St. Pauli - Das Kiez-Magazin:Der Kiez ist schick

Inkasso-Henry, Tim Mälzer und skurrile Freier: St. Pauli - Das Kiez-Magazin will nicht schmuddelig sein - und wagt sich deshalb nicht wirklich weit auf Hamburgs sündigste Meile vor.

Ralf Wiegand

Was St. Pauli nicht alles ist. Die einen halten es für das Fußball-Paradies schlechthin, die Kultkicker vom Kiez haben bundesweit Anhänger. Für die anderen ist das Hamburger Viertel ein riesiges Lusthaus, käufliche Liebe überall. Heimat ist es für die Dritten, ein kleines Dorf in der großen Stadt mit Nachbarschaften, wie sie selten geworden sind. Berüchtigt ist der Kiez als Party-Meile ohne Sperrstunde, Anlaufstelle für Umland-Machos und Laufsteg für Stadtschönheiten.

St. Pauli, das Kiez-Magazin, oh

St. Pauli - das Kiez Magazin

will "frivol", aber nicht "schmuddelig" sein.

(Foto: Foto: oh)

St. Pauli: Ein Sündenpfuhl, Lust und Last Tür an Tür, Asyl für Desillusionierte und Paradies für Phantasten.

Platz für Traumtänzer - und Touristenmagnet

St. Pauli am Tag ist - abseits der Reeperbahn - gutes, altes Hamburg und auf der Reeperbahn das, was man gar nicht sehen will, wenn sich die Schöne der Nacht abgeschminkt hat.

Der Hamburger Kiez ist einer jener Orte, die nachts heller sind; ein Platz für Traumtänzer, vor allem aber ein Touristenmagnet wie Kölner Dom oder Brandenburger Tor. St. Pauli, fasst Jens de Buhr zusammen, "ist eine Weltmarke".

Ein paar Straßenzüge entfernt vom Kiez, im Schanzenviertel, sitzt de Buhr, 46, mit einer Handvoll junger Frauen im sechsten Stock am Konferenztisch. In der Mitte liegen die bisherigen vier Ausgaben von St. Pauli - das Kiez-Magazin, deren Herausgeber de Buhr - früher Marketingchef der Zeitschrift Tango und bei Sat 1 - ist. Gemacht wird das Heft aber fast nur von Frauen.

Die ersten drei Nummern hießen noch St. Pauli Nachrichten - das Kiez-Magazin und verlinkten im Titel Vergangenheit und Zukunft. Die ursprünglichen St. Pauli Nachrichten waren jenes legendäre Heft, dessen Titel in jedem Porträt über Stefan Aust genannt wird und wenigstens in jedem zweiten über Henryk M. Broder. Die Karrieren beider Journalisten führten über die alte Viertel-Postille, die damals von St. Pauli aus gegen das Establishment anschrieb.

"Wir wollen nicht schmuddelig werden"

Inzwischen ist das Heft mit der Weltmarke St. Pauli im Titel auf Hosenschlitzhöhe abgerutscht, und de Buhr hatte die Idee, es neu zu entwickeln.

Der SPN-Zeitschriften-Verlag, in dem die klassischen St. Pauli Nachrichten erscheinen, und seine JDB Media GmbH einigten sich, beide Hefte parallel erscheinen zu lassen - das eine nach wie vor ungeschminkt nackig, das neue schön gestylt. "Das dürfte einmalig sein in der europäischen Zeitschriftenlandschaft, zwei Hefte mit dem selben Titel", sagt de Buhr.

Inzwischen ist auch das Geschichte. Das Konzept des Kiez-Magazins war kaum vermarktbar, solange potentielle Anzeigenkunden bei der Internetrecherche stets auf der Homepage der alten St. Pauli Nachrichten landeten.

So strich JDB die Nachrichten aus dem Titel, seit Ausgabe Nummer vier erscheint St. Pauli - das Kiez-Magazin. Die St. Pauli Nachrichten gibt es weiterhin. Das neue Heft knüpfe zwar an deren Tradition an, aber "wir wollen nicht schmuddelig werden", sagt de Buhr: "Frivol wollen wir sein."

Lesen Sie auf der nächsten Seite, warum das neue Magazin eher etwas für Kiez-Gänger als -Bewohner ist.

Wohnzimmertaugliche Erotik

Frivol? Der Duden erklärt den Begriff, der nach Roy Black mit freiem Oberkörper klingt, als "leichtfertig" bzw. "das sittliche Empfinden, die geltenden Moralbegriffe verletzend; schamlos, frech". Die Erotik im Heft solle "wohnzimmertauglich" sein, sagt de Buhr, die Fotos würden das "Kopfkino" in Gang setzen.

Neues von Inkasso-Henry

Innerhalb dieser Grenzen ist das Kiez-Magazin ein Lifestyle-Heft geworden, das zwar auf dem Mythos St. Pauli aufsetzen, ihn aber nicht hinterfragen kann. Wie die Leuchtreklame auf der Reeperbahn zieren prominente Namen die Cover, Lamborghini-Klaus, Neger-Kalle und Inkasso-Henry genauso wie Tim Mälzer oder Ole von Beust. Alle erzählen ihre Kiez-Geschichten, ein bisschen stolz, selten verlegen, und Prostituierte berichten von ihren "skurrilsten Freiern".

Die Botschaft lautet: Der Kiez ist schick, ob Nutte, Freier oder Disco-Gänger. Weiter traut sich das Heft nicht ins Viertel, das eine einzige Party zu sein hat. "Wir werden die Sozialreportage nicht machen", sagt de Buhr, "sonst wären wir austauschbar mit Stadtteilmagazinen."

Das Magazin mit St.-Pauli-Faltplan als Gimmick ist ein Blatt für Kiez-Gänger, nicht für Kiez-Bewohner. Es setzt dort an, wo der Spaß beginnt, bei In-Bars und Szene-Clubs, und es hört auf, wenn es ernst wird. Die Redakteurinnen besuchen zwar Bordelle, um mit den Prostituierten ein bisschen durchs Schlüsselloch zu gucken. Mehr hat sie aber am Leben im Puff nicht zu interessieren.

Wohnzimmertauglicher Zeitgeist kontra Große-Brüste-Lexikon

Die Idee folgt einem allgemeinen Trend. Vom Spielbudenplatz über das Stadion des FC St. Pauli bis hin zu den Striptease-Bars verwandelt sich das Quartier in eine massentaugliche Partyzone mit etwas Kiez-Folklore als Dekoration. Das verschafft Aufsehen: Über den Wandel im Herzen Hamburgs und das Kiez-Magazin berichtete sogar die New York Times und staunte, dass zwischen lauter sterbenden Lifestyle-Heften ein neues entsteht.

"Die meisten dieser Produkte haben keine Heimat, sondern sind synthetisch", sagt Herausgeber de Buhr, "wir bekennen uns klar zu St. Pauli als Hafen". Gut 80.000 Exemplare lassen sich auf diese Weise absetzen, auch bundesweit an Bahnhöfen und Flughäfen - Tendenz steigend.

Vorerst erscheint das St.-Pauli-Magazin dreimal im Jahr, die nächste Ausgabe folgt Anfang März. De Buhrs Firma verdient ihr Geld mit Kundenzeitschriften oder Titeln wie dem DVD-Magazin. Die Kiez-Illustrierte macht die Belegschaft bisher nebenbei und aus Spaß, und solange sie keine Verluste einfährt, wollen sie weitermachen.

Mal sehen, was sich länger hält: Der frivole, wohnzimmertaugliche Zeitgeist aus der Schanze oder das Große-Brüste-Lexikon der St. Pauli Nachrichten - deren "Konzept" hält sich schon seit 40 Jahren.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: