Spacey-Skandal:Wie entfernt man einen Schauspieler aus einem fertigen Film?

Mark Wahlberg, Christopher Plummer

Ridley Scott bespricht sich mit Mark Wahlberg (l.) und Christopher Plummer am Set.

(Foto: AP)

Und warum Ridley Scott das mit Kevin Spacey bis zum Filmstart von "Alles Geld der Welt" im Dezember schaffen muss. Die Geschichte einer Amputation à la Hollywood.

Von David Steinitz

Wenn es in Hollywood einen Regisseur gibt, den man grundsätzlich als tiefenentspannt bezeichnen muss, dann ist das Ridley Scott. Der 79-jährige Brite, der in ein paar Wochen seinen 80. Geburtstag feiert, hat bei seiner Arbeit einen faszinierenden Grad an Altersgelassenheit erreicht. Vor ein paar Jahren, beim Interviewtreffen auf Fuerteventura während der Dreharbeiten zu seinem Bibel-Epos "Exodus", da ließ er in aller Seelenruhe etwa 200 Crewmitglieder und mindestens ebenso viele Statisten am Strand warten, wo ihnen der kalte Dezemberwind den Sand ins Gesicht blies, um in aller Ruhe mit Journalisten über Gott und die Welt zu philosophieren. Nervosität am riesigen Hollywood-Set? Nicht bei Sir Ridley Scott.

Nun aber scheint Scott, der von Produzenten dafür geliebt wird, dass er trotz großer Erzählbegeisterung seine Filme sehr schnell und vergleichsweise günstig drehen kann, ausnahmsweise doch mal die Geduld verloren zu haben. Am Mittwoch hat er gemeinsam mit der Produktionsfirma Imperative Entertainment und dem Sony-Filmstudio beschlossen, den Schauspieler Kevin Spacey nachträglich aus seinem bereits abgedrehten Thriller "Alles Geld der Welt" zu entfernen.

Spacey wird sexuelle Belästigung und Vergewaltigung in mehreren Fällen vorgeworfen, der einst gefeierte Darsteller hat seit der letzten Woche einen tiefen Sturz in Hollywood erlebt. Zwar sind die Anschuldigungen noch nicht juristisch aufgearbeitet worden, unter anderem ermittelt in England Scotland Yard gegen den Schauspieler. Aber in Hollywood hat man den Mann bereits in die Schublade für Kassengift sortiert.

Spacey hat in "Alles Geld der Welt" keine Hauptrolle, sondern mehr eine Art edle Nebenrolle als Gaststar

In "Alles Geld der Welt" geht es um den Entführungsfall des Milliardärserben John Paul Getty III. im Jahr 1973. Kevin Spacey spielt darin den beinharten Patriarchen John P. Getty, der sich zunächst weigert, Lösegeld für seinen Enkel zu bezahlen. Die Geschichte ist eine Herzensangelegenheit von Ridley Scott, der für die Dreharbeiten sogar andere Projekte verschoben hat - trotz seines fortgeschrittenen Alters ist sein Terminkalender derzeit so voll wie niemals zuvor.

Der Film hätte eigentlich Ende kommender Woche beim AFI-Filmfestival in Los Angeles Weltpremiere haben sollen, der reguläre US-Starttermin war für den 22. Dezember annonciert worden. Weil aber alle Verantwortlichen - inklusive der Hauptdarsteller Michelle Williams und Mark Wahlberg - zu der Überzeugung gekommen sind, dass das Werk mit Spaceys Beteiligung nicht mehr haltbar ist, wird Scott nun dessen gesamte Szenen herausschneiden und mit dem kanadischen Schauspieler Christopher Plummer neu drehen. Außerdem wolle er, so berichtet das Branchenmagazin Deadline, trotzdem am 22. Dezember für den Kinostart festhalten.

Eine Verschiebung kommt für die Macher aus zwei Gründen nicht infrage. Erstens muss ein Film spätestens im Dezember in den USA gestartet sein, um bei der Oscar-Verleihung im kommenden Jahr berücksichtigt werden zu können. Und zweitens dreht der Regisseur Danny Boyle derzeit eine zehnteilige Fernsehserie mit dem Titel "Trust", in der es ebenfalls um die Getty-Entführung geht. In dieser Version spielt Donald Sutherland die Rolle des Getty-Familienoberhaupts. Die Serie soll im kommenden Jahr auf dem US-Kabelsender FX Premiere haben, und zwar voraussichtlich schon im Januar. Das Sony-Studio will mit seiner Getty-Story wohl lieber vorlegen. Also bleibt der 22. Dezember die Deadline.

Ein ehrgeiziger Plan, der aber durchaus realistisch ist. Kevin Spacey hat in "Alles Geld der Welt" keine Hauptrolle, sondern mehr eine Art edle Nebenrolle als Gaststar. Er stand nicht monatelang am Set, sondern lediglich für etwa zehn Drehtage. In etwa dieser Zeitspanne soll nun vermutlich auch der Nachdreh mit Christopher Plummer abgewickelt werden. Solche Notdrehs werden in der Regel nicht noch einmal in allen Originalkulissen und mit allen anderen Darstellern abgewickelt, sondern teilweise in ein Studio verlagert, um das neue Material dann per Computer in den Film einzuarbeiten.

Scott ist mit solchen Ausnahmesituationen durchaus vertraut. 1999 starb während der Dreharbeiten zum Film "Gladiator" einer seiner Darsteller, Oliver Reed, an einem Herzinfarkt. Der Film musste von einem Tag auf den anderen so umgeschrieben werden, dass dessen Rolle im fertigen Film viel kleiner wurde als ursprünglich intendiert. In den wenigen verbleibenden Szenen, die er nicht mehr filmen konnte, wurde er per Computer wieder zum Leben erweckt. Das ist ein Vorgang, der in Hollywood langsam zum Tagesgeschäft wird. Zum Beispiel wird derzeit auch die 2016 verstorbene Carrie Fisher weiterhin als digitale Wiedergängerin durch die "Star Wars"-Filme wandeln.

Neu an der Spacey-Affäre ist aber die Tatsache, dass die Filmemacher quasi in vorauseilendem Gehorsam aufgrund eines moralischen Urteils einen Film der Notoperation unterziehen wollen. Das Budget von "Alles Geld der Welt", immerhin 40 Millionen Dollar, dürfte aufgrund dieser Maßnahme anwachsen. Wie teuer der Eingriff dann tatsächlich genau sein wird, dazu äußerten sich die Beteiligten bislang nicht. Zumindest was die Qualität der schauspielerischen Leistung angeht, wird sich Scott aber keine Sorgen machen müssen. Christopher Plummer ist vielleicht nicht ganz so berühmt wie Kevin Spacey, aber ebenfalls ein hervorragender Schauspieler, 2012 bekam er einen Oscar für die Tragikomödie "Beginners".

Heikler als die Umbesetzung dürfte deshalb nun die Mission der Marketingabteilung des Sony-Studios werden: den Film trotz des Skandals als Oscar-reife Kinoleistung an den Mann zu bringen. Und das, obwohl die ursprüngliche Werbekampagne längst in der Welt ist, inklusive des Trailers, den man online abrufen kann. Und der war vor allem auf einen Mann hin zugeschnitten: Kevin Spacey.

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