Sprachkolumne:Phrasenmäher

Die Bleibeperspektive: Wie die Sichtweise des Betrachters mit dem Gegenstand der Betrachtung zusammenhängt. Was ein Fluchtpunkt regelt. Und warum die Auslieferung der Asylpakete demnächst von Amazon organisiert wird.

Von Gerhard Matzig

Die Bleibeperspektive dürfte eine gute Perspektive haben, uns erhalten zu bleiben. Genauso wie die Arbeits- oder Lebensperspektive. Die Arbeitsagentur bietet beispielsweise Sprachkurse "für Asylbewerber mit guter Bleibeperspektive" an. Zu fragen ist, ob man Asylbewerbern mit schlechter Bleibeperspektive nicht wenigstens das unerfüllbare Konditionalgefüge der deutschen Sprache erklären sollte. Näheres ließe sich im Asylpaket III regeln. Das soeben beschlossene Asylpaket II, das sich auch zur Bleibeperspektive äußert, hat wohl eine ähnlich miserable Bleibeperspektive wie das Asylpaket I. Die jeweils aktuellen Asylpakete müssen demnächst sowieso täglich von den Paketboten ausgeliefert werden. Amazon soll das organisieren. Die Bleibeperspektive ist jedenfalls nicht nur von volkswirtschaftlichem, sondern auch kunsthistorischem Interesse. Denn die perspektivische, zur Illusion neigende Darstellung - man konstruiert sie mit Hilfe sogenannter Fluchtpunkte, also mit frühen Hotspots der Kunst - regelt den Abstand der Dinge (oder Menschen) im Raum. Und zwar, darauf kommt es an: ausgehend sowohl vom Standort des Betrachters wie des Gegenstandes der Betrachtung. Perspektiven ergeben sich nicht irgendwie zufällig, sondern werden, das ist ja die Kunst, im gemeinsamen Raum erzeugt. Eh klar, dass vor der Renaissance die Technik der Perspektive kaum bekannt war. Finstere Zeiten halt.

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