Snoop Dogg- und Nelly-Texter übezeugt nicht mit eigener Platte:Zurück in den Bastelkeller

Pharrell Williams ersten Soloalbum fehlt es an visionärer Kraft und Klangüberraschungen.

Dirk Peitz

Am Ende bleibt nur die eine Frage an sein erstes Soloalbum: Hat der Mann Soul? Gelingt es ihm, den beiden großen afroamerikanischen Popularmusikgenres der Gegenwart die Seele einzuhauchen, die ihnen kaum mehr zugestanden wird? Weil sie nur noch funktionalistisch gedacht, gemacht und wahrgenommen werden, in einem Überbietungskampf der Soundsensationen, den sich hochbezahlte Produzententeams seit ein paar Jahren liefern. Wer hat den geilsten Beat, die abgedrehteste Klanginnovation, den unwahrscheinlichsten Sample?

Pharrell Williams

Pharrell Williams bei der "Wild: Fashion Untamed" Ausstellung in New York.

(Foto: Foto: ap)

Pharrell Williams wäre in den letzten Jahren die richtige Antwort gewesen. Zusammen mit seinem Partner Chad Hugo war er unter dem Produzentennamen "The Neptuns" eine halbe Dekade lang, vom Ende der neunziger Jahre bis in die jüngste Vergangenheit hinein, als Klangveredler verantwortlich für die Ästhetik eines Großteils zugleich der coolsten und erfolgreichsten afroamerikanischen Musik - die häufig genug von weißen Popstars wie Justin Timberlake, Britney Spears oder Gwen Stefani gesungen wurde. Zeitweise hielten die Neptuns gar ein Quasimonopol: Gern kolportierten Studien zufolge waren Anfang des Jahrzehnts mal zwischen einem Fünftel und mehr als einem Drittel der Lieder, die auf Chart-Radiostationen gespielt wurden, vorher durch die Hände respektive die Computer von Williams und Hugo gegangen. Eine vergleichbar marktbeherrschende Stellung besaßen in der Popgeschichte allenfalls mal die Soulfabrik Motown und die Fließband-Popherstellung des britischen Produzententrios Stock, Aitken & Waterman. Die Neptuns aber sind anders als jene keine Komplettanbieter, sondern nur Zulieferer, gleichsam Customizing-Experten, die für den Sound in einem heutzutage viel ausdifferenzierteren Apparat von Klang-, Song- und Textbeauftragten zuständig sind, der zur Fertigstellung des Produkts R&B und Hip-Hop benutzt wird.

Als vor gut einem Jahr das erste Soloalbum von Pharrell Williams angekündigt wurde, lag es nah, ein wenig zu phantasieren: Würde Williams, der nicht nur die coolste Musik lieferte, sondern auch noch so unglaublich gut aussah, die Musik noch einmal neu erfinden, wenn er seinen eigenen Namen auf eine Platte drucken lässt? Würde er nicht nur ein neues Oberflächendesign des Hip-Hop und R&B entwerfen, sondern sie zusammenführen in einem Grand Design für den Soul der Zukunft? Womöglich im Geiste jenes Befreiungsschlages, der dem einstigen Motown-Angestellten Marvin Gaye mit "What's Going On?" gelang, als er den Soul als Musik der Gegenwartsbeschreibung etablierte? Oder würde es vielleicht um die Neuerfindung des Pop aus der Überlieferung der schwarzen Musik gehen, so wie Quincy Jones es mit Michael Jacksons "Thriller" vorgemacht hat? Oder hatte Pharrell, die elegante Hipster-Antifigur zum Nouveau Riche des Hip-Hop und R&B, noch etwas ganz anderes in seinem Kopf?

Zurück in den Bastelkeller

Arm im Geiste

Nun da "In My Mind" mit reichlich achtmonatiger Verspätung erschienen ist, in einer zumindest teilweise überarbeiteten Version gegenüber derjenigen, die bereits im November letzten Jahres Journalisten vorgespielt worden war, ist die Enttäuschung groß. Die bislang erschienenen Rezensionen sind fast allesamt Verrisse. Es fehlten, heißt es, vor allem die Soundtricks, für die Williams berühmt wurde. Tatsächlich ist "In My Mind" arm an Klangüberraschungen, doch es ist schlimmer: Pharrell Williams unterfordert sich selbst mit dieser Platte. Oder er legt nun seine bislang wohlgehüteten Schwächen offen, etwa die als Texter: Das ist zum Teil kompletter Bullshit, bestenfalls Austauschbares aus der großen Hip-Hop-Wort-Stanze, was Williams da rappt oder singt. Dass er stimmlich limitiert ist, ist gar nicht so sehr das Problem, das war mit seinem ganz ähnlichen Faux-Falsett auch Curtis Mayfield -aber der hat nunmal mit "Curtis" die musikalische Befreiung des Soul geschafft, die Gaye und später Stevie Wonder auf ihre Art fortsetzten.

Doch "In My Mind" fehlt es musikalisch einfach an der visionären Kraft, die man Pharrell in den Einzeldisziplinen als Soundtüftler und Trackbauer zurecht unterstellt. Die ganze Konstruktion des Albums, das zu gleichen Teilen einerseits aus R&B-, andererseits aus Hip-Hop-Stücken bestehen soll, funktioniert nicht. Allenfalls am Härte- respektive Weichegrad lassen sich die beiden gedanklichen Seiten der Platte unterscheiden. Das zeigt nur, dass eine wie auch immer behauptete Dichotomie zwischen den beiden Genres längst nur noch behauptet wird: Club versus Schlafzimmer, Mann versus Frau, Rap versus Gesang, hart versus weich - das alles gehorcht jener funktionalistischen Soundlogik, die sich am Beispiel nicht nur des Hip-Hop und R&B selbst längst ad absurdum geführt hat. Was bringt es, wenn sich Musik allein in seiner Klangereignishaftigkeit erschöpft?

Andererseits bedeutet das alles nicht, dass auf "In My Mind" nicht großartige Musik wäre. Die bislang drei Singles "Can I Have It Like That", "Angel" und "Number One" sind jeweils beispielhafte Stücke, die zeigen, wie Williams eine überschaubar kleine Menge an Tonspuren immer wieder so miteinander verzahnen kann, dass dabei ein mitreißender Groove entsteht. Der braucht wie etwa bei der aktuellen Single "Number One" nicht viel mehr als eine Keyboardmelodie, damit daraus ein toller Popsong wird. Bloß, und das ist schon eine bittere Erkenntnis, bestätigt "In My Mind" in seiner ganzen Bruchstückhaftigkeit letztlich die aktuelle Rollenverteilung im Hip-Hop und R&B: Der Nerd, als den sich Pharrell Williams gerne bezeichnen lässt, gehört vielleicht wirklich nur ins dunkle Studio, vor seinen Computer, als Zulieferer für andere. Wie gerne hätten wir geglaubt, Pharrell sei der Mann, der die Seele hat, den Soul neu zu erfinden.

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