"Spring Breakers" im Kino:Konklave der Komasäufer

Der unwahrscheinlichste Film des Jahres wirkt auf den ersten Blick wie Privatfernsehen: Junge Körper überschütten einander am Strand mit Sekt, lecken sich Kokain vom Sixpack und Neonbikinis wippen im Takt. Dazu erleben Disney-Girls wie Selena Gomez und Vanessa Hudgens Momente der Transzendenz. Doch so darf es nicht enden.

Von Jan Füchtjohann

Die Sonne strahlt, der Alkohol spritzt glitzernd durch die candyfarbene Luft, und als der Kirmestechno endlich wieder einsetzt, wippen in Zeitlupe tausend Neonbikinis im Takt. Willkommen am Strand von Florida, willkommen bei "Spring Breakers".

Der unwahrscheinlichste Film des Jahres wirkt auf den ersten Blick wie ganz normales Privatfernsehen, Sendeplatz irgendwo zwischen "Jersey Shore" auf MTV und "Saturday Night - so feiert Deutschlands Jugend" auf RTL 2: junge Körper, die einander am Strand mit Sekt überschütten, sich frisches Kokain vom Sixpack lecken und mit blitzenden Augen von der Erleuchtung künden: "Feels as if the world is perfect, like it's never gonna end."

Darüber wabert und wobbelt dann die brachiale elektronische Musik von Großraumdiscogott Skrillex. So weit, so stimmig. Die erste Irritation liefern die Hauptdarstellerinnen. Man glaubt es kaum, als mitten in diesem Garten der Lüste plötzlich der Name einer kleinen Disneyfee erscheint: Selena Gomez, bekannt geworden als niedliche Alex in der Serie "Die Zauberer vom Waverly Place", jüngste Unicef-Botschafterin aller Zeiten und Freundin des Kleine-Mädchen-Schwarms Justin Bieber. Ein saubereres Image kann man eigentlich gar nicht haben: Glaubt man den PR-Leuten des Micky-Mouse-Konzerns, war sie die gesamte Pubertät über nicht mal beim Duschen nackt. Und jetzt das.

Was kleine Mädchen in solchen Fällen eben tun

Aber Gomez ist nicht allein. Als nach fünf unglaublichen Minuten Musikvideo die Handlung einsetzt, sieht man Vanessa Hudgens und Ashley Benson, auch sie früher Kinderstars, die eine bei Disney, die andere beim nicht weniger verklemmten ABC Family Channel. Jetzt sitzen sie in einer Vorlesung, getaucht in das schöne, blassblaue Licht von einhundert Laptops. Sie langweilen sich und beginnen zu träumen: von den Frühlingsferien. Von einer gemeinsamen Reise nach Florida. Und ja, sogar von großen Schwänzen - Disney World ist dann doch ziemlich weit weg.

Das wäre also die erste Unwahrscheinlichkeit: Irgendein Regisseur scheint es geschafft zu haben, die Unschuld selbst zu einem dreckigen Film zu verführen - und das gleich dreimal. Hut ab.

Für einen ordentlichen Ausflug an den Strand fehlt jetzt nur noch das Geld. So tun die Mädchen, was kleine Mädchen in solchen Fällen eben tun: Sie klauen sich ein Auto und überfallen mit Hämmern bewaffnet ein Fastfood-Restaurant. Während die brave Faith (Gomez) noch in der Kirchengruppe betet, ziehen die drei anderen (Hudgens, Benson und Rachel Korine) sich schon die Strumpfmasken über: "Keine Angst", flüstern sie, "das ist alles genau wie in einem beknackten Videospiel. Oder einem Film." Dann kreist der Fluchtwagen langsam ums Gebäude, im Radio die Nicki-Minaj-Hymne "Moment 4 Lyfe", während innen wie in einem gut ausgeleuchteten Diorama die Gewalt explodiert: Girls Gone Wild, Crime Edition.

Britney Spears und das Laden einer vollautomatischen Waffe

Es läuft natürlich hervorragend. Die Welle aus Adrenalin und gestohlenem Bargeld trägt die Vier mitten ins Herz der Schönheit: nach St. Petersburg, Florida, wo College-Studenten aus dem ganzen Land im Frühling ein Konklave der Komasäufer abhalten, ganz ähnlich wie ihre europäischen Brüder und Schwestern in Lloret de Mar, auf Ibiza oder am Ballermann.

