"Snowpiercer":Draußen Eiszeit, drinnen dicke Luft

Snowpiercer

Der Snowpiercer - eine Art Arche Noah in einer neuen Eiszeit. An Bord herrscht nicht gerade endzeitliche Brüderlichkeit.

(Foto: Wilde Side Films / Le Pacte)

Eine neue Eiszeit: Der Science-Fiction-Thriller "Snowpiercer" verengt den menschlichen Lebensraum zur klaustrophobischen Zugfahrt. Ein Meisterstück des Action-Kinos mit viel schwarzem Humor - hier zelebriert ein Kosmopolit höchste Mash-up-Kunst.

Von David Steinitz

Im Jahr 2031 ist der finale Albtraum der Menschheit eine ewige Zugfahrt: Beim ehrenwerten Versuch, die Erderwärmung zu stoppen, ist man Jahre zuvor etwas über das Ziel hinausgeschossen - und hat eine neue Eiszeit ausgelöst. Die wenigen Überlebenden haben im "Snowpiercer" Zuflucht gefunden, einem Zug, der als eine Art Arche Noah im Perpetuum Mobile-Betrieb ununterbrochen durch schneeweiße Landschaften rast, in denen kein Leben mehr möglich ist.

Weil der Mensch dem Menschen erfahrungsgemäß aber schon im morgendlichen S-Bahn-Betrieb ein Wolf ist, verrät man nicht zu viel, wenn man sagt, dass an Bord des "Snowpiercer", ganz ohne Ausstiegsmöglichkeit, nicht gerade endzeitliche Brüderlichkeit herrscht.

In Vorderteil residieren luxuriös die oberen Schichten zwischen Champagner- und Sushi-Waggon, während der Großteil der Restmenschheit in die Gefängniswagen am Ende gepfercht wurde. Ein soziales Konfliktmodell von so unmissverständlicher Anschaulichkeit, dass es Karl Marx die Freudentränen in die Augen getrieben hätte - denn die Hinterwägler proben natürlich den Aufstand.

Während auffällig viele Regisseure in der Science Fiction-Filmschwemme des vergangenen Jahres - von "Oblivion" über "After Earth" bis "Elysium" - die Zukunft der Menschheit auf weitläufigen fremden Planeten imaginierten und dabei ebenso weitläufig ins dramaturgische Nichts drifteten, verengt der Südkoreaner Bong Joon-ho in "Snowpiercer" den Zukunftsraum mit diebischer Freude zur klaustrophobischen Achterbahnfahrt.

Synthese aus westlicher und asiatischer Kinotradition

Sein Film basiert lose auf der französischen Graphic Novel-Reihe "Le Transperceneige", die Mitte der Achtzigerjahre ein ironischer Kommentar auf das neue Umweltbewusstsein in der Gesellschaft war.

Bong, der einen ziemlich schwarzen Humor hat, greift diese Ironie gerne auf. Zu einem wirklichen Meisterstück des Action-Kinos macht "Snowpiercer" aber etwas anderes: nämlich die Synthese aus westlicher und asiatischer Kinotradition, die er beherrscht wie derzeit kein anderer.

Bong ist Teil einer Generation von Regisseuren im koreanischen Kino, die mit ihrer Experimentierfreudigkeit im letzten Jahrzehnt ein ganz neues Weltpublikum erreicht haben. Was in Hollywood natürlich nicht unbemerkt blieb, wo man gleich versucht hat, seine Kollegen in den amerikanischen Studiobetrieb einzugliedern.

Zum Beispiel Park Chan-wook, der 2003 mit dem Rachethriller "Oldboy" den ersten Kultfilm der neuen koreanischen Welle hinlegte, und der letztes Jahr in den USA das Horrormärchen "Stoker" mit Nicole Kidman drehte. Oder Kim Jee-woon, der mit dem Geisterfilm "A Tale of Two Sisters" ebenfalls einen Exportschlager ablieferte und in den USA den Ex-Gouverneur Arnold Schwarzenegger fürs Kino reanimierte, in "The Last Stand".

Man läuft sich über den Weg

Im Vergleich zu Hollywood ist die koreanische Filmindustrie winzig, die zentralen Protagonisten kann man an einer Hand abzählen - und natürlich läuft man sich über den Weg. Beim Treffen in einem Berliner Restaurant Anfang März erklärt der 44-jährige Bong, die Hände zufrieden über dem Bauch verschränkt, dieses Netzwerk so: "Klar kennen wir uns alle, meistens streitet man sich dann darum, wer bei wem welche DVD ausgeliehen und nicht wieder zurückgegeben hat."

Park und Kim haben in ihren US-Debüts lustvoll den Americana gehuldigt - wenn sie einen in Hollywood schon rein lassen, dann kann man natürlich auch mal richtig die westliche Popkultur feiern.

