Solange Knowles:Für Schwarze zu sein, bedeutet nicht, gegen Weiße zu sein

Solange

Gegen den Anpassungsdruck an weiße Schönheitsideale: Solange Knowles.

(Foto: Columbia Records)

Solange Knowles tritt mit ihrem dritten Album doch noch aus dem riesigen Schatten ihrer Schwester Beyoncé - indem sie Privates politisch macht.

Von Jan Kedves

Immer diese Angst, etwas weggenommen zu bekommen! In den USA scheint sie derzeit vor allem diejenigen umzutreiben, die im Slogan der Black-Lives-Matter-Bewegung - "Schwarze Leben zählen" - einen Angriff auf ihr eigenes weißes Leben erkennen wollen und deswegen postulieren: "All lives matter" - alle Leben zählen. Dass sie damit die statistisch vor allem gegen schwarze amerikanische Bürger gerichtete mörderische Polizeigewalt in ihrem Land relativieren, ist ihnen egal. Dabei bedeutet, für Schwarze zu sein, noch lange nicht, gegen Weiße zu sein - so heißt es in einem gesprochenen Interlude auf "A Seat At The Table" (Saint Records/Columbia Records), dem neuen Album von Solange Knowles.

Mit anderen Worten: Man braucht als Weißer für die Solidarität mit Afroamerikanern gar nichts aufzugeben. Außer seinen Rassismus. Klingt simpel, aber man kann es anscheinend nicht oft genug wiederholen.

Die Frau, die diesen Monolog spricht, ist niemand Geringeres als Tina Knowles, die 62-jährige Mutter von Solange und Beyoncé Knowles. Solange hat ein Gespräch mit ihr aufgenommen, und so verbinden nun diese Worte die beiden Songs "Don't You Wait" und "Don't Touch My Hair". In ersterem singt Solange, untermalt von einem delikat aus verzerrten Synth-Drums und melancholischen Flächen verwobenen Instrumental, das fast an Phil Collins' "In the Air Tonight" erinnert, über die Notwendigkeit, politische Lieder statt banale Herzschmerzlieder zu singen. Und in letzterem zelebriert sie zu erdigem Slow-Motion-Funk ihre Haare, preist ihre Krause als Krone und Spiegel ihrer Seele - und wendet sich damit gegen den Anpassungsdruck, durch das Glätten der Haare oder das Tragen von Perücken einem weißen Schönheitsideal zu entsprechen.

Es geht hier um die Notwendigkeit, politische Lieder statt banale Herzschmerzsongs zu singen

Ja, die 1986 in Houston, Texas geborenen Solange bricht auf "A Seat At The Table", ihrem nun auch schon dritten Soloalbum, die strukturelle Benachteiligung und Verfolgung von Afroamerikanern auf eine sehr persönliche, geradezu intime Ebene herunter. Frei nach dem Motto: Das Private ist politisch. Und die Art, wie sie diese Themen in raffiniert eingängige, federnde R'n'B- und Soul-Songs voller elegant geschwungener Melodien gießt, begeistert derzeit völlig zu recht die internationale Musikpresse - womit in Solanges Karriere zweifellos eine ganz neue Phase beginnt.

Bislang galt sie nämlich vor allem als die jüngere Schwester des Pop-Superstars Beyoncé. Als die, die zwar auch Sängerin ist, deren Songs aber kaum jemand kennt. Es ist ja auch nicht unbedingt leicht, neben einem der größten weiblichen Popstars der Gegenwart künstlerisch zu bestehen, noch dazu, wenn sich die Boulevardmedien vor allem auf die nicht-künstlerischen Aspekte des eigenen Auftretens konzentrieren: Solange war diejenige, die im Mai 2014 im Aufzug des New Yorker Standard Hotel dem Mann ihrer Schwester, dem ebenfalls weltberühmten Rapper Shawn Carter alias Jay Z, eine pfefferte.

Ein Album für schwarze Frauen? Nein, für alle!

Die Aufnahmen der Überwachungskamera wurden geleakt, und die Frage, was denn genau da passiert sei, schien dann im April diesen Jahres beantwortet, als Beyoncé ihr Album "Lemonade" veröffentlichte, auf dem sie die (möglicherweise doch fiktionalen) Seitensprünge ihres Ehemannes thematisierte.

Seit dem Zwischenfall im Aufzug schien Solange auf die Rolle der "angry black woman" abonniert, der aggressiven, möglicherweise ein bisschen durchgeknallten schwarzen Frau. Eine Rolle, die sie auf ihren Album untersucht, im Song "Mad", unterstützt von dem hier überraschend tiefgründig reimenden Rap-Star Lil' Wayne. Warum werden wir autoaggressiv, verhalten uns destruktiv, schlucken Xanax und denken darüber nach, uns das Leben zu nehmen, fragen die beiden. Und begeben sich in dem Song auch auf eine unbequeme Spurensuche nach den transgenerationalen, von Großeltern auf Eltern auf Kinder immer weiter übertragenenen Traumatisierung, die bis heute das Seelenleben vieler Afroamerikaner prägen.

Und so wird das Album auch zu einer Art musikalischem Pendant zu den aktuellen literarischen Diskursen in den USA, von Ta-Nehisi Coates' Bestseller "Zwischen mir und der Welt" bis zum gefeierten Roman "Homegoing", in dem die ghanaisch-amerikanische Schriftstellerin Yaa Gyasi eine transatlantische Familien- und Sklavereigeschichte erzählt, zwischen Ghana und den Vereinigten Staaten, über acht Generationen hinweg.

"F.U.B.U." könnte problemlos eine neue Black-Lives-Matter-Hymne sein

Das größte Missverständnis aber wäre es zu denken, Solanges "A Seat At The Table" sei vor allem ein Album von einer schwarzen Frau für andere schwarze Frauen. Nein, es ist ein Album für alle.

Ob man nun unbedingt jeden einzelnen Song lauthals mitsingen möchte, ist natürlich wieder eine andere Frage. Der stolz schleppende, mit verlangsamten Ska-Bläsersätzen bewehrte Song "F.U.B.U." etwa - die Abkürzung steht für "for us, by us": für uns, von uns - könnte problemlos den Hit "Alright" des Rappers Kendrick Lamar aus dem vergangenen Jahr ablösen und zu eimer neuen Hymne der Black-Lives-Matter-Bewegung werden. Aber wird man die Einstiegs-Strophe auch als Nicht-Schwarzer problemlos über die Lippen bringen: "All my niggas in the whole wide world"?

Es ist wie mit dem Platz am Tisch, der dem Album den Titel gibt: Wenn man irgendwo zu Gast ist und zum Essen an den Familientisch geladen wird, redet man ja auch nicht immer gleich mit. Sondern hört besser erst mal genau zu.

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