Inflation im Krimi-Genre:Mord an Minestrone

Schon Edgar Allan Poe wusste: ein guter Krimi erzählt weit mehr als ein Verbrechen. Um in der Masse nicht unterzugehen, verbinden Kriminalromane heute sehr spezielle Genres.

Von Christopher Schmidt

In der Kriminalliteratur scheint es inzwischen genauso zu sein wie im echten Leben: Ein einziger Job reicht oft nicht mehr aus, um über die Runden zu kommen. Was in der Berufswelt Teilzeit-Verträge und befristete Anstellungsverhältnisse sind, dem entspricht im Krimi-Genre die Bereitschaft, gleich mehreren Herren zu dienen.

In Zeiten, da die Konkurrenz auch im schreibenden Gewerbe härter wird, ist die sogenannte Spannungsliteratur dazu übergegangen, sich ein zweites Standbein zu schaffen, am erfolgreichsten in Gestalt des Regional- oder Koch-Krimis.

Von Donna Leon bis Jörg Maurer setzen Autoren, durchaus auch SZ-Autoren, auf das Flair beliebter Reiseziele, sei es Venedig, die Bretagne oder Oberbayern, von Martin Suter bis Tom Hillenbrand tauchen sie ein in die Welt der Gastronomie. Solche Verbindungen versprechen Synergieeffekte. Spezialinteressen, ob kulinarische oder touristische, in sich aufzunehmen, erweitert den Kreis der Adressaten, es vergrößert die Schnittmenge zwischen dem Buch und seinem potenziellen Publikum, anders gesagt: Die Literatur dehnt auf diese Weise ihre Oberfläche aus und damit auch den möglichen Hautkontakt zum Leser.

Natürlich lässt sich leicht darüber spotten, welchen Nebentätigkeiten und Hobbys zwischen Fernweh und Bauchweh der klassische Ermittler inzwischen nachgehen muss. Andererseits war die Kriminalliteratur seit jeher diejenige belletristische Gattung, die sich am aufgeschlossensten zeigte für außerliterarische Bündnisse und Hybridisierungen. Nur standen diese lange Zeit unter politischen Vorzeichen. Stieg Larsson ist nur ein besonders prominentes Beispiel für den verschwörungstheoretischen Thriller als Fortsetzung linker Fundamental-Opposition mit anderen Mitteln. Und der ARD-"Tatort" lässt sich ohnehin verstehen als letzte Bastion des sozialkritischen Fernsehens. Um zu überleben, streifte es sich die Strumpfmaske des populären Formats über.

Edgar Allan Poe wollte eine umfassende Zeitkritik

Geändert haben sich die Allianzen, die der Krimi eingeht, nicht aber die Neigung zu solchen Allianzen überhaupt. Dass die Provinz als Schauplatz des Verbrechens so gut funktioniert, also ein Setting mit einem überschaubaren Mikrokosmos, und die Kulinarik als Inbegriff des guten Lebens, zeigt ja vor allem, welche Sehnsüchte uns treiben.

Geht man weiter zurück in der Geschichte, stellt man jedoch fest, dass schon die Stammväter des Genres den Krimi-Suspense nutzten, um quasi als Beiladung ganz andere Botschaften in ihre Bücher zu schmuggeln. Arthur Conan Doyles Sherlock Holmes, eine der berühmtesten Detektiv-Figuren, ist eben nicht nur ein genialer Analytiker und als solcher eine Individualbegabung, sondern zugleich auch Botschafter eines bestimmten Ideals von Wissenschaftlichkeit und strenger Methodenlehre. Und Edgar Allan Poe, der eigentliche Erfinder der Detektiv-Geschichte, wollte mehr, als bloß einen packenden Fall zu schildern; es ging ihm um eine umfassende philosophische Zeitkritik.

Ein Genre dem man Schwarz-Weiß-Malerei vorwirft

Das Genre, dem man so gerne Schwarz-Weiß-Malerei vorwirft, eine vereinfachende Gegenüberstellung von Gut und Böse, ist in Wahrheit höchst ambivalent. Und dieses moralische Schillern macht gerade seinen Reiz aus. Dass die Idylle stets trügerisch ist, dass das Heimelige unweigerlich sein Gegenteil heraufbeschwört, das Unheimliche - dafür und für die Angstlust, die wir dabei empfinden, hatten zuerst die Romantiker ein feines Gespür.

Als Erbe der Romantik lebt diese Doppelbödigkeit fort im Eifel-Krimi ebenso wie beim kochenden Romanhelden. Wer es liebt, in der Küche zu zaubern, weiß sich sowieso mit den Hexenkünsten im Bunde. Kaum zufällig ist der Bestsellerautor Martin Suter ("Der Koch") nicht nur ein Gourmet und genialer Giftmischer der Literatur, sondern auch ein sehr genauer Leser von E.T.A. Hoffmann.

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