Wirkliche Internationalität

Bong wiederum hat nun mit "Snowpiercer" zwar seinen ersten englischsprachigen, starbesetzten Film gedreht , mit Tilda Swinton, Chris Evans und John Hurt. Und in der Produktion, die mit 40 Millionen Dollar Budget weit über den Möglichkeiten der koreanischen Filmindustrie liegt, stecken amerikanische Gelder.

Ihm geht es aber um wirkliche Internationalität. Seine Crew aus Korea, Großbritannien, den USA und Tschechien reflektiert das ebenso wie die höchste Mash-Up-Kunst seines Erzählens: "Snowpiercer" ist von asiatischer Splatter-Gewalt genauso beeinflusst wie vom europäischen Autorenfilm und von den Überwältigungsmechanismen des amerikanischen Blockbusterkinos.

Während Bong von all diesen Vorbildern schwärmt, muss er selber lachen, weil er so schnell so viel erzählen will, dass die Dolmetscherin nicht mehr mitkommt - die er genau deshalb aber dabeihaben wollte: Natürlich spricht er Englisch, aber wenn's ums Kino geht, dann soll durch kein Sprachwirrwar etwas verloren gehen. "Ich kümmere mich beim Schreiben eines Drehbuchs nie um Genres, sondern lege einfach los - so fließt die Erfahrung eines ganzen Lebens als Kinoratte automatisch mit ein."

In Opposition zum üblichen Hollywood-Arbeitsmodus

Durch seine letzten beiden Filme hat er sich in der Branche einen solchen Namen erarbeitet, dass für "Snowpiercer" sowohl die Stars als auch die Geldgeber auf ihn zukamen - und nicht umgekehrt: In "The Host" (2006) mischte er aus der Tradition des asiatischen Monsterfilms und der amerikanischen Filmeffektkunst eine fiese Horrorkomödie, die in Korea zum erfolgreichsten Film aller Zeiten wurde. 2010 drehte er mit "Mother" einen Übermutter-Thriller im südkoreanischen Hinterland, der selbst Hitchcock die Schamesröte ins Gesicht getrieben hätte.

Mit Hitchcock verbindet Bong außerdem, dass er, im Gegensatz zum üblichen Hollywood-Arbeitsmodus, keine Szene in dutzendfacher Variation dreht. "Beim Schreiben habe ich den Film schon fertig im Kopf - und wenn ich ihn dann genau so drehe, kann ich wie Hitchcock vermeiden, dass mir die Produzenten in mein Werk hineinpfuschen."

Spricht's und grinst schelmisch. Denn das Produzenten-Urvieh Harvey Weinstein, der für den angloamerikanischen Markt die Rechte an "Snowpiercer" besitzt, wollte genau das: den Film umschneiden, um ihm das Einheitstempo aller amerikanischen Actionfilme zu verpassen.

Spiel mit Licht und Schatten

Den Streit hat Bong gewonnen, weil mittlerweile auch Weinstein eingesehen hat, dass Bongs große Kunst eben genau in abrupten Tempiwechsel besteht. "Für einen Regisseur ist doch der Rhythmus das wichtigste Merkmal seiner Handschrift, und ich liebe es, schnelle Szenen plötzlich zu bremsen und langsame zu beschleunigen."

Das macht er in "Snowpiercer" so gekonnt wie noch nie, während seine Protagonisten sich aus den grauen Lagern am Ende des Zuges durch die immer bunteren und dekadenteren Zugabteile nach vorne kämpfen, durch Gewächshaus-, Disco und Aquariumswagen, um den Mächtigen in der ersten Klasse ordentlich einzuheizen.

Selbst im heftigsten Kampfgefecht drosselt Bong dann das Tempo, spielt mit Licht und Schatten oder verlegt eine Kampfszene komplett ins Dunkle, um sich nur auf die dumpfe Tonspur zu konzentrieren. Ein ziemlich irres Jump'n'Run-Spektakel, als wäre man in einem manisch-depressiven Arcadespiel gelandet.

Ein Zauber, den der Regisseur gerne einmal so entfesseln wollte, mit diesem Budget, mit diesen Schauspielern. "Aber künftig bitte wieder kleiner, daheim in Südkorea. Noch einmal will ich mir das nicht antun." Das ist zwar vermutlich schelmisches Understatement, passt aber perfekt zu seinen Filmen, wo er die Verzauberung des Zuschauers genauso gut beherrscht wie die Entzauberung. Weshalb das, was die Revolutionäre dann im ersten Wagen des "Snowpiercer" finden, auch weniger mit einem klassischen Action-Endgegner zu tun hat als mit dem Zauberer von Oz.

Snowpiercer, Südkorea/USA/GB/Tschechien 2013 - Regie: Bong Joon-ho. Buch: Kelly Masterson, Bong Joon-ho. Kamera: Hong Kyong-pyo. Mit: Chris Evans, Tilda Swinton, John Hurt. MFA, 126 Minuten.

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