Smart Homes:Herr im Haus

Reisfeld und Baumhütte
(Foto: Plainpicture)

Wer kontrolliert eigentlich wen in den sogenannten "Smart Homes"? Es wird höchste Zeit, das Wohnen wieder menschlich zu gestalten.

Von Adrian Lobe

Man muss sich den römischen Hausherrn als einen mächtigen Menschen vorstellen. Im Oikos, dem Zuhause, in dem Haushalt und Betrieb noch nicht getrennt waren, übte der Familienvater Herrschaft über Frauen, Kinder und Sklaven aus. Der Hausherr herrschte aber nicht nur über das Haus, er nahm auch die politische Rechtevertretung in der Polis wahr.

Mit dem "Smart Home" hat diese Form patriarchalischer Herrschaft ein digitales Update erfahren. Der Lichtschalter lässt sich per Akklamation schalten, die Sprachsteuerung bringt die Jalousien herunter, der Haushaltsroboter als digitaler Domestike erledigt seinen Dienste per Programmierbefehl. Das Smart Home ist der ultimative Kontrolltopos - alles hört auf das Kommando des Hausherrn. Entsprechend werben die Anbieter solcher Lösungen. "Ihr Zuhause fest im Griff: Intelligente Gebäudesteuerung und Zugriff per Smartphone sorgen für volle Kontrolle - von überall", heißt es dann etwa, der Stromanbieter EWE wirbt mit: "Nutzer guter Smart-Home-Lösungen haben heute einen großen individuellen Spielraum - und mehr eigene Kontrolle als zuvor."

Kontrolle des Hauses spielte seit je eine bedeutende Rolle. Markus Metz und Georg Seeßlen schreiben in ihrem Buch "Freiheit und Kontrolle. Die Geschichte des nicht zu Ende befreiten Sklaven", dass das Haus entstehungsgeschichtlich neben einer sozialen, architektonischen und ästhetischen auch immer eine technische Einheit war. Über Raumabtrennungen oder Türschlösser lassen sich Herrenzimmer von Dienerzimmern trennen und damit auch soziale Hierarchien zementieren. Neben der inneren Freiheit, ein eigenes Zimmer zu besitzen, gebe es auch die äußere Kontrolle: "Da man Zimmer abschließen kann, haben Freiheit und Kontrolle eine reale Form: Jemand hat die Macht, andere aus- oder eben einzuschließen." Im Haus werde klar, wie Sicherheit durch Kontrolle erzeugt werde.

"Die Kontrolle der Familienmitglieder, die nicht mehr auf patriarchalische Weise möglich ist (...), verwandelt sich nun scheinbar in eine Kontrolle der technischen Dinge im Haus", schreiben die Autoren. "Von den Apps seines Smartphones kontrolliert der Post-Patriarch die Heizung, die Rollläden, die Überwachungskameras, die Musik und die Beleuchtung."

Allein, das Smart Home vermittelt bloß die Illusion von Steuerung. Wo der Smart-Home-Bewohner glaubt, er übe durch Sprachkommandos Kontrolle aus, wird er selbst überwacht und kontrolliert - in seinem Konsum. Wer lässt nachts das Licht brennen? Wessen smarter Kühlschrank bestellt fetthaltige Nahrungsmittel? Wer raucht in seiner Wohnung? Wie viele Leute halten sich im Raum auf? All dies kann von Sensoren registriert werden. Der Bewohner darf sich nicht wundern, wenn seine Krankenversicherung irgendwann die Policen an die Konsumgewohnheiten oder Raumgestaltung anpasst. Zwar glaubt der Nutzer, im Moment des Knopfdrückens Herr über die Maschine zu sein, doch ist er zunehmend das Subjekt diverser Datenregime, die ihn berechenbar und steuerbar machen. Die neuen alten Diener sind nicht die Maschinen, sondern ihre Bediener - sprich: der Mensch.

Netzwerklautsprecher wie Amazon Echo leiten Spracheingaben an Serverfarmen weiter, wo sie von Algorithmen analysiert werden. Im US-Bundesstaat Arkansas verlangte die Polizei in einem mysteriösen Mordfall von Amazon die Herausgabe der Audiodateien seines Netzwerklautsprechers Echo. Der vernetzte Assistent könnte ein tödliches Geheimnis hüten. Was geschah zur Tatzeit? Gab es Schreie des Opfers? Stimmt das Alibi? Amazon gab die Daten nach langem Hin und Her schließlich heraus.

Je weniger Bewohner ein Haus hat, umso präziser lassen sich die erfassten Daten auswerten

Gewiss, die totale Kontrollierbarkeit des Hauses war schon immer eine Illusion. Auch im rein analogen Eigenheim ist man nicht wirklich Herr im Haus. Nachbarn können an der Türe lauschen, sie können den Wasserverbrauch am gemeinsamen Zähler ablesen oder in der Mülltonne anhand weggeworfener Verpackungen auf die Einnahme von Medikamenten schließen. Doch ist dieser Adressatenkreis auf die Nachbarschaft und vielleicht noch den Postboten begrenzt. Im Smart Home dagegen weiß man nicht, wohin die Informationen fließen und wer alles darauf Zugriff hat. Und warum.

Wikileaks enthüllte, dass die CIA von ihrer Frankfurter Zentrale aus unter dem Codenamen "Weeping Angel" mit einem Hackertool Smart-TVs von Samsung anzapfte und dem Nutzer suggerierte, er hätte den Fernseher abgeschaltet, der aber weiter mitlauschte. Man weiß nicht, wer da am anderen Ende mithört. Wo die Membran, die den Informationsfluss zwischen innen und außen reguliert, immer durchlässiger wird, wird auch das Konzept der Privatsphäre immer poröser.

Die Vernetzung der eigenen vier Wände schafft neue Verwundbarkeiten, vor allem wenn die Geräte Sicherheitslücken aufweisen. Digitale Türschlösser, Thermostate oder smarte Kaffeemaschinen können gehackt werden. Die Vorstellung, dass sich jemand ins Smart Home einhackt, ist keine Science-Fiction-Fantasie mehr. Sicherheitsforscher haben wiederholt demonstriert, wie einfach es ist, sich mit einem technischen Kniff in Raumthermostate zu hacken oder Bluetooth-Schlösser zu knacken. Im Oktober 2016 übernahmen Hacker die Kontrolle über 100 000 internetfähige Geräte und verbanden diese zu einem Botnetz, um eine DDoS-Attacke zu lancieren. Seiten wie Twitter, Netflix, Paypal, Airbnb oder Spotify waren stundenlang nicht aufrufbar. Der Cyberangriff wurde aus den Wohnzimmern ahnungsloser Bürger orchestriert. Der smarte Kühlschrank, der von der Industrie als "Familienmanager" gepriesen wird, gerät zur Waffe. Das Versprechen von mehr Kontrolle verwandelt sich in sein Gegenteil: Die Cybergefahren offenbaren unseren Kontrollverlust und eine Technik, die sich zunehmend verselbständigt.

Wie ausgeliefert man ihr ist, beweist ein kurioser Vorfall aus den USA. In einer Live-Sendung erteilte ein Nachrichtensprecher des Senders CW6 dem Netzwerklautsprecher Amazon Echo den Befehl, ein Puppenhaus zu bestellen. Bei Hunderten Zuschauern, die diese Sendung live im Fernsehen verfolgten, wurde daraufhin ein Bestellvorgang ausgelöst. Ob der Nutzer im Zimmer oder eine Fernsehstimme das Kommando erteilt, macht keinen Unterschied mehr. Die Echo-Lautsprecher differenzieren nicht zwischen verschiedenen Sprechern. Zwar wurde der Bestellungsvorgang nicht finalisiert, weil Amazon dem Schritt vor der Bestellung einen gesprochenen Bestätigungscode als Autorisierungselement zwischengeschaltet hat. Dennoch aktivierte sich wie von Geisterhand der Lautsprecher. Die Frage ist: Wer also ist Herr, wer Knecht? Wenn man Familienmitglieder, die auf denselben Namen wie Amazons Sprachsoftware hören, mit "Alexa Human" ansprechen muss, um eine Verwechslung zu vermeiden, ist man eben nicht mehr Herr im Haus, sondern ein Datenmündel. Es ist grotesk: Man muss die Maschine abschalten, um sich als Mensch Gehör zu verschaffen.

Die Ordnung des Hauses sei so gespenstisch geworden, schreiben Metz und Seeßlen, dass hier "weder Rückzug noch Geborgenheit" zu finden sei. "Je weniger Bewohner ein solches Haus hat, desto präziser sind diese Informationen übrigens."

Mit dem Smart Home hält die Kontrollfabrik Einzug in unsere eigenen vier Wände. Wie erlangt man da die digitale Souveränität zurück? Wie wird man wieder Herr im eigenen Haus? Die Direktive kann ja freilich nicht sein, auf smarte Geräte völlig zu verzichten und ein analoges Einsiedlerleben zu führen. Doch sollte man darauf insistieren, die Zugriffsgewalt auf Daten, die man im Smart Home generiert, weiterhin zu behalten und frei zu entscheiden, was nach außen dringt und was nicht. Sonst werden wir zu Dienern unserer feudalen Datenherren.

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