 2016. 238 S., 14,99 Euro. E-Book 12,99 Euro.

Simone Buchholz

Simone Buchholz, geboren 1972, Journalistin/Autorin. Das Vorbild zur Kneipe "Blaue Nacht", sagt sie, "war eine Eckkneipe am Hans-Albers-Platz."

(Foto: Droemer/Knaur)
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