"Spirit" von Depeche Mode:Oh je, wir haben versagt

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Depeche Mode in der aktuellen Besetzung (von links): Martin Gore, Andrew Fletcher und David Gahan. (Foto: Anton Corbijn/Sony)

Auf ihrem neuen Album inszenieren sich Depeche Mode als Salon-Revoluzzer. Oder geht es in den Songs gar nicht um Politik, sondern um die eigene Band?

Von Max Dax

"Verzeihung, aber wo geht's denn hier bitte zur nächsten Revolution?!" Auf die große Frage, die die verbliebenen drei Mitglieder der britischen Stadtneurotiker Depeche Mode auf ihrem am Freitag, 17. März, erscheinenden 14. Studioalbum "Spirit" (Sony) stellen, gibt es mehr als eine Antwort.

"Haben Sie keine Augen im Kopf? Sie findet gerade statt", wäre eine. "Sie müssen nur der großen Rechtskurve folgen", eine andere. Tatsächlich singt der einst von den Toten auferstandene Dave Gahan (1996 war er nach einer Überdosis Drogen tatsächlich zwei Minuten lang klinisch tot) bereits im ersten Song "Going Backwards" mit großer, pathetischer Anmaßung: "We are digging our own hole / We are going backwards / Armed with new technology / To a cavemen mentality" - Wir graben unser eigenes Grab, wir gehen immer weiter zurück, bewaffnet mit neuer Technik, bis wir wieder Höhlenmenschen sind.

Gahan beschwert sich, dass der Aufstand nicht stattfindet, weil die Leute zu bequem sind

Gahan hat vier der zwölf neuen Songs des Albums geschrieben. Er singt von bösen Demagogen, die uns arme, kleine Sünderlein mit Lügen verführen, von feigen Drohnenkriegern, Fackelzügen und Lynchmorden, vom nuklearen Krieg. Und tiefer gelegter, also unten drunter in den Bassfrequenzen, malmt und martert und rumpelt es, dass man sich den Frühling herbeisehnt. Langsam und bedrohlich ist diese Musik. Produziert von Simian Mobile Disco's James Ford ist sie von so düsteren Synthie-Sounds durchdrungen, dass einem angst und bange werden kann.

Mehr denn je scheint sich Dave Gahan in der Rolle des Hohepriesters - dieses Mal im Gewand des Revolutionsführers - zu gefallen. Seit den letzten zwei Alben betrachtet er sich auch zunehmend als gleichwertiger Songschreiber neben Martin Gore. Das hat zu einer Veränderung der Stimmung und der Themen auf den letzten Platten geführt. Gore dachte als Verehrer von Kurt Weill stets verlässlich große zwischenmenschliche Abgründe und konsensfähige Melodien zusammen und pumpte diese in einem zunehmend poppiger werdenden Depeche-Mode-Sound zu Stadionhymnen auf. Dave Gahan steuert mit seinem Gesang eine Düsternis bei, die zwischen bombastischem Selbstmitleid und ebenso heftigem Drang zur Selbstzerstörung herumtaumelt.

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In der ersten Single "Where's The Revolution?" gelingt der Band auf diese Weise ein kleiner Meisterstreich, wenn die Schlüsselzeilen aus Curtis Mayfields elegischer Gospel-Ballade "People Get Ready" auf den eigenen, ansonsten orientierungslosen Text prallen. Für einen kurzen Moment, wenn Dave Gahan die Zeilen "The train is coming / Just get on board / The engines are humming / Just get on board" (Der Zug kommt, steigt ein, die Maschinen brummen, steigt ein) immer und immer wiederholt, pulsiert im Soundmatsch etwas, das weit in die Vergangenheit zurückreicht und fast so etwas wie einen tieferen Sinn andeutet.

Aber es ist leider nur ein kurzer Moment und er wird auch gleich wieder zerstört, als sich Gahan empört darüber beschwert — "C'mon people, you are letting me down" (Leute, ihr lasst mich echt hängen) -, dass die Revolution nicht stattfindet, weil die Leute zu bequem sind und ihm die Gefolgschaft verweigern.

Tatsächlich erleben die USA zurzeit mindestens zwei Revolutionen. Eine rechte, rassistische, hässliche Revolution der nationalstaatlichen Abschottung, und eine eher linke, antirassistische Konterrevolution, die sich ausschließlich über das Negative, die Ablehnung der eigentlichen Revolution, formuliert ("You are NOT my president" - Sie sind NICHT mein Präsident). Bei so viel Geschwafel und Säbelgerassel im Hause Depeche Mode muss man sich allerdings fragen, wann die Band eigentlich auf die Idee gekommen ist, sich als Salon-Revoluzzer mit rotem Anstrich neu zu erfinden. Als sie ihr Album aufnahmen, herrschte ja noch Wahlkampf, und die Buchmacher hätten jeden reich gemacht, der auch nur ein paar Dollar auf Trump gesetzt hätte. Glücklicherweise erklärt die Band ihre eigene, gerade erst mit roten Fahnen im Video und dem lustlosesten Albumcover der Bandgeschichte errichtete Revolutions-Dystopie bereits nach drei Songs für beendet. Die restlichen neun Songs auf "Spirit" bohren sich mehr oder weniger tief in trübe Beziehungsschlamassel, in das Innenleben von Borderline-Persönlichkeiten und immer wieder in die Untiefen des sexuellen Begehrens.

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Dagegen ist nun eigentlich nichts einzuwenden. Auch die Mehrzahl der Songs der letzten beiden wirklich gelungenen Alben von Depeche Mode, "Exciter" aus dem Jahr 2001 und "Delta Machine" von 2013, drehten sich verlässlich um verknotete Amouren, Enttäuschung, Misstrauen, Betrug und Gleichgültigkeit. Doch auf "Spirit" verbergen sich auch die besseren der insgesamt doch eher öden neuen Depeche-Mode-Songs unter einem Berg aus allzu Bekanntem.

Orakelhaft singt Martin Lee Gore in einem von nur zwei Gesangsbeiträgen, dem letzten Song "Fail", die Zeilen: "Our conscience is bankrupt / Oh, we are fucked / We are shameful / Our standards are sinking / Our spirit has gone / Oh, we failed." Wir können unser Niveau nicht halten, wir haben den Mut verloren. Oje, wir haben versagt. Und damit endet das Album.

Doch was ist, wenn es in den Songs gar nicht um Politik geht, sondern um die eigene Band?

In einer amerikanischen Musikzeitschrift faselte Gahan dazu kürzlich, dass sich die Worte seines Kumpels auf den Niedergang des Kapitalismus bezögen und überhaupt auf die Sinnkrise der westlichen Welt. Was aber, wenn Gore gar nicht über die Verfahrenheit unserer lieben, behäbigen Demokratien singt, sondern über seine eigene, im Laufe der Jahre fast zur Familie gewordenen Band?

Dann wäre "Fail" eigentlich gar nicht mehr prätentiös und aufgeblasen, sondern grundehrlich und damit sehr, sehr traurig. Dann wäre dieser Song die Ballade von Dave, Martin und Andrew, ein Abgesang auf mehr als drei Jahrzehnte im Scheinwerferlicht und ein wahrlich bizarrer Schlussakkord. Aber so konsequent sind Depeche Mode nicht. Von Mai bis mindestens Oktober geht es erst einmal wieder auf Welttournee.

© SZ vom 15.03.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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