Sibylle Lewitscharoff als Poetik-Dozentin:Gegen die Softeis-Version des Religiösen

Sibylle Lewitscharoff

Mit Peter Handke und Jean-Paul Sartre in der Reihe der unbequemen Schriftsteller? Gequälte Huldigungen für Sibylle Lewitscharoff an der Universität Landau.

(Foto: dpa)

Im März hat Sibylle Lewitscharoff öffentlich ihre Abscheu gegenüber der modernen Reproduktionsmedizin geäußert. Als Poetik-Dozentin in Landau klingt die Schriftstellerin vergleichsweise kleinlaut - macht aber auch klar, dass Furcht und Schrecken für sie zum Glauben gehören.

Von Franz Himpsl

Offenbar kann man Sibylle Lewitscharoff derzeit nicht loben, ohne sich bemüßigt zu fühlen, sie gleichzeitig zu verteidigen. Im März hatte die Autorin in Dresden eine Rede gehalten und darin mit drastischen Worten ihren Abscheu gegenüber den Möglichkeiten der modernen Reproduktionsmedizin Ausdruck verliehen. Von "Fortpflanzungsgemurkse" hatte sie gesprochen, von Kindern, die ihr wie "Halbwesen" erschienen.

Es folgte Kritik von vielen Seiten; Lewitscharoff nahm von einzelnen Formulierungen Abstand, blieb aber bei ihrer Position. In Landau in der Pfalz hat sie nun die Poetik-Dozentur der dortigen Universität angetreten, die ihr für ihr "phantasiereiches Sprachkunstwerk, das zugleich komisch und tiefsinnig, avantgardistisch und traditionsverhaftet ist", wie es in der Begründung hieß, verliehen worden ist. Obwohl schon einige Monate vergangen sind, lag die Kontroverse um die Rede vom März noch in der Luft.

Gequälte Huldigungen

Bevor man Lewitscharoff bei der Eröffnungsveranstaltung zu Wort kommen ließ, betonte denn auch die Organisatorin der Dozentur, Anja Ohmer, die Universität Koblenz-Landau distanziere sich "keinesfalls" von ihrer Poetik-Dozentin. Eine Universität sei schließlich ein Ort der freien Rede. Als der Schriftsteller Karl-Heinz Ott Lewitscharoff mit Emphase in eine "Tradition der unbequemen Schriftsteller" stellte, als die Namen Elfriede Jelinek, Peter Handke und Jean-Paul Sartre fielen, und als dann der Universitätspräsident Roman Heiligenthal noch einen draufsetzte mit dem Hinweis, die Dresdner Rede über die Machbarkeit sei "eine Rede über den Turmbau zu Babel" gewesen, die ihn "zutiefst beeindruckt" habe - da begann man sich zu fragen, ob diese etwas gequälten Huldigungen der Autorin selber nicht eher unangenehm waren.

Zumal deren erste Amtshandlung als Poetik-Dozentin darin bestand, im öffentlichen Gespräch mit dem Schriftsteller Karl-Heinz Ott der eigenen Position nochmals Wind aus den Segeln zu nehmen. "Ich habe das mit zwei, drei sehr dummen, sehr aggressiven Sätzen selbst verbockt", sagte sie in Bezug auf ihre viel diskutierte Rede und klang dabei fast kleinlaut. Dabei sei das Anliegen der Rede eigentlich kein aggressives gewesen: Sie vertrete nun einmal die "etwas altertümliche Position, dass das Humanum nicht angetastet werden soll".

Dahinter steckt indes, wie Lewitscharoff im weiteren Verlauf des Gesprächs durchscheinen ließ, weniger eine ausgefeilte Theorie von der Würde und Schutzwürdigkeit menschlichen Lebens, als vielmehr die Überforderung ob der wachsenden Verantwortung, die der medizinisch-technische Fortschritt mit sich bringt. Sie verwies darauf, "dass es in früheren Zeiten, als man nicht unbedingt erkennen konnte, ob ein Kind im Mutterleib behindert sein wird, auch ein bisschen einfacher war". Schließlich habe nicht die Möglichkeit einer Abtreibung im Raum gestanden.

