Sprache und Politik:Geheimnisse nach Plan

Vor fünfzig Jahren erklärte Noam Chomsky, die "Fähigkeit" zur Sprache gehöre zum "biologischen Rüstzeug" des Menschen. Uns sei eine universelle Grammatik angeboren. Nun zieht der Linguist und Aktivist eine Summe seines Lebens.

Von Thomas Steinfeld

Neulich fiel Tom Wolfe, der amerikanische Reporter und Essayist, über den genauso berühmten Linguisten und Gesellschaftskritiker Noam Chomsky her: "Bango!", ruft er in seinem Buch "The Kingdom of Speech" (New York, 2016) aus. Plötzlich sei ihm nicht nur klar geworden, dass sich der Mensch vom Tier durch die Sprache unterscheide, sondern auch, dass der Mensch die Sprache geschaffen habe. Etwas Ähnliches hatte der griechische Philosoph Aristoteles zwar auch schon behauptet, vor weit mehr als zweitausend Jahren.

Aber das kümmert Tom Wolfe nicht. Denn er hat einen Gegner, eben jenen Noam Chomsky, der vor fünfzig Jahren erklärt hatte, die "Fähigkeit" zur Sprache gehöre zum "biologischen Rüstzeug" des Menschen. Sie sei angeboren, in Gestalt einer "universalen Grammatik". Während dieses halben Jahrhunderts hatte Noam Chomskys Lehre, die zahlreiche Wandlungen durchlief und dabei stets von naturwissenschaftlicher Exaktheit zu sein schien - während dieses halben Jahrhunderts also hatte Noam Chomskys Lehre die allgemeine Linguistik und mit ihr einen großen Teil der "Kognitionswissenschaften" nicht nur in den Vereinigten Staaten geprägt. So, wie es in der Welt der Humaniora gegenwärtig aussieht, geht diese Dominanz ihrem Ende zu. Das liegt kaum an Tom Wolfe. Aber dessen jüngstes Werk ist ein Symptom für diesen Niedergang.

Als Noam Chomsky vor drei Jahren an der Columbia University in New York die "Dewey Lectures" hielt, eine Reihe von Vorträgen, zu denen nur die berühmtesten Geisteswissenschaftler eingeladen werden, trug er drei Referate vor: "Was ist Sprache?", "Was können wir verstehen?" und "Was ist das Gemeinwohl?" Sie stellen eine Summe dieses langen Gelehrtenlebens dar und verknüpfen überdies die beiden Seiten, die bei Noam Chomsky meistens getrennt wahrgenommen wurden: die des Akademikers und die des politischen Aktivisten.

Sprache und Politik: Noam Chomsky: Was für Lebewesen sind wir? Aus dem Englischen von Michael Schiffmann. Suhrkamp Verlag, Berlin 2016. 248 Seiten, 26 Euro. E-Book 21,99 Euro.

Noam Chomsky: Was für Lebewesen sind wir? Aus dem Englischen von Michael Schiffmann. Suhrkamp Verlag, Berlin 2016. 248 Seiten, 26 Euro. E-Book 21,99 Euro.

Noam Chomsky entfaltet also die Grundzüge seiner Sprachtheorie: dass Sprache in eine innere und äußere zerfalle, dass "Geist" so etwas wie die abstrakte Form des "Gehirns" darstelle, dass jeder Mensch bei seiner Geburt über einen "Bauplan" der Sprache verfüge. Und er erklärt, die Grundform eines dem Menschen angemessenen Zusammenlebens sei ein "libertärer Sozialismus" (also auch eine Art "Bauplan"), wogegen es viele "Strukturen von Hierarchie, Autorität und Herrschaft" gebe, deren Aufgabe es sei, die "menschliche Entwicklung" zu beschränken. Es sind diese Vorlesungen, die nun in einer deutschen Übersetzung veröffentlicht wurden (in der das Amerikanisch des Originals deutlich durchklingt), wobei sich die drei Vorlesungen um einen Vortrag zur Frage "Die Geheimnisse der Natur - tief verborgen?" ergänzt finden.