Nur besser: "Langsam wirkt das hier wie der spirituellste Ort, an dem ich jemals war", wispert ein Mädchen-Voiceover zu einer Zeitlupenmontage aus Partyszenen: "Ich glaube, wir haben uns hier endlich selbst gefunden . . . (dazu Bilder vom Vespafahren in der Sonne) . . . wunderschöne Dinge gesehen . . . (Pinkeln in den Rinnstein) . . . neue Freunde gefunden . . . (Tanzen) . . . und alle waren süß, warm und freundlich (im Takt wippende Hintern)" - die Stimme klingt wie die von Faith, der Inhalt eher nach Ecstasy.

Tatsächlich sind all die lächerlichen Signifikanten der Enthemmung auf eine unerwartete, abstrakte Art: wunderschön. Diese Welt scheint von innen zu leuchten, die Farben kippen satt ins Neon, sensationelle Kamerafahrten übertragen den Trubel vom Strand direkt in den Kopf. Es waren offensichtlich Meister am Werk: an der Kamera Benoit Debie, der für Gaspar Noé den wohl längsten, härtesten und glaubwürdigsten Trip der Kinogeschichte gedreht hat ("Enter the Void"), und am Mischpult Cliff Martinez, dessen Soundtrack die Zuschauer schon bei "Drive" durch die Straßen von Los Angeles peitschte.

Doch dann löst die Polizei die Party auf und die Mädels werden verhaftet: Drogen, überall Drogen. In Bikinis stehen sie vor dem Richter. Er verurteilt sie zu einer Geldstrafe, andernfalls müssen sie für eine weitere Nacht in den Knast: "Das hätte nicht passieren dürfen," sagt wieder das Voiceover, "so darf dieser Traum nicht enden."

Tut er auch nicht, im Gegenteil: Jetzt geht's erst richtig los. Auftritt von Hollywood-Wunderkind James Franco - um ihn zu erkennen, muss man allerdings viermal hingucken. Er sieht aus, als hätte sich der "Beißer" aus den alten Bond-Filmen eine afrikanische Flechtfrisur zugelegt: er trägt blonde "Cornrows" und hat mehr blitzendes Metall auf den Schneidezähnen als ein alter Benz am Kühlergrill.

Sadomaso-Dreier mit James Franco

Alien jedenfalls übernimmt die Geldstrafe der vier Schönheiten und entführt sie in seinem tiefer gelegten Chevy Camaro mit Dollarzeichen auf den Felgen. Faith, irritiert und verängstigt von seinem Balzverhalten - Wedeln mit Geldbündeln, Rauschgiftsäcken und semiautomatischen Gewehren -, nimmt den nächsten Bus nach Hause.

Doch für die anderen Mädchen beginnt genau hier, mit Aliens leuchtendem Prollo-Prunkbett, flotten Sadomaso-Dreiern und dem sich anbahnenden Territorial-Krieg mit einem Großdealer (Gucci Mane), jene Art von Ballett, von dem sie eigentlich ihr ganzes Leben lang geträumt haben. In der vielleicht schönsten Szene sitzt Alien am Pool an einem weißen Flügel und spielt die Britney-Spears-Ballade "Everytime". Die Bikinigirls tanzen dazu im warmen Abendlicht, mit pinken Skimasken und AK-47-Gewehren. Es ist, mal wieder, ein Moment der reinen Transzendenz.

Der Mann, dem auch diese letzte Unwahrscheinlichkeit gelingt, der aus Britney Spears die Göttin und aus der Bikini-Teenie-Exploitation die Kunst herausholt, heißt Harmony Korine. Er war, bis jetzt, eine halb vergessene Independent-Legende. Nach seinem Drehbuch für den HIV-Schocker "Kids" (1995) von so unterschiedlichen Figuren wie Werner Herzog, Björk und Sonic Youth verehrt, wurden seine zunehmend obskuren Filme zuletzt sogar von wohlwollenden Kritikern nur noch als "Spektakel" bezeichnet, "das man sich am besten im Vollrausch anguckt".

Klar, dass es nur so einem gelingen konnte, unter den Bedingungen von 2013 noch mal den American Dream zu verfilmen. Was bleibt, wenn es vorbei ist mit Fortschritt und Moral, Wahrheit und Gott? Nur Britney Spears, straffe Disney-Hintern und das satte Geräusch einer vollautomatischen Waffe beim Durchladen: Klick. Was die Kultur an Tiefe verliert, gewinnt sie an glitzernder Oberfläche zurück. Toll.

Spring Breakers, USA 2012 - Regie und Buch: Harmony Korine. Kamera: Benoît Debie. Mit James Franco, Selena Gomez, Vanessa Hudgens, Ashley Benson, Rachel Korine. Wild Buch, 93 Minuten.

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