Spurensuche:Fürsten oder Nationen

Spurensuche: Versklavt er Europas Völker? Der Vertrag von Maastricht von 1992.

Versklavt er Europas Völker? Der Vertrag von Maastricht von 1992.

(Foto: imago/Ye Pingfan/Xinhua)

Ob Trump oder EU-Gegner: Das Problem, ob Regierungen an internationale Verträge gebunden sind, gibt es seit der Französischen Revolution.

Von Gustav Seibt

Die Welt verändert sich ständig, nicht aber die großen Fragen, die die Menschen bewegen. Ob souveräne Nationen an internationale Verträge gebunden sind, ist ein Problem seit der Französischen Revolution.

Wen binden eigentlich internationale Verträge, Staaten oder Regierungen? Die Frage wird wieder virulent, nachdem Donald Trump das Atomabkommen seines Vorgängers mit dem Iran gekündigt hat. Noch dramatischer könnte es werden, wenn eine populistische Regierung in Italien ihre Absicht wahrmacht, sich nicht mehr an die Regeln für die europäische Währung zu halten und internationale Verträge nachträglich durch Referenden bestätigen oder verwerfen zu lassen. "Sklavin" von Brüssel, Deutschland und Frankreich sei Italien, behaupten Lega und Cinque Stelle. Sie berufen sich auf das demokratische Selbstbestimmungsrecht der italienischen Nation.

Sie greifen damit eine verbreitete Kritik an den Maastricht-Verträgen auf, die lautet: Diese entmächtigen den demokratischen Souverän, die Völker der einzelnen Mitgliedsstaaten. Das ist nicht von der Hand zu weisen, allerdings gilt dies bis zu einem gewissen Grad für alle internationalen Verträge. Darum werden solche Abkommen auch späteren Abstimmungen entzogen. Internationale Ordnung braucht Stabilität.

Die Frage nach der Bindekraft von Verträgen stellte sich mit neuer Radikalität in der Französischen Revolution, die einen Wechsel der Souveränität vom Monarchen zum Volk ins Werk setzte. In der Nacht vom 4. August 1789 hatte die Nationalversammlung in Versailles alle überkommenen Feudalrechte aufgehoben. Damit traf sie aber auch die vertraglich verbrieften Rechte deutscher Reichsfürsten im Elsass, das erst im 17. Jahrhundert Teil der französischen Monarchie geworden war. Aus dieser Zeit stammten erhebliche Feudallasten, die beispielsweise den Bischöfen von Speyer, Worms und Mainz zustanden - nicht ungewöhnlich in der Epoche vor dem Nationalstaat.

Am 27. und 28. Oktober 1790 beriet die Pariser Nationalversammlung über die Rechte der Reichsfürsten, zugleich aber über die Grundsatzfrage, ob die souveräne Nation an die Verträge der früheren Könige gebunden sei. Die Antwort der zweitägigen Sitzung war umstürzend für Europa: "Es sind nicht die Verträge der Fürsten, die das Recht der Nationen bestimmen." Die Implikationen waren gewaltig: So wurde damit indirekt auch der Westfälische Friede gekündigt, den Frankreich seit 1648 garantierte, ein Grundpfeiler der europäischen Staatenordnung. Volkssouveränität ging vor Völkerrecht.

Noch waren nicht alle Folgen dieser Entscheidung absehbar. Kaiser und Reichstag reagierten mit langwierigen Beratungen und Protesten. Doch das Problem ist Europa seither erhalten geblieben.

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