Es gibt ebenso handfeste wie unwissenschaftliche Gründe dafür, warum Noam Chomskys Lehre in den Sechzigern so attraktiv wurde: Sie bot der Sprachwissenschaft nicht nur die Gelegenheit, vermeintlich zu einer Naturwissenschaft aufzurücken, sondern kam auch den technischen Fantasien des beginnenden Computerzeitalters entgegen: Wenn der Schaltplan der Sprache offengelegt sei, so die Hoffnung, könne man das Modell auf Maschinen übertragen - nach wie vor spricht Noam Chomsky davon, das Gehirn sei speziell "verdrahtet" ("hard-wired"), um mit Sprache umgehen zu können. Und in den zwei, drei Jahrzehnten danach sorgten jene technischen Fantasien, unterstützt durch einen fortschreitend methodischen Charakter der Geisteswissenschaften dafür, dass die beherrschende Stellung dieser Lehre erhalten blieb - zumal sie von Noam Chomsky, ähnlich wie es mit heutigen Computerprogrammen geschieht, beständig umgeschrieben und verfeinert wurde.

Mit einigen grundlegenden Zweifeln wurde die Theorie erst in den Neunzigern konfrontiert: Warum gelingt es nicht, einen "Bauplan" der Sprache offenzulegen? Und wie soll dieser Plan in das "Gehirn" hineingekommen sein? Doch als solche Bedenken laut wurden, besaß Noam Chomsky längst eine solche Position im internationalen Geistesleben, dass Fragen nach des Kaisers neuen Kleidern als unangemessen erschienen. In den Vorlesungen erscheinen diese Zweifel allenfalls in Form von "Geheimnissen", die der Natur zuzurechnen sind, nicht der Theorie. Die Referate legen zudem Zeugnis davon ab, an welchen Werken Noam Chomsky seine eigene Arbeit misst: Zu den Menschen, mit denen er vermeintlich debattiert, gehören René Descartes, Isaac Newton oder John Locke. Wer wollte sich angesichts solcher Autoritäten auf Indianersprachen berufen?

Leseprobe

Einen Auszug aus dem Buch stellt der Verlag hier zur Verfügung.

Erst seit einigen Jahren gibt es Arbeiten, die sich innerakademisch als Widerlegung der Gedankengebäude Noam Chomskys präsentieren. Auch sie arbeiten vor allem mit empirischen Mitteln: so Michael Tomasello vom Leipziger Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie, so der Linguist Daniel L. Everett, der am Amazonas eine kleine Sprache gefunden zu haben erklärte, die nicht dem von Chomsky vorgeschriebenen Muster entspricht (auf ihn bezieht sich Tom Wolfe). Oder kürzlich der britische Anthropologe Chris Night, der in seinem Buch "Decoding Chomsky" (New Haven, 2016) von der ungewöhnlichen Karriere des Sprachwissenschaftlers zu erzählen weiß - und davon, in welchem Maße sich die frühen Forschungen zur "Generativen Transformationsgrammatik" einer Finanzierung durch das amerikanische Militär verdankten.

Vielleicht hätte man sich einen Teil der empirischen Mühen ersparen können, wenn man zu den Ursprüngen der Sprachwissenschaft im deutschen Idealismus zurückgegangen wäre, die Noam Chomsky, vor allem in der Gestalt Wilhelm von Humboldts, immer wieder für sich reklamiert: Einem an Hegel geschulten Denker wäre vermutlich aufgefallen, dass die Idee eines von seiner Aktualität befreiten "Bauplans" die Folge eines radikalen Empirismus ist, der mit dem geistigen Charakter der von ihrem behandelten Gegenstände nichts anfangen kann - und ihn deswegen als "okkultes" Phänomen reproduziert.

Zum Empirismus gehört auch, dass er durch einen alternativen Empirismus, komme er nun aus der Sprachwissenschaft, der Anthropologie oder aus der Reportage, kaum zu widerlegen ist. Das weiß Chomsky, und so zeugen diese Vorlesungen nicht zuletzt von einem ungebrochenen Selbstbewusstsein. Die jüngsten "Widerlegungen" hingegen offenbaren, wie auch eine große akademische Konjunktur zu Ende geht: weniger durch Streit als durch Überdruss.

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