Vom technischen Fortschritt überfordert

Vermehren sich die Möglichkeiten, vermehren sich auch die Situationen, in denen Entscheidungen gefragt sind. Das mag einen im Einzelfall vor existenzielle Schwierigkeiten stellen, aber ist das alleine ein Grund, die Möglichkeiten selbst zu beseitigen? Ein wenig fühlte man sich an die Großmutter erinnert, die vorm Discounter-Kühlregal steht und sich nach der Zeit sehnt, als es am ganzen Ort nur eine Sorte Butter zu kaufen gab - und die deshalb der ganzen modernen Welt den Niedergang wünscht. Im Ansatz nachvollziehbar, aber für die gesellschaftspolitische Praxis nicht besonders ergiebig.

Der Hang der oft so katholisch anmutenden Protestantin zum Düster-Prophetischen trat vollends zutage, als sie nach einem ihrer Lieblingsthemen, nach ihrem Verhältnis zum Glauben gefragt wurde. "Der Mensch muss radikal an seine Sünden erinnert werden", sagte sie mit Nachdruck, um sich damit gegen das zu wenden, was sie als die "Softeis-Version des Religiösen" bezeichnete: Die Erlösung soll nicht allzu leicht zu haben sein, Furcht und Schrecken müssten immer mitgedacht werden. Religiosität ohne die Idee, dass die Bösen bestraft werden - für sie eine "Horrorvorstellung".

Falsche Tonart in gesellschaftlichen Debatten

Das klang drastisch - und sehr vital. Man begann zu ahnen, warum Lewitscharoff in gesellschaftlichen Debatten bisweilen die falsche Tonart anschlägt. Und weshalb ihre Geschichten, mit Gestalten vom Verrückten "Pong" bis zu jenem Löwen, der im Arbeitszimmer des Philosophen Blumenberg auftaucht, vielen als herausragend gelten. Die Autorin hat das Prinzip Weltflucht kultiviert.

Dass sie vom Realismus in der Literatur nicht besonders viel hält, hatte sie schon in ihren früheren Poetik-Vorlesungen, die unter dem Titel "Vom Guten, Wahren und Schönen" erschienen sind (Suhrkamp, 2012), hervorgehoben. Auch wenn es ganz ohne wirklichkeitsgetreue Details nicht gehe: Wer sich dem Realismus als Konzept verschreibe, "kastriert damit die Literatur und öffnet, gewollt oder ungewollt, der Vulgarität Tür und Tor", heißt es dort.

Lewitscharoffs literarische Vorbilder

Eine exponierte Rolle kommt in ihrer Poetik der literarischen Tradition zu: Wer selbst zur Meisterschaft gelangen will, sollte sich an den Meistern vergangener Tage schulen. In Landau hat die Schriftstellerin am zweiten Tag der Dozentur über einige ihrer literarischen Vorbilder gesprochen. Kafka und Beckett waren dabei, die gezeigt hätten, dass es oft gerade die hochgradig künstlichen Figuren sind, die dem Leser am realsten erscheinen. Aber eben auch Virginia Woolf, deren Figuren bei Lewitscharoff nach eigenem Bekunden die kindliche Neigung hervorrufen, sich mit ihnen voll und ganz zu identifizieren.

Im Moment, sagte die Autorin, schreibe sie an einem Roman, in dem Dante eine wichtige Rolle spielt. Ausgangspunkt der Handlung sei ein internationaler Forscherkongress in Rom, der sich seiner "Commedia" widmet. Als die Glocken des Vatikan das Pfingstfest einläuten, verfallen die Kongressteilnehmer in große Aufregung und beginnen, in ihren Muttersprachen zu sprechen. Und doch - sie verstehen einander! Ein umgekehrtes Pfingstwunder, eine Handlung, die ins Surreale abdriftet, ein Denkmal für einen Jahrtausenddichter: All das klang ganz nach Lewitscharoff.

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