"Speed" im Kino:Raus aus dem Hamsterrad

"Woher kommt meine verdammte Raserei?" Und wo bleibt die Zeit im beschleunigten Leben? Florian Opitz, Macher und Protagonist des Dokumentarfilms "Speed", zieht los, um herauszufinden, ob er ein individuelles oder ein gesellschaftliches Problem hat.

Johan Schloemann

Sein Kopf kommt nicht mehr mit. Florian Opitz, Macher und Gegenstand des Dokumentarfilms "Speed", leidet unter der Effizienz- und Digitalhetze, die sein Leben im beschaulichen Berlin-Kreuzberg durchdrungen hat. Er beklagt, wie wir alle, dass die vielen schönen Zeitverminderungsinstrumente die Zeit nur noch knapper gemacht haben - ein altes Problem der veloziferischen Moderne, das sich in Zeiten der mehrkanaligen Echtzeit aber brutal zu verschärfen scheint.

Kino

Symbolbilder aller Orten - Szenenbild aus dem Film "Speed"

(Foto: Camino Filmverleih)

"Woher kommt meine verdammte Raserei?" Florian Opitz also zieht los, um herauszufinden, ob er ein individuelles oder ein gesellschaftliches Problem hat. Schwer zu sagen, welche Diagnose beunruhigender wäre. Der Burn-out-Therapeut, den er aufsucht, sieht erste Warnzeichen, aber noch Hoffnung. Der Zeitmanagement-Scharlatan sagt dasselbe wie die Funktionäre des Glücksregimes im Himalaya-Staat Bhutan, und die sagen dasselbe wie der stinkreiche Investmentbanking-Aussteiger auf der Schweizer Alpenhütte: Man muss die Priorität auf das setzen, was wichtig ist. Ach so.

"Speed" ist nicht das nächste Sequel zu Sandra Bullock als Busfahrerin, die nicht mehr vom Gas gehen darf. Der Film macht vielmehr eine Reise in die wirkliche Welt der Beschleunigung und folgt darin dem Soziologen Hartmut Rosa, der diese als Grundübel des gegenwärtigen Kapitalismus ausgemacht hat.

Mal Hochtouriges, mal Naturidyllen

Es ist ein wirklich netter Ton, den Florian Opitz dabei anschlägt, sympathisch in seiner Suche nach Erklärungen und in seiner Selbstdistanz, ein bisschen wie "Sendung mit der Maus" für Erwachsene. Und es sind starke Bilder, die der Reporter an der Zeitfront einfängt: mal Hochtouriges aus der technisierten Welt, mal Naturidyllen, in denen die Rettung liegen soll. Und so changiert die Bildsprache zwischen "Modern Times", "Minority Report" und "Schlafes Bruder". Der Film findet einen guten Rhythmus, das unterscheidet ihn nach seinem Dafürhalten von unserer Epoche.

Florian Opitz, der die Story des Films auch zum gleichnamigen Buch gemacht hat (es erscheint jetzt als Taschenbuch), trifft glückliche, hart arbeitende Bauern, rastlose Unternehmensberater und spricht auch mit SZ-Redakteur Alex Rühle über dessen Internet-Sabbatical. Er zeigt ein Projekt zur De-Industrialisierung in Patagonien, und er führt uns bei Reuters in London, der Infomaschine für den Finanzmarkt, in eine wahre elektronische Hölle: Stolze Programmierer führen da vor, wie unzählige Preisveränderungen in Sekundenbruchteilen dargestellt werden, und wie man dadurch "split-second jugdements" treffen kann und muss - Handelsentscheidungen in Sekundenbruchteilen, ob als Trader oder lieber gleich als Programm. Es sind genau diese Finanzcomputer und ihre Sklaven, die in Brüssel und anderswo "die Märkte" heißen, deren Vertrauen zu gewinnen sei.

Wir sollen alle ein bisschen raus

Was ist die Moral dieser ganzen Be- und Entschleunigungstour, die man sich nach einem stressigen Bürotag gerne anschaut? Am Ende fordert der Filmemacher das bedingungslose Grundeinkommen, will weniger Zeit im Internet und mehr mit der Familie verbringen. Und wir sollen alle ein bisschen raus aus dem "Hamsterrad" von Wachstum und Wettbewerb. Was aber, wenn manche Errungenschaft der Moderne durch solche Dynamik erst ermöglicht wurde, auch die Entdeckung der Autonomie und des Seelebaumelnlassens?

Was, wenn der Gewinn an Freiheit und Ruhe, für den der Film plädiert, nur noch innerhalb des eng getakteten Wahnsinns zu finden ist, den er abbildet? Und wie sieht konkret der ökonomische Verzicht aus, den wir zugunsten von mehr Zeit üben müssten? Das wird alles nicht recht erwogen. Und so ist es am Ende weniger das gnadenlose Tempo des Systems als der schwammige Eskapismus seines Chronisten, der einen an diesem Film kirre werden lässt.

Speed - Auf der Suche nach der verlorenen Zeit, D 2012 - Buch und Regie: Florian Opitz. Kamera: Andy Lehmann. Schnitt: Annette Muff. Filmmusik: Von Spar. Camino Filmverleih, 95 Minuten.

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