Spurensuche:Vertrauenssache

Spurensuche: Caravaggios "Thomas" hängt im Potsdamer Schloss Sanssouci.

Caravaggios "Thomas" hängt im Potsdamer Schloss Sanssouci.

(Foto: Wikimedia/PD)

Ist Nachfragen grundsätzlich ein Vorwurf? Wer nichts zu verbergen hat, hält doch eigentlich jeder Überprüfung stand. So interpretierte der Maler Caravaggio die Geschichte vom ungläubigen Thomas.

Von Kia Vahland

Die Welt verändert sich ständig - nicht aber die großen Fragen, die Menschen bewegen. Wir suchen in alten Filmen und Kunstwerken nach wiederkehrenden Motiven. Caravaggio verteidigt das Recht auf bohrende Nachfragen.

Glauben hat, bestenfalls, mit Glaubwürdigkeit zu tun. Und die will gepflegt werden. Wer nur Behauptungen aufstellt, sich intransparent verhält, Tatsachen ignoriert oder verschleiert, der zieht sich schnell das Misstrauen von Menschen zu, auf deren Zuspruch er angewiesen ist. Die von der Süddeutschen Zeitung veröffentlichten Unterlagen zu den TTIP-Verhandlungen zeigen, wie wenig von den wirklichen Streitpunkten lange bekannt war und öffentlich zur Diskussion stand. Das erregt zu Recht Unmut; Demokratie braucht Prüfbarkeit. Wer als Autorität falsche Fährten legt, erschüttert nicht nur den Glauben in sich selbst, sondern auch in das System, das er repräsentiert. Kürzlich unterstellte der amerikanische Präsidentschaftsbewerber Donald Trump dem Vater seines innerparteilichen Widersachers Kontakte zum Kennedymörder. Als die Lüge aufflog, entschuldigte er sich nicht. Er fühlt sich zur Faktentreue offenbar gar nicht erst verpflichtet.

Im Johannesevangelium bezweifelt Thomas, dass Jesus wirklich auferstanden ist: "Wenn ich meinen Finger nicht in die Male der Nägel und meine Hand nicht in seine Seite lege, glaube ich nicht." Also geht Jesus auf ihn zu und lässt ihn das offene Fleisch seiner Seitenwunde berühren. Das überzeugt Thomas. Jesus kritisiert ihn daraufhin mit den Worten: "Weil du mich gesehen hast, glaubst du. Selig sind, die nicht sehen und doch glauben."

Caravaggio malt diese Szene im anbrechenden 17. Jahrhundert in Rom - und er entscheidet sich, nicht Jesu Tadel darzustellen, sondern seine Bereitschaft, sich und die eigene Wahrheit einer Prüfung zu unterziehen. Verletzlich steht der Gottessohn da, öffnet seinen Umhang, zeigt sich. Stirnrunzelnd steckt Thomas seinen Finger tief in die Seitenwunde.

Schmerzhaft wirkt das auf dem Bild, doch Jesus zuckt nicht zusammen, sondern führt seinem skeptischen Anhänger die Hand. Thomas ist hier nicht der einsame Querulant, als der er manchmal dargestellt wird. Er hat zwei Begleiter, die ebenso neugierig das Geschehen betrachten. Der Zweifler agiert nicht herzlos, er möchte gerne glauben können. Das Einvernehmen der beiden Protagonisten betont Caravaggio, in dem er Jesu Seitenmal scheinbar in Thomas' Kleidung wiederholt: An dessen Schulter klafft eine Naht auf, so groß wie die Wunde.

Jesus kann es sich leisten, alles offenzulegen. Seine Lehre hält in Caravaggios Sicht allen bohrenden Nachfragen stand - und wird gerade deshalb dauerhaft Menschen überzeugen.

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