Sprache:Wild und brutal

Warum das Slangwort "savage" als Hashtag Karriere macht: Wer andere so richtig beleidigt und dabei keine Rücksicht auf die Folgen für die Beleidigten oder auch für sich selbst nimmt, gilt als besonders cool. Das erzählt viel über die Gegenwart.

Von Jonas Lages

Die Komikerin Michelle Wolf ist "savage". Der Koch Gordon Ramsay ist "savage". Und dieses Schaf, das seinen Hirten von der Straße rammt: "savage". Dass das Internet mal wieder einen Begriff hervorbringt, der als Hashtag Karriere macht, ist das eine. Dass dieser Begriff die dialektische Doppelbödigkeit von Slang offenbart und dabei direkt ins Dickicht namens Gegenwart führt, das andere.

"Savage" bedeutet im Englischen wild, unzivilisiert, unkultiviert, ein abwertender Begriff, der in den Kolonialismus zurückreicht. Im amerikanischen Slang ist er zu einem Kompliment umgedeutet worden und benennt eine Coolness, die durch Regelbruch und Rücksichtslosigkeit entsteht. Savage ist jemand, der ohne Rücksicht auf die Folgen besonders böse beleidigt oder brutal ehrlich ist. So wie Michelle Wolf beim White House Correspondents' Dinner: Ivanka Trump? So "hilfreich für Frauen wie eine leere Packung Tampons". Trumps Pressesprecherin Sarah Huckabee Sanders? Verbrennt Fakten, um die Asche als Lidschatten zu benutzen.

Auch das mit Hustensaft betankte Triebwerk des US-Raps, der Trap aus Atlanta, hat seinen Beitrag zum Phänomen geleistet. Er heißt 21 Savage, trägt ein Messer als Tattoo auf der Stirn und rappt mit einer Stimme wie Schmirgelpapier eisige Herzlosigkeiten. Das ästhetische Erlebnis der "savagery" geht sogar so weit, dass man sich an einer originellen Beleidigung noch dann erfreut, wenn sie gegen einen selbst gerichtet ist. Auf Twitter senden Leute Gordon Ramsay, einem Fernsehkoch, der für seine TV-Tiraden bekannter ist als für sein Essen, Bilder ihrer eigenen Gerichte, um von ihm beleidigt zu werden. Etwa so: "Dein Braten ist so roh, er läuft noch über die Wiese." Oder: "Dir steht eine tolle Zukunft in meiner Industrie bevor - als Gast."

Dass solcherlei im Internet gefeiert wird, könnte man nun einfach als weiteres Zeichen digitaler Verrohung und mangelnder Netzetikette abheften. Das wäre natürlich zu kurz gegriffen. Denn das Spannende daran, dass man Menschen feiert, die die möglichen Konsequenzen ihres eigenen Handelns ausblenden, ist ja gerade, dass in diesem Handeln der maximale Gegenwartsbezug steckt. Pessimistisch gewendet: ein Eingeständnis der Aussichtslosigkeit. Genauer betrachtet: eine Demonstration von Macht. Denn Leute wie Gordon Ramsay können es sich herausnehmen, ihre Küchenjungen fürs Publikum zu erniedrigen. Umgekehrt wird das schon schwieriger.

Und so entspringt das anerkennende Kompliment der savagery nicht aus der eigenen Ruchlosigkeit, sondern aus einer Position der Bravheit, mit iPad und Schokolade auf dem Sofa liegend. Man selbst hat seinen Lebensweg schon meilenweit geplant, aber gegen die eigenen Zukunftsängste spielt man mal kurz durch, wie spaßig es doch wäre, wenn man den Mumm hätte, alles über Bord zu werfen. Wenigstens eine Pointe lang.

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