Sicherheitsdebatte:Rückkehr in "historisch normale, gefährliche Zeiten"

Niemand beschreibt den Schrecken so eindrücklich wie Wolfgang Sofsky. Interview mit dem Soziologen über Terror, Videoüberwachung und die Illusion der Sicherheit.

Sonja Zekri

Der Soziologe Wolfgang Sofsky hat mit seinem "Traktat über die Gewalt" oder seinem Buch über "Zeiten des Schreckens - Amok Terror Krieg" entwirft düster funkelnde Bedrohungsszenarien moderner Gesellschaften. In seinem jüngsten Buch "Das Prinzip Sicherheit" (S. Fischer Verlag) beschreibt er die Erosion von Freiheit im Angesicht des Terrors.

Sicherheitsdebatte: "Herrschaft ist immer informationsgierig", sagt Wolfgang Sofsky.

"Herrschaft ist immer informationsgierig", sagt Wolfgang Sofsky.

(Foto: Foto: Fischer Verlag)

SZ: Der erste Bahn-Attentäter ist gefasst, der zweite ist identifiziert - aufgrund von Videoaufzeichnungen. Kameras an öffentlichen Plätzen schützen also doch gegen Terror?

Wolfgang Sofsky: Man muss wissen, was von Videoaufzeichnungen zu erwarten ist. Wenn die Kameras zur richtigen Zeit am richtigen Ort aufgestellt sind, kann man nachträglich Übeltäter identifizieren, aber akut keine Explosion verhindern. Sonst müssen Sie den gesamten öffentlichen Raum mit Kameras bestücken, deren Erkennungsfilter Verdächtige per Datenabgleich identifizieren und das Einsatzkommando herbeirufen. Unbekannte Massenmörder erkennen aber auch diese Kameras nicht.

SZ: Das ist die logistische Seite. Aber lassen Sie uns über die Dialektik von Sicherheit und Freiheit reden.

Sofsky: Unsere Gesellschaft ist bereit, ihre Freiheit zu opfern als Preis für mehr Scheinsicherheit.

SZ: Welche Gesellschaft wäre dazu nicht bereit?

Sofsky: Schwer zu sagen. Nun hat Deutschland eine besonders schwache Freiheitstradition. Aber auch Engländer akzeptieren die Maßnahmen, weil die Überwachung oft beiläufig geschieht. Man weiß ja nicht, wo überall Kameras angebracht sind. Die meisten Menschen werden sich für Sicherheit entscheiden, nach der Devise: Was nützt mir die Freiheit, wenn ich tot bin? Das Sicherheitsversprechen des Staates ist eingebaut in die Dynamik von Herrschaft. Dabei besteht die einzige Aufgabe des Staates darin, die Freiheit der Bürger zu sichern. Das ist das oberste Prinzip, an dem alle Maßnahmen zu messen sind.

SZ: Ist es zu viel verlangt, dass der Staat die Bürger vor Terror schützt?

Sofsky: Es ist eine Dummheit und eine Illusion. Gewiss gelingt der präventive Zugriff manchmal. Eine Zwischenbilanz des israelischen Geheimdienstes hat ergeben, dass er rund 60 Prozent der geplanten Anschläge verhindern konnte. 40 Prozent hat sogar ein so effektiver Dienst nicht unterbunden. Viel wichtiger aber ist: Wir müssen lernen, mit der Angst zu leben, dann reduziert sich der Sicherheitsanspruch an den Staat und dessen überalarmierte Reaktion. Mich hat sehr beeindruckt, als Engländer nach den Anschlägen gesagt haben: Ich lasse mir von den Terroristen nicht vorschreiben, wie ich meinen Alltag zu leben habe.

SZ: Der Heroismus der Normalität.

Sofsky: Hierzulande wird dies als "heroisch" diffamiert, ich finde es nur vernünftig und politisch klug, auch wenn einem zeitweise etwas mulmig zumute ist.

SZ: Der Bürger muss mit der Angst leben, um dem Staat keinen Vorwand zu liefern, seine Freiheiten zu beschneiden.

Sofsky: Ja, es ist eine anti-etatistische Strategie. Wenn es gelingt, die Angst abzubauen, kann man den Staat um einige Aufgaben erleichtern.

Rückkehr in "historisch normale, gefährliche Zeiten"

SZ: Gibt es Gesellschaften, in denen die Spannung zwischen Sicherheitsbedürfnis und Freiheitsverlust aufgelöst ist? In Israel nehmen die Bürger die Einschränkungen nicht als einengend wahr.

Sicherheitsdebatte: Diskrete Videoüberwachung am Kölner Hauptbahnhof.

Diskrete Videoüberwachung am Kölner Hauptbahnhof.

(Foto: Foto: dpa)

Sofsky: Naja, die Israelis haben zumindest ein realistisches Feindbild. Wir verbieten uns ein angemessenes Feindbild, weil wir moralisch gut sind. Es gibt die gute islamische Religion und eine kleine Minderheit von verführten Jugendlichen, die man durch Verständnis und Sozialpolitik von ihrem Irrweg abbringen kann. Das ist naiv. Die Dschihadisten haben den westlichen Gesellschaften den Krieg erklärt. Sie sind tatsächlich Feinde. Es ist ein Konflikt in großem Maßstab. Das merkt man in Deutschland jetzt wieder mal, um es sogleich wieder zu vergessen - bis die Bombe hochgeht.

SZ: Kanzlerin Merkel sagt, dass "innere und äußere Sicherheit" sich verzahnen. Ist das nicht längst geschehen? Die Friedensmission des Außenministers im Libanon setzte doch darauf, dem Terrorismus den Nachwuchs zu nehmen.

Sofsky: Wenn Feinde in westliche Länder einsickern, sind äußere und innere Sicherheit unmittelbar miteinander verknüpft. Aber als Reaktionsmacht braucht man keine Panzer-Divisionen, sondern trainierte Kommandos, umsichtige Späher und kluge Auswerter.

SZ: Sie bezeichnen Sicherheit als neue Leitidee westlicher Politik, nach Wohlstand, Freiheit, Gleichheit.

Sofsky: Auch der Sozialstaat ist ja ein Sicherheitsstaat. Aber aktuell geht es erneut um den Schutz vor dem Tod. Leben und Tod waren immer die zentralen Themen von Herrschaft und Politik. Nur dachten viele, im Goldenen Zeitalter nach dem Zweiten Weltkrieg ginge es nur noch um Wohlfahrt. Provokativ gesagt: Wir kehren zurück in historisch normale, gefährliche Zeiten.

SZ: Das Video als historische Volte?

Sofsky: Der Trend zur Überwachung ist ein säkularer Trend. Es gäbe den modernen Verwaltungs- und Steuerstaat nicht, wenn er nicht permanent Daten der Untertanen erfasst hätte, früher mit Formularen, heute per Datei. Der Staat hat immer schon davon geträumt, seine Untertanen vollständig im Auge zu behalten und jedes Gespräch mitzuhören. Herrschaft ist immer informationsgierig.

SZ: Damit sind wir bei Foucault.

Sofsky: Bei Foucault sind wir, wenn es darum geht, ob die Kamera eine Attrappe ist. Fühlen wir uns beobachtet, auch wenn die Kamera abgestellt ist? Wann haben wir das Beobachtetsein so verinnerlicht, dass wird uns benehmen, als würden wir permanent beobachtet? Dann ist der fremde Blick zum inneren Habitus geworden, und wir können alle Kameras ausstellen. Die Aufzeichnung von Information ist übrigens auch eine Machtstrategie der Untertanen. Es gibt soziale Mechanismen, mit denen wir tagtäglich einen Datenaustausch vollziehen. Das ist der persönliche Verrat und der Klatsch.

SZ: Innenminister Wolfgang Schäuble hat die Muslime zur Mitarbeit im Kampf gegen den Terrorismus aufgerufen.

Sofsky: Das ist die Aufforderung zur Denunziation, und das ist in Ordnung. Jeder Bürger ist verpflichtet, Verbrechen oder deren Vorbereitung anzuzeigen. Es ist aber auch ein Loyalitätstest für die Muslime: Seid ihr bereit, Informationen aus der Community zur Verfügung zu stellen? Seid ihr bereit, die Täter auffliegen zu lassen? Zur Bekämpfung der Feinde ist soziale Infiltration sicher effektiver als die Videoüberwachung.

SZ: Es ist ja heute ohnehin fast unmöglich, sich in öffentlichen Räumen zu bewegen, ohne von einem Handy fotografiert zu werden. Wir werden ununterbrochen beobachtet.

Sofsky: Vielleicht hat diese Gesellschaft eine Kommunikationsstörung. Viele Menschen ertragen es nicht, nur für sich zu sein. Von Mediendiagnostikern gibt es die These, die Gefahr liege nicht darin, beobachtet zu werden, sondern darin, gerade nicht wahrgenommen zu werden. Aber das halte ich für überzogen und obendrein für politisch kurzsichtig.

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