Singapur-Sinfonieorchester in Deutschland:Klassik made in Singapur

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Sie sehen sich als kulturelle Brückenbauer zwischen Asien und Europa: Die Singapurer Sinfoniker und der deutsche Cellist Jan Vogler. Auf ihrer Deutschland-Tournee wollen sie vor allem eines: große Gefühle wecken.

Marcel Burkhardt

"Sie berührt dich oder eben auch nicht, es ist ganz einfach. Aber dass diese Musik nicht dein Innerstes trifft, ist eigentlich unmöglich!" Lynnette Seah presst ihre Hände ans Herz und schaut dabei ernst aus hellwachen Augen. Den ganzen Vormittag ist die Violinistin tief in Gustav Mahlers Musikwelt eingetaucht, beim Einüben seiner 6. Sinfonie. Nun sitzt sie mit ihren Kollegen des Singapur-Sinfonieorchesters beim Mittagessen im Zentrum der prosperierenden Fünfmillionen-City am Äquator, vor ihnen auf dem Tisch dampfender Reis, gebratene Ente und frische Meeresfrüchte. Seah aber hat vorerst keinen Blick dafür, in Gedanken ist sie irgendwo in Wien zu Beginn des 20. Jahrhunderts, als Mahler sein Werk schrieb.

Singapur-Sinfonieorchester in Deutschland
:Meister ihres Faches

Der Dirigent des Singapur-Sinfonieorchesters Lan Shui hat aus vielen musikalischen Kulturen einen einheitlichen Klangkörper geschaffen. Jetzt tourt sein Orchester durch Deutschland.

"Ich liebe diese Zeit und ich liebe die österreichischen und deutschen Städte", sagt die Violinistin. "Wenn ich dort spazieren gehe, die Architektur studiere, kann ich fühlen, was Mahler, Beethoven und all die anderen großen Komponisten damals fühlten." Seah streicht mit der Hand vorsichtig über die Falten des Tischtuchs: "Wenn ich Mahlers Stücke spiele, kann ich spüren, wie sehr er seine Frau liebte und wie traurig er war, als sein Kind starb, das berührt mich zutiefst, da kommen mir immer die Tränen."

Seah hat Deutschland bereits 1974 als damals 16-jährige DAAD-Stipendiatin kennengelernt. Seitdem nennt sie es ihre zweite Heimat. So viel Emphase für Deutschland und die klassische europäische Kultur teilt Seah mit vielen Kollegen ihres Orchesters. Sie haben renommierte deutsche Musikhochschulen und Konservatorien besucht und einige haben jahrelang in deutschen Orchestern gespielt, bevor sie zurückgingen nach Asien, um dort etwas mit aufzubauen. Etwas wie das Singapur-Sinfonieorchester, das inzwischen den Ruf genießt, eines der besten in Asien zu sein.

Lynnette Seah war von Anfang an dabei. Damals, 1979, löste sich das Symhonieorcherster in Teheran nach der Machtübernahme der Mullahs auf, viele der - oft osteuropäischen - Musiker orientierten sich neu und fanden den Weg nach Singapur. Dort entstand ein neues Orchester.

"Zwischen 1979 und heute liegen Welten", sagt die 52-jährige Musikerin und rudert dabei lachend mit den Armen. "Damals war es eine bunt zusammen gewürfelte Truppe, das Orchester hatte einen rohen Klang wie ein Baby, so viele musikalische Kulturen aus Asien und Europa prallten damals aufeinander - nun aber sind wir erwachsen geworden, haben unseren eigenen reifen, harmonischen Klang." Musiker aus 17 Nationen spielen heute in dem Orchester. In diesen Tagen bereiten sie sich auf eine Tournee vor, die sie mit dem international bekannten deutschen Cellisten Jan Vogler durch Deutschland führen wird.

Auf dem Programm in Frankfurt am Main, München, Leipzig, Berlin und Dresden stehen Stücke aus dem 19. und 20. Jahrhundert, die zum festen Repertoire des Orchesters gehören: die "Elegie für Violoncello und Orchester" von Fauré, "La Mer" von Debussy, "Die Toteninsel" von Rachmaninow und die "Rokoko-Variationen" von Tschaikowsky. Mit dem zeitgenössischen Werk "The Rhyme of Taigu" des chinesischen Komponisten Zhou Long schließen die Musiker ihr Konzert ab.

Jan Vogler hofft beim deutschen Publikum auf einen "Aha-Effekt". "Die Leute können hören, dass es keine zweitklassige Kulturkopie ist, sondern dass in Singapur ein eigener Musikstil gepflegt wird." Der Cellist, der in New York und Dresden lebt und arbeitet, kennt die Kollegen aus Singapur bereits seit 1997. "Die sind so ambitioniert und enthusiastisch - zwischen uns hat es sofort gefunkt", sagt der Deutsche. Die gemeinsame Musik sieht er als "kulturelle Brücke zwischen Asien und Europa, Ost und West."

Chefdirigent Lan Shui fördert diesen Austausch konsequent seit 13 Jahren. Etwa, indem er sein Orchester regelmäßig renommierten europäischen und amerikanischen Gastdirigenten anvertraut, um es mit neuen musikalischen Einflüssen vertraut zu machen. "Ich will meine Musiker immer wieder an ihre Grenzen führen - und wenn es optimal läuft - noch darüber hinaus", sagt der Chinese. Während des Konzerts hebt er zeitweise fast ab, so viel Energie versprüht er. Mit dem ganzen Körper treibt er die Musiker an. "Er bringt die Funken zum Fliegen", sagt die Violinistin Lynnette Seah über ihn.

In der für ihre Akustik berühmten Esplanade-Konzerthalle im Herzen von Singapur springt dieser Funke auch auf das Publikum über, während Mahlers 6. Sinfonie gespielt wird. Erstaunlich viele Eltern mit ihren Kindern verfolgen das Konzert und applaudieren später stehend.

Stadt der Kunst, Stadt des Geldes

Doch Singapur ist nicht nur eine Stadt der Kunst, sondern auch eine Stadt des Geldes. Der Finanzmanager Goh Yew Lin sitzt im Vorstand des Orchesters. Er blickt aus dem Panoramafenster seines Büros im Singapurer Finanzdistrikt und versucht zu erklären, warum die europäische Klassik in Singapur so viele Anhänger hat. "Es gibt keine Berührungsängste", sagt er. "Im Gegenteil - wir erleben inzwischen einen regelrechten Boom - wir bewundern diese Musik, schätzen ihre komplexe, strukturelle Schönheit und ihre Emotionalität - mit ihr lassen sich Gefühle und Leidenschaften wunderbar ausdrücken."

Draußen prasselt ein tropischer Regensturm auf die Metropole herab. Wo in der Bucht eben noch Palmen und Hunderte Schiffe im Sonnenschein zu sehen waren, ist jetzt nur noch eine dunkelgraue Wand aus Wasser. Riesige Tropfen fallen vom Himmel herab, platschen an die Fensterscheiben des Wolkenkratzers. Von draußen dringt ein Rauschen und Dröhnen herein. Nach kurzem Innehalten sagt Goh Yew Lin plötzlich: "Noch etwas fasziniert uns an dieser Musik - wir können uns durch sie in exotische Länder und romantische Geschichten einer längst vergangenen Zeit entführen lassen."

Wien, 1907. Dorthin hat es auch Lynnette Seah während des Mahler-Konzerts an diesem Abend wieder verschlagen. Später, während des Applauses, der zum abrupten Zurückkommen nach Singapur zwingt, beben Seahs Lippen beim Versuch zu lächeln. "Diese Musik berührt dich oder eben auch nicht, es ist ganz einfach", hatte sie noch am Mittag halb im Scherz gesagt. "Aber wenn sie dich nicht berührt, müsstest du einen Stein in der Brust haben." Das hat hier niemand.

Das Singapur-Sinfonieorchester auf Deutschland-Tournee: 14. Oktober 2010: Frankfurt am Main / Alte Oper 16. Oktober 2010: München / Herkulessaal 18. Oktober 2010: Leipzig / Gewandhaus 19. Oktober 2010: Berlin / Philharmonie 20. Oktober 2010: Dresden / Kulturpalast

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