Spurensuche:Lebenslust an frischer Luft

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In seinem 1936 gedrehten Film "Eine Landpartie" beschwört Jean Renoir melancholisches Sommerglück: Liebe, Erregung, Heiterkeit. Aber nicht von Dauer.

Von Fritz Göttler

Sommerzeit, Ferien, Exkursionen. Heiterkeit herrscht, Ausgelassenheit und Lebenslust . . . Aber das Glück gibt es niemals grenzenlos, es kennt keine Zukunft. Und die Ahnung, das Wissen davon macht die Melancholie des Glücks aus. Schnell ist die Zeit der Freiheit vorbei, man muss in den Alltag zurück. Jean Renoir hat das tickende Uhrwerk sommerlichen Glücks auf herzzerreißende Weise in Bewegung gesetzt in seinem Film "Partie de campagne/Eine Landpartie", 1936, nach einer Geschichte von Maupassant. Die Träne, die sich die junge Sylvia Bataille von plötzlichem Glück überwältigt von der Wange streicht, gehört zu den wertvollsten Schätzen der Kinogeschichte.

Eine stockbürgerliche Familie macht einen Sonntagnachmittags-Ausflug, raus aus Paris, an die Ufer der Seine: der Vater (schnauzbärtig) und die Mutter (kokett), die Großmutter (schwerhörig), Tochter Henriette (Sylvia Bataille) und der Kommis (eher tumb), der das Geschäft übernehmen und die Tochter zur Frau nehmen soll. Das Gefährt haben sie vom Nachbarn geborgt, dem Milchmann.

Renoir hat den Film im Juni 1936 mit Verwandten und Freunden gedreht, die späteren Filmemacher Luchino Visconti und Jacques Becker waren dabei und der Fotograf Henri Cartier-Bresson. Das Wetter war freilich miserabel, das hat dem Film viele Wolkenwände am Himmel beschert. Schließlich musste Renoir abbrechen, der zweite Teil, die Rückkehr nach Paris, blieb ungedreht. Erst nach dem Krieg wurde der Film gezeigt.

Die Familie landet beim Restaurant von Pêre Poulain, von Renoir selbst gespielt. Die Männer nölen herum, dass sie fischen wollen, aber sie haben keine Angeln dabei. Die Frauen sind fröhlich, erregt, berauscht. Sie schaukeln und lassen sich von zwei jungen Männern in Ruderbooten mitnehmen. Der eine landet mit Henriette auf einer dichtbewachsenen Insel, sie lauscht hingerissen einer Nachtigall, er bedrängt sie, heftig, sie wehrt sich, gibt sich dann aber hin. Liebe, Glück, Erfüllung, aber es wird nicht dauern. Regen setzt ein. Jahre später kommt der Mann noch einmal auf die Insel, dort sind gerade auch Henriette und ihr Mann. Jeden Abend, gesteht sie ihm verzweifelt, denke ich an diesen Tag zurück.

1939 drehte Renoir dann die "Spielregel", einen illusionslosen Blick auf die französische Gesellschaft. Der Film wurde verboten. Der Weltkrieg begann. Renoir ging in die USA.

© SZ vom 06.08.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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