Southside-Festival im Sturmtief:Dankt dem Herrn für schlechtes Wetter!

Zehntausende feierten im Schwäbischen ein rauschendes Indie-Fest - oder sie wollten es zumindest. Doch dann kamen die Wetter! Bilder einer Beinahe-Katastrophe.

Frederic Huwendiek

Als Tomte am frühen Sonntagabend ihre traurigen Lieder singen, liegen drei heiße Tage hinter den Vierzigtausend, die in der schwäbischen Provinz das Southside-Festival feierten. Bei drückender Hitze zelebrierten die Pete-Doherty-Lookalikes, die Ungewaschenen, die Schnapsleichen und pornobebrillten Seitengescheitelten ein friedliches Indie-Fest mit all ihren liebsten Lieblingsmusikern.

Die ganz großen Namen suchte man in diesem Jahr vergebens. MetallicaDepecheModeAxlRose-Kladderadatsch verirrte sich nicht auf das Hochplateau in der Nähe von Tuttlingen. Das Kleine, das Feine, das Unprätentiöse, der Geheimtipp, aber auch der neueste "Best band of the century"-Brithype fanden ihren Platz und ihre Zeit auf den zwei Hauptbühnen und im Zirkuszelt.

Die famosen Shout out louds aus Schweden spielten ihre schönen, runden Poplieder, Ben Harper zupfte an seiner Gitarre und Death Cab for Cutie träumten sich durch ihr sympathisches Knuddelrockerset.

Die Strokes, einstmals meistgefeierte Band in Feuilleton und Fanzine, nölten souverän ihre großen Garagenrockhits, Wir sind Helden trällerten Mitsingsong um Mitsingsong und Adam Green wurde wieder einmal ein wenig sexistisch.

Der mitternächtliche Auftritt der leisen Sigur Ros geriet zu einem gigantischen Gottesdienst, die etwas zu lautstark abgefeierten Kooks und Arctic Monkeys waren dann doch nicht mehr als ein paar pickelige Jungen, die ein wenig zu früh zu viel Erfolg mit ihren Liedern haben.

Wie ein Derwisch

The Raconteurs, Zweitprojekt von Ober-White Stripe Jack White, fanden die passenden staubtrocken-geerdeten Töne zum drückenden Wetter, während die Engländer Muse ein berückend furioses Konzert spielten, dass die Zehntausenden staunend in die Nacht entließ.

Zu einem verrückten Freudenfest zu früher Stunde geriet der Auftritt der hierzulande wenig bekannten Gogol Bordello. Sänger Eugene Hütz, im ukrainischen Kiew geborener New Yorker, fegte wie ein Derwisch über die Bühne, ratschte über am Rücken von Tänzerinnen befestigte Waschbretter und beeindruckte mit kunstvoll rasierter Gesichtsbehaarung.

Ein Geheimtipp, der wohl nicht länger einer bleiben wird: Einzigartiger Zigeunerpunk aus New York mit einem charismatisch durchgeknallten Sänger und einem Geiger, der auf verblüffende Art und Weise dem alten Dieter Hallervorden ähnelt.

Schwarze Gewitterwolken hängen tief über dem Festivalgelände, als mit Tomte eine der letzten Bands die Bühne betritt. Gegen 19.10 Uhr geht ein Raunen durch die Menge, Tausende blicken den immer dunkler werdenden Wolken entgegen, recken die Arme gen Himmel, jubeln in freudiger Erwartung des Regens. Müll schraubt sich zylinderförmig in den Wolken. "Wie bei einem Tornado", meint einer der staunend Verharrenden.

Dann bricht der Sturm los: Zelte und Decken werden durch die Luft geschleudert, Dreck wirbelt über den Asphalt, die Sponsorenzelte drohen aus ihrer Verankerung gerissen zu werden. Eine Mitarbeiterin ruft: "Alle raus! Das ist kein Witz, das ist ein Sicherheitshinweis!" Erst langsam, dann immer schneller streben die Menschen in Richtung Campingplätze.

Alle Absperrungen sind jetzt geöffnet, selbst die Backstagebereiche stehen jetzt als Fluchtwege offen. Sirenengeheul erfüllt die Luft. Man erzählt sich, dass an der Hauptbühne eine der großen Videoschirme heruntergefallen sei.

Sturm contra Hurricane

Auf den Zeltplätzen zeigt sich die enorme Wucht des Sturmes: Hunderte Zelte liegen weit verstreut umher, Sperrgitter und Klohäuschen sind umgestürzt. Verwirrte Menschen laufen durch die Zelthaufen, ihre Freunde und/oder ihre Schlafsäcke suchend. Auch das Southside-Zwillingsfestival im hohen Norden, das Hurricane, muss abgebrochen werden. Zentimeterhoch steht dort das Wasser überall, starke Winde peitschen über die Festivalbesucher.

Doch die Sicherheitsleute und Veranstalter reagieren besonnen und souverän, nur zehn Menschen werden durch umher fliegende Zeltteile leicht verletzt, eine Massenpanik bleibt aus. Das Southside-Festival kommt glimpflich davon.

Trotz der Schäden, die der Sturm an den Bühnen hinterlassen hat, kann das Festival nach eineinhalb Stunden fortgesetzt werden. Zum Dank spendieren die Berliner Reggae-Künstler Seeed den Fans, die trotz dieser widrigen Umstände ausgehalten haben, Sekt aus Magnum-Flaschen. Dann vertreibt Manu Chao die letzten Regenwolken. Ein friedliches Indie-Fest geht zu Ende. Mit famosem Lärm vor und nach dem Sturm.

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