Spurensuche:Blumenblick

Modersohn-Becker

Paula Modersohn-Beckers Bildnis eines Mädchens.

(Foto: Kunsthalle Bremen/Der Kunstverein in Bremen/Karen Blindow)

Etwas einrichten, sich Zurechtmachen hat auch damit zu tun, zumindest die unmittelbare Umgebung in den Griff bekommen zu wollen. Paula Modersohn-Becker porträtiert eine Jugendliche.

Von Kia Vahland

Die Welt verändert sich ständig - nicht aber die großen Fragen, die Menschen bewegen. Wir suchen in alten Filmen und Kunstwerken nach wiederkehrenden Motiven. Paula Modersohn-Becker fragt nach dem Gestaltungswillen.

Je kleiner eine Wohnung ist, je mehr Bücher, Kleider, Erinnerungsstücke sich angesammelt haben, desto mehr Mühe macht es, die Räume trotzdem schön und übersichtlich einzurichten. Und je ungeordneter die Welt vor der Tür erscheint, desto dringender kann das Bedürfnis werden, zumindest im eigenen Zuhause Herr oder Herrin zu sein und jeden Winkel vom Bad bis zum Schlafzimmer nach den eigenen Vorstellungen zu formen. Wohnen kann so zu einem fast schon emanzipativen Akt werden, in dem sich ein Gestaltungswille erstmals Bahn bricht - und vielleicht, irgendwann, dann auch einmal den öffentlichen Raum ergreift.

So ließe sich Paula Modersohn-Beckers "Junges Mädchen mit gelben Blumen im Glas" von 1902 verstehen, das in der Kunsthalle Bremen hängt. An die blauen Wände ihres Zimmers hat die Frau goldgerahmte Gemälde gehängt (deren Motive für das Thema des Bremer Bildes zu unwichtig sind, um sie zu zeigen). Das Gold steigert sich am Hals und an den Händen der Figur zu einem strahlenden Orangegelb, das perfekt zu den Blümchen im Glas passt, welches das Mädchen behutsam umfasst. So intensiv beschäftigt sie sich mit ihrer unmittelbaren Umgebung, mit Farbnuancen und Stimmigkeiten, dass sie selbst schon das satte Licht der Blumen angenommen hat, ohne es zu merken. Versunken ist die Frau; sie sucht unseren Blick nicht, ist ganz mit sich und ihrem Zimmer beschäftigt.

Traditionellerweise handeln Bildnisse sehr junger Frauen mit Blumen vom "Erblühen" der Weiblichkeit. Dies ist noch im ausgehenden 19. Jahrhundert bei den Bildern der Pariser Künstlergruppe Nabis der Fall, die Modersohn-Becker gekannt haben dürfte. Die deutsche Künstlerin aber wirft keinen romantisierenden Blick auf ihr Modell. Sie erzählt vielmehr von der Schwierigkeit beim Erwachsenwerden, Innen- und Außenwelt irgendwie in Einklang zu bringen, die eigenen Kräfte zu kennen, zu schätzen und zu zügeln. Weit entfernt ist die Figur so von den oft ausgeliefert wirkenden, erdigen Bauernkindern im norddeutschen Moor, mit denen die Künstlerin berühmt wurde. Dieses Mädchen ist eine moderne, gut situierte Städterin. Sie knotet ihre Haare akkurat, wählt die Bluse passend zum Teint - und wird mit etwas Glück irgendwann noch andere Themen entdecken als die eigene Erscheinung